Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → REDAKTION

ASIEN/608: Briten bekommen am Hindukusch kalte Füße (SB)


An der Heimatfront greift Kriegsmüdigkeit um sich


Da die Strategen globaler Herrschaftssicherung naturgemäß mit ihren Kriegszielen hinter dem Berg halten, kann die offizielle Beantwortung der Frage nach konkreten Ausstiegsszenarien oder gar diesbezüglicher Terminierung für den Waffengang am Hindukusch nur auf nichtssagende Floskeln und Nebelkerzen hinauslaufen, soweit sie nicht ohnehin verweigert wird. Das wiederum steht in krassem Widerspruch zum Interesse der Militärs und Politiker, mit angeblichen Erfolgen zu hausieren, da das Gefühl der Stagnation und Unabsehbarkeit an der Heimatfront fast so schlecht ankommt wie Leichensäcke, die bekanntlich die Kriegsbegeisterung abkühlen wie eine kalte Dusche. Nicht zu verraten, worauf der Waffengang hinausläuft, und dennoch den Eindruck zu erwecken, man habe klare und transparente Vorgaben, die man zielstrebig und effektiv erfülle, erfordert ein hohes Maß an Doppelzüngigkeit, das den Apologeten des weltpolizeilichen Angriffskriegs in Fleisch und Blut übergeht.

Soll man die Zahl getöteter Feinde zum Gradmesser des eigenen Erfolgs erklären? Das macht sich gut, solange die Quote steigt, kollidiert jedoch mit der Propaganda, man wolle eigentlich gar nicht Krieg führen, sondern die Bevölkerung schützen. Eskaliert der Blutzoll der Gefechte, läßt sich die Behauptung kaum noch durchtragen, man sei gekommen, um Frieden und Stabilität zu schaffen. Daraus hat der Oberkommandierende der US-Streitkräfte in Afghanistan, General Stanley McChristal, inzwischen die Konsequenz gezogen, die Opferzahlen auf gegnerischer Seite fortan nicht mehr zu veröffentlichen.

Daran hielt sich der Kommandant der britischen Truppen in Helmand, Brigadegeneral Tim Radford, der in einer Videoübertragung aus seinem Hauptquartier in Lashkar Gah partout keine Zahl getöteter Taliban nennen wollte, sich dennoch absolut sicher war, daß die Operation ein Erfolg gewesen sei und man Bedeutendes erreicht habe. Die Rede war von der Operation "Pantherkralle", an der rund 3.000 Soldaten ihrer Majestät teilgenommen und das Land für etwa 100.000 Menschen sicher gemacht hätten, wie Premierminister Gordon Brown es bei einem Wahlkreisbesuch ausdrückte. Das war nun freilich eine schöne Erfolgsrechnung, die zum Dreisatz animiert, wie viele Soldaten nötig wären, um ganz Afghanistan sicher zu machen. Viel naheliegender ist allerdings die Frage, wieso die Lage in Helmand jetzt sicherer sein soll als zuvor. Bekanntlich war die überwiegend paschtunische Bevölkerung überhaupt nicht begeistert, als die US-Amerikaner und Briten anrückten, um sie zu befreien und zu befrieden. Die Taliban zogen größtenteils ab und verschwanden für die Besatzungstruppen aus dem Blickfeld, um vorübergehend in den Bevölkerung aufzugehen, der sie angehören, oder ihre Kämpfe in andere Landesteile zu verlagern.

Wie soll das nun weitergehen? Seit Beginn des Einsatzes im Oktober 2001 sind insgesamt 191 Briten getötet worden, allein 22 davon in diesem Monat, der als bislang verlustreichster der gesamten Kampagne die heimische Öffentlichkeit in Aufregung versetzt hat. Premier Brown beklagte die tragischen Verluste, behauptete aber im selben Atemzug, daß sie nicht vergeblich gewesen seien. Ranghohe britische Militärs fordern wie immer in verfahrenen Situationen Verstärkung, da man mit den vorhandenen Truppen nicht in der Lage sei, weitere bedeutende Operationen auszuführen. Das kommt jedoch in Großbritannien ganz schlecht an, wo inzwischen eine Mehrheit der Ansicht ist, daß die Kämpfe in Afghanistan nicht zu gewinnen seien und man die eigenen Truppen sofort abziehen sollte. [1]

Setzt die Kriegsmüdigkeit wie so oft erst dann auf breiter Front ein, wenn die Verluste der eigenen Seite steigen, ist das zwar ein in seiner Genese und mutmaßlichen Tragweite eher fragwürdiger Vorgang, was natürlich nicht ausschließt, daß man darüber nicht doch zu fundamentaleren Erwägungen und Konsequenzen vordringt. Diesbezüglichen Anfängen zu wehren, gehörte gewiß zu den Zielen, die Außenminister David Miliband mit seiner Rede im Brüsseler NATO-Hauptquartier verfolgte. Die Idee, die Taliban zu spalten, indem man gemäßigte, gekaufte oder zwangsrekrutierte Fraktionen mit gewissen Anreizen vom Kämpfen abbringt und auf diese Weisen die Reihen des Widerstands spaltet und schwächt, ist nicht neu. Das Konzept wurde bereits von Barack Obama aufgewärmt, auf den sich Miliband explizit bezog.

Welcher Art dieses Signal an die US-Regierung sein sollte, kann man nur mutmaßen, da die Briten zwar das zweitgrößte Kontingent in Afghanistan stellen, aber angesichts der zweitmeisten Opfer langsam aber sicher kalte Füße bekommen. Als General David H. Petraeus als oberster Kriegsherr für Afghanistan und den Irak vor einiger Zeit dem britischen Premier 2.000 weitere Soldaten am Hindukusch abpressen wollte, schickte Brown nur 800 und hält sich nach wie vor offen, ob er diese Truppenstärke von insgesamt 9.100 Mann nach der Wahl in Afghanistan aufrechterhalten möchte.

Wie will man die Deutschen und Franzosen davon überzeugen, sich stärker zu engagieren, wenn man selber den Eindruck einer Besatzungsmacht auf dem Rückzug erweckt? Miliband machte sich zum Sprecher seiner Landsleute, die angeblich wissen wollen, ob alle Mitglieder der Allianz bereit sind, die Lasten zu teilen, wie es die grundlegenden Prinzipien des Bündnisses erforderten. Afghanistan sei ein Hort für Terroristen, weshalb Britannien seine Mission erfüllen werde. Dem fügte Brown andernorts hinzu, die Offensive in Helmand habe begonnen, die "Kette des Terrors" aufzubrechen, die Afghanistan und Teile Pakistans mit Britannien verbinde: "Unsere Feinde sollten nie an unserer Entschlossenheit zweifeln, diese Mission zu vollenden, da wir uns des allzu hohen Preises eines Scheiterns nur zu bewußt sind." [2]

Die heroischen Phrasen klingen nicht nur deshalb hohl, weil sie die ewige alte Leier drehen. Schließlich kann jeder Brite, der halbwegs bei Sinnen ist, an seinen fünf Fingern abzählen, daß die Wahrscheinlichkeit, in London, Leeds oder Liverpool von einem Taliban in Bedrängnis gebracht zu werden, gegen Null geht, was man von britischen Soldaten, die nach Afghanistan geschickt werden, nicht gerade sagen kann. Für die Regierungen und Militärs, die ihre Leute am Hindukusch für Zwecke verheizen, die weder etwas mit den Interessen der Afghanen, noch denen der Soldaten zu tun haben, ist diese banale Erkenntnis allemal fatal, weil sie das zu monströser Größe aufgeblasene Lügengebäude des fiktiven "Antiterrorkriegs" platzen läßt.

Anmerkungen:

[1] Brown nennt Operation "Pantherkralle" einen Erfolg
Briten wollen Soldaten aus Afghanistan trotzdem nach Hause holen (28.07.09)
NZZ Online

[2] Britain Urges Afghan Political Effort (28.07.09)
New York Times

30. Juli 2009