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ASIEN/615: Inszenierter Eiertanz um Truppenaufstockung am Hindukusch (SB)


Afghanistan braucht keine neue Strategie - Abzug der Besatzer reicht!


US-Präsident Barack Obama führt nach Angaben seines Nationalen Sicherheitsberaters James L. Jones derzeit intensive Gespräche mit dem Nationalen Sicherheitsrat sowie hochrangigen Militärs und Diplomaten, um eine neue Strategie für Afghanistan auszuarbeiten. Herauskommen wird dabei natürlich weder ein Truppenabzug noch ein Ende des Besatzungsregimes, sondern im Gegenteil eine Eskalation der Kriegsführung und ein erweiterter Zugriff auf diese Region, in der sich die USA und ihre Verbündeten dauerhaft festsetzen wollen. Das bleibt jedoch ein Vorhaben, das sich weder bei den Afghanen, noch an der Heimatfront der Alliierten großer Zustimmung erfreut: Die einen wollen die fremden Soldaten endlich loswerden, die andern verlangen ein absehbares Ende des Engagements am Hindukusch. An beiden Fronten bedarf es einer Vorgehensweise, die den Widerstand gegen das Kriegsregime nicht stärkt, sondern schwächt, wozu militärische, administrative, politische und ideologische Manöver erforderlich sind.

Was sich dieser Tage wie eine heftige Kontroverse um Richtungsentscheidungen, ja mitunter sogar wie ein heilloses Durcheinander ausnimmt, speist sich in erster Linie aus der Inszenierung für das Publikum, das getäuscht, eingewickelt und befriedet werden soll. Paradebeispiel ist der Umgang mit der Präsidentschaftswahl in Afghanistan, deren Ergebnis Amtsinhaber Hamid Karzai durch skrupellose Fälschung zu seinen Gunsten manipuliert hat. Angeblich will Obama sicherstellen, daß der Wahlausgang als legitim anerkannt wird. Er hat noch keine abschließende Entscheidung getroffen, ob man Karzai als Sieger auf den Schild hebt oder eine Stichwahl verlangt. Der Charakter der Marionettenregierung in Kabul von Gnaden Washingtons könnte deutlicher kaum sein. [1]

Verteidigungsminister Robert Gates erging sich in dunklen Andeutungen, die darauf schließen lassen, daß man Karzai womöglich doch nicht entsorgen will. Wie der Minister erklärte, könne man schließlich den Afghanen nicht vorschreiben, wie sie ihre Regierung zu organisieren haben. Fakt sei, daß es sich um einen Wahlvorgang handle, bei dem es vor allem darauf ankomme, ob er von der afghanischen Bevölkerung als legitim angesehen werde. Allen zur Verfügung stehenden Informationen zufolge sei das nach wie vor der Fall, behauptete Gates. Man braucht nicht einmal zwischen den Zeilen zu lesen um zu erkennen, daß damit jegliche Standards einer regulären Wahl für irrelevant erklärt werden, wenn man nur dem Wahlvolk vorgaukeln kann, es sei alles mit rechten Dingen zugegangen.

General Stanley McChrystal, Oberbefehlshaber der NATO- und US-Streitkräfte für Afghanistan und Pakistan, verlangt bekanntlich eine zügige Aufstockung der US-Truppen um bis zu 40.000 Mann auf insgesamt 100.000 US-Soldaten. Eine Frist, in der man zunächst die aktuelle Entwicklung beobachten will, lehnt er entschieden ab. Rückendeckung erhält er von Generalstabschef Mike Mullen und General David Petraeus, die aus dem Rückgang eigener Verluste nach der massiven Truppenaufstockung im Irak ableiten, daß dieses Rezept in Afghanistan genauso funktionieren werde. Außenministerin Hillary Clinton scheint sich dieser Position anzuschließen, die darauf abzielt, die Zahl heimkehrender Leichensäcke möglichst niedrig zu halten und dafür andere Völker bluten zu lassen, deren Schicksal den meisten US-Bürgern gleichgültiger nicht sein könnte.

Colin Powell übernimmt wie schon zu seiner Zeit als Außenminister im Kabinett George W. Bushs die Rolle des Mahners, der sich zuerst von der Notwendigkeit einer militärischen Eskalation überzeugen lassen will, ehe er seiner Begeisterung freien Lauf läßt. Er rät dem Präsidenten von einer Truppenaufstockung ab, solange die Mission nicht klar definiert sei. Eindeutige Aufträge und Ziele fordert offenbar auch Heereschef General George W. Casey jr., dessen Truppe die Hauptlast der Kriegsführung trägt. Hingegen mimt Vizepräsident Joe Biden ungerührt den harten Hund: Wenn es nach ihm ginge, sollte man wieder viel häufiger aus der Luft bombardieren und sich verstärkt auf Pakistan konzentrieren.

Zwangsläufig kommen die europäischen Verbündeten ins Spiel, die nach Ansicht Washingtons ein zu geringes militärisches Engagement an den Tag legen. Da angesichts steigender Opferzahlen in Afghanistan und nach dem Debakel der Wahl diesseits wie jenseits des Atlantiks die Stimmung umzuschlagen droht, hat sich NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen bei seiner ersten Rede in den Vereinigten Staaten mächtig ins Zeug gelegt, um die Bündnistreue zu untermauern. Wie er seinen amerikanischen Zuhörern im Forschungsinstitut "Atlantic Council" versicherte, sei auf Europa zweifelsfrei Verlaß: "Die NATO wird so lange bleiben, wie es nötig ist", versprach er dem hochkarätigen Publikum. [2]

Daß er die Anstrengungen der Europäer und insbesondere der Deutschen verteidigte und Hoffnungen auf weitere Kampftruppen dämpfte, steht dazu nicht in Widerspruch. Die kriegführenden Mächte haben allesamt das Problem, die absehbare Eskalation ihres Engagements zu verschleiern, um der um sich greifenden Kriegsmüdigkeit das Wasser abzugraben. Er werde von niemandem das Argument akzeptieren, daß die EU und Kanada in Afghanistan keinen Preis bezahlen, tönte der NATO-Generalsekretär. Am "Deutschen-Bashing" werde er sich nicht beteiligen, da angesichts der deutschen Geschichte die graduelle Steigerung des Engagements der Bundeswehr am Hindukusch ein "riesiger Schritt" sei. Die Menschen in den NATO-Staaten wie auch in Afghanistan wollten "Licht am Ende des Tunnels" sehen, verkündete Rasmussen. "Wenn die afghanischen Sicherheitskräfte selbst die Verantwortung übernehmen sollen, müssen sie besser ausgebildet und ausgerüstet werden. Das bedeutet, daß wir alle mehr in Training und Ausrüstung investieren müssen." [3]

Ähnlich argumentierte Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung am Rande des EU-Verteidigungsministertreffens in Göteborg. Er verwies auf die deutsche Mandatsobergrenze von 4.500 Soldaten und das "Ziel einer selbsttragenden Sicherheit in Afghanistan in einer vernünftigen Zeit". Man müsse die Ausbildung der afghanischen Sicherheitskräfte verstärken und die EU-Polizeimission zu voller Stärke ausbauen. Sein belgischer Amtskollege Pieter de Crem reagierte auf die Frage nach zusätzlichen Soldaten ebenfalls ablehnend: "Die EU ist bereits in erheblichem Umfang präsent, aber auf der zivilen Ebene muß noch viel getan werden."

Daß in dieser Debatte keineswegs unvereinbare Positionen aufeinandertreffen, signalisierte General Henri Bentégeat, der Vorsitzende des EU-Militärausschusses, in Göteborg. "Spielraum gibt es natürlich, es ist eine Frage des politischen Willens", hielt er die Entsendung zusätzlicher Soldaten aus Europa offen. Indem man militärisches und ziviles Eingreifen künstlich trennt, als handle es sich nicht um zwei Stränge desselben Besatzungsregimes, die fließend ineinander übergehen, blendet man den grundsätzlichen Charakter der Intervention aus und reduziert die Kontroverse auf die Pseudodebatte der Truppenaufstockung, als erschöpfe sich der einzig maßgebliche Streit zwischen Falken und Tauben im Kalkül, wieviel Soldaten und Polizisten man braucht, um Afghanistan als Brückenkopf des nächsten Kriegszugs zu sichern.

Anmerkungen:

[1] UN: Record number of Afghan civilian deaths in 2009 (28.09.09)
World Socialist Web Site

[2] Afghanistan-Einsatz. Die Nato-Spitze warnt vor Deutschen- Bashing.(29.09.09)
http://www.ftd.de/politik/international/:afghanistan-einsatz-die-nato- spitze-warnt-vor-deutschen-bashing/50016467.html

[3] EU will noch abwarten: Jung schließt mehr Soldaten für Afghanistan aus (29.09.09)
http://www.netzeitung.de/politik/ausland/1477179.html

29. September 2009