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ASIEN/647: CIA und ISI im Streit um Vernehmung Mullah Baradars (SB)


CIA und ISI im Streit um Vernehmung Mullah Baradars

Nach Mardschah wollen Petraeus und McChrystal Kandahar erobern


Als bedeutenden Etappensieg, wenn nicht sogar als entscheidende Wende zum Besseren für die NATO im Afghanistankrieg, haben Medien und Politik des Westens die am 16. Februar von der New York Times gemeldete Festnahme Mullah Abdul Ghani Baradars, des einstigen "Verteidigungsministers" der Taliban, in der pakistanischen Hafenstadt Karatschi gefeiert. Die Inhaftierung des angeblich zweitwichtigsten Anführers der Taliban nach deren legendärem Chef, dem einäugigen Mullah Muhammed Omar, wurde als Beweis einerseits für die Richtigkeit der neuen Af-Pak-Strategie von US-Präsident Barack Obama und dessen führendem Militär in Afghanistan, General Stanley McChrystal, andererseits für die Entschlossenheit Islamabads, nach acht Jahren des Zögerns mit Washington endlich an einen Strang zu ziehen, was die Bekämpfung des "islamistischen Terrorismus" in Süd- und Zentralasien betrifft, gewertet.

Inzwischen ist die Jubelarie dem geheimdienstlichen Alltag gewichen. Über die wahre Bedeutung der Festnahme Baradars tobt unter den Experten eine rege Diskussion, während sich die Central Intelligence Agency (CIA) der USA und das Inter-Services Intelligence Directorate (ISI) Pakistans über die Vernehmung des ehemaligen Talibananführers streiten. Angeblich will die CIA Baradar nach Afghanistan ausgeliefert haben, um ihn in ihrem berüchtigten Foltergefängnis auf dem Gelände des US-Luftwaffenstützpunktes Bagram bei Kabul in die Mangel nehmen zu können. Geheimdienst und Regierung Pakistans lehnen dieses Ansinnen strikt ab.

Bis heute herrscht Unklarheit über die Umstände der Festnahme Baradars. Bei der ersten Bekanntgabe in der New York Times berichteten Mark Mazzetti und Dexter Filkins, sie sei während einer "geheimen gemeinsamen Operation" von CIA und ISI erfolgt. Doch weder kennt man den genauen Zeitpunkt der Festnahme, der um den 8. Februar herum liegen soll, noch weiß man, wie groß die eigentliche Beteiligung der CIA war. Hat der ISI, wie zunächst suggeriert, Baradar tatsächlich bei einer Razzia geschnappt oder ihn vielleicht einfach bei einem Treffen mit Verbindungsleuten aus Geheimdienst- und Militärkreisen Pakistans in Gewahrsam genommen? Schließlich haben die Pakistaner die Taliban in den neunziger Jahre selbst aufgebaut und halten bis heute ihre schützende Hand über sie, um bei allen Verhandlungen über eine Nachkriegsordnung im nördlichen Nachbarland mitreden und -bestimmen zu können.

In einem Artikel, der am 17. Februar bei der New York Times erschien und der zum Teil aus der Feder der meist gutinformierten, britischen Pakistankorrespondentin Carlotta Gall stammte, hieß es, Baradar habe zuletzt im Auftrag der Taliban mit Vertretern der USA über eine Beendigung des Afghanistankrieges verhandelt; die geheimdienstliche, militärische und politische Führung Pakistans habe ihn festnehmen lassen, um Islamabads Anspruch auf seine Vermittlerrolle in Sachen Taliban wieder Geltung zu verschaffen. In einem Artikel, der ebenfalls am 17. Februar bei der Asia Times Online erschienen ist, hat Syed Saleem Shahzad, Leiter des AToL-Pakistanbüros, die Angaben Galls bestätigt. Demnach hätte Baradar den "Talibanchef Mullah Omar in allen von Saudi-Arabien vermittelten Friedensgesprächen der letzten beiden Jahre mit Washington vertreten".

Dieser Umstand wirft erhebliche Fragen hinsichtlich des Zwecks der Inhaftierung Baradars auf. Wollten die Pakistaner tatsächlich verhindern, daß Taliban und Washington einen Separatfrieden schließen? Waren die Gespräche vielleicht an Mullah Omars Festhalten an seiner Forderung nach einem vollständigen Abzug aller ausländischen Streitkräfte aus Afghanistan - was im diametralen Widerspruch zu den strategischen Plänen des Pentagons für Zentralasien steht und deshalb für Washington inakzeptabel wäre - gescheitert? In seinem Artikel meinte der AToL-Reporter Shahzad, "die Idee" hinter der Festnahme Baradars sei es, die Taliban in Südwesten Afghanistans in friedensbereite Tauben und versöhnungsunwillige Falken zu spalten, Mullah Omar zu "isolieren" und an den Verhandlungstisch zurückzuzwingen - bei vermutlich gleichzeitiger Verabschiedung seinerseits von seiner Maximalforderung. Wie das gehen soll, ist unklar, denn wie Shahzad selbst anmerkt: "Aufgrund des strikten Verhaltenskodex der Taliban reduziert sich der Einfluß eines jeden mächtigen Kommandeurs auf null, sobald dieser gefaßt wird."

Die Inhaftierung des führenden Unterhändlers der Taliban stellt auf jeden Fall einen schweren diplomatischen Affront dar und dürfte von den Taliban als eindeutige Absage der Amerikaner an eine friedliche Beilegung des Afghanistankonfliktes interpretiert werden. Bei den Taliban dürften sich diejenigen, welche eine Eskalation des Kampfes gegen die ausländischen Invasoren und die Truppen Hamid Karsais befürworten, in ihren Mißtrauen gegenüber den USA und der NATO bestätigt sehen. Im bereits erwähnten Artikel Carlotta Galls kritisierte der ehemalige Taliban-Botschafter in Islamabad, Mullah Abdul Saeef, der mehr als drei Jahre im US-Militärgefängnis in Guantánamo Bay auf Kuba verbracht hat, seit 2006 wieder in Kabul lebt und in letzter Zeit die Bemühungen Präsident Karsais um Einbindung der Aufständischen in einen politischen Prozeß unterstützt, die Festnahme Baradars aufs schärfste. Ihm zufolge dürfte sich der Schritt negativ auf die bisherigen Verhandlungen auswirken, "das zaghafte Vertrauen zwischen beiden Seiten zerstören und den Friedensprozeß" torpedieren.

Doch gerade das scheint es, was die Amerikaner, jedenfalls diejenigen unter ihnen, die wie McChrystal und dessen vorgesetzter Offizier General David Petraeus an einen militärischen Sieg über die Taliban glauben, beabsichtigen. Bei einem Auftritt am 21. Februar in der sonntäglichen NBC-Fernsehsendung "Meet The Press" erklärte der CENTCOM-Oberbefehlshaber, dessen Eskalationsstrategie die Lage im Irak befriedet haben soll, die seit acht Tagen laufende Großoffensive gegen die Taliban-Hochburg Mardschah in der Provinz Helmand sei nur der Auftakt zu einer umfassenden Militärkampagne, die weitere 12 bis 18 Monate dauern werde. Ungeachtet der Tatsache, daß die Kämpfe zwischen den 15.000 westlichen und afghanischen Soldaten auf der einen Seite und den 400 bis 1000 Talibankämpfern um die 80.000-Seelen-Stadt noch Wochen anhalten könnten, gab Petraeus, dem Ambitionen auf eine Kandidatur für die US-Präsidentschaft nachgesagt werden, das nächste Ziel bekannt: die Eroberung der Taliban-Hochburg Kandahar, Hauptstadt der gleichnamigen Provinz, in der rund eine Million Menschen leben.

Die Eskalationsstrategie von Obama, Petraeus und McChrystal für Afghanistan bildet den Hintergrund für das, was Greg Miller am 19. Februar in der Los Angeles Times über die laufende Befragung Baradars durch den ISI, berichtete. Demnach ist die CIA, darunter ihr Direktor Leon Panetta, mit dem bisherigen Ergebnis höchst unzufrieden und drängt darauf, daß der Taliban-Anführer nach Bagram geflogen wird, damit die US-Vernehmungsspezialisten ihn unter Druck setzen können. Am liebsten würde man von Baradar erfahren, wo sich Mullah Omar versteckt, um diesen mittels eines per Drohne durchgeführten Raketenangriffs zu liquidieren. Doch so laufen die Dinge derzeit nicht. Dazu schrieb Miller, der übrigens die Festnahme auf den 26. Januar datierte: "Rund zwei Wochen lang wurde der CIA der direkte Zugang zu Baradar verweigert. Seitdem arbeitet man mit pakistanischen Vernehmungsbeamten, welche die Befragung leiten, zusammen. Doch Regierungsvertreter erklärten, sie hätten von Baradar nichts erfahren, was man nutzen könnte, um andere Taliban-Anführer zu finden oder Militäroperationen zu planen."

Zu der in Washington herrschenden "Frustration" über das angeblich allzu langsame Vorankommen im laufenden Gespräch der Pakistaner mit Baradar zitierte Miller ein nicht namentlich genanntes Mitglied der Obama-Regierung mit den Worten: "Dieser Typ sollte in der Lage sein, alles, von Bankkontennumern bis hin zu den Standorten der Ausbildungslager, preiszugeben. Davon tut er gar nichts." Die "Frustration" in Washington bleibt zunächst erhalten. Am 19. Februar lehnte der pakistanische Innenminister Rehman Malik eine Aushändigung Baradars oder der beiden Schattengouverneure der Taliban für die Provinzen Baghlan und Kundus, Mullah Mir Mohammed und Mullah Abdul Salam, die Anfang Februar im pakistanischen Belutschistan verhaftet worden sein sollen, ab. Malik zufolge liefert Baradar Islamabad "nützliche" Informationen - vielleicht auch über den Inhalt der geheimen Verhandlungen zwischen Taliban und USA?

22. Februar 2010