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ASIEN/667: Geopolitische Dimension der Energiekrise in Pakistan (SB)


Geopolitische Dimension der Energiekrise in Pakistan

USA lehnen iranische Gaspipeline und chinesische AKW für Pakistan ab


Seit Jahren leidet Pakistan mit seinen rund 170 Millionen Bürgern unter einer schweren, sich zuspitzenden Energiekrise. Der nationale Strombedarf wird auf 16.000 Megawatt geschätzt. Produziert werden dagegen derzeit lediglich 10.000 Megawatt. Wegen der fehlenden Energiemenge kommt es sowohl in den Dörfern als auch in den Großstädten mit trauriger Regelmäßigkeit zu Stromausfällen, die bis zu 20 Stunden am Tag dauern können und kleine Handwerksbetriebe wie große Industrieunternehmen gleichermaßen lahmlegen. Wegen dieses Umstands ist es zu wütenden Straßenprotesten gekommen, die bereits einem Menschen das Leben gekostet haben.

Um das Problem kurzfristig zu lindern, haben die Zentralregierung in Islamabad und die Provinzbehörden Stromrationierungen eingeführt. Abends wird zum Beispiel nur noch jede dritte Straßenlaterne eingeschaltet. Leuchtreklamen sind vorerst verboten. Klimaanlagen dürfen erst ab elf Uhr morgens eingeschaltet werden. Hochzeitsfeiern müssen spätestens bis zehn Uhr abends beendet sein. Mit zwei Großvorhaben, dem Bau einer Gaspipeline aus dem Iran und der Errichtung zweier Kernkraftwerke aus der Volksrepublik China will die pakistanische Regierung für mehr Energie sorgen. Doch beide Projekte stoßen auf die Ablehnung der USA.

Seit 1994 verhandeln Islamabad und Teheran über den Bau einer Pipeline, die Pakistan mit großen Mengen Erdgas aus dem riesigen Gasfeld Südpars, das im Persischen Golf liegt und das der Iran mit dem Scheichtum Katar teilt, beliefern sollte. Ursprünglich sollte Indien an dem Projekt beteiligt werden. Vor einigen Jahren war die Rede von der alle drei Länder verbindenden, 2500 Kilometer langen IPI-Friedenspipeline, die Pakistan nicht nur mit Energie versorgen, sondern auch den pakistanischen Haushalt mit Transitgebühren in Millionenhöhe aufstocken sollte. Die Pipeline sollte die wirtschaftliche Zusammenarbeit der drei Länder ankurbeln und auf diese Weise sowohl für einen Abbau der Spannungen zwischen Indien und Pakistan als auch für eine Beruhigung der Lage in den iranischen und pakistanischen Teilen Belutschistans sorgen.

Doch weil die USA nicht wollten, daß der iranische Erzfeind Iran die aufsteigende Supermacht Indien mit mehr als einer Milliarde Bürgern als Großkunden für seine Energiewirtschaft gewinnt, ist Neu-Delhi unter dem Druck Washingtons aus dem geplanten IPI-Geschäft ausgestiegen. Der Preis für den indischen Kursumschwung war jedoch hoch. Zum Ausgleich haben die Regierung von George W. Bush und Neu-Delhi 2008 ein Abkommen unterzeichnet, im Rahmen dessen sich Washington verpflichtetet, den zivilen Kernenergiesektor Indiens mit Nukleartechnologie Made in the USA auszubauen. Weil Indien kein Unterzeichnerstaat des Atomwaffensperrvertrags ist, hätten Washington mit Neu-Delhi das Abkommen eigentlich nicht abschließen dürfen. Nichtsdestotrotz hat die Bush-Regierung bei der Nuclear Suppliers Group (NSG) eine Sondergenehmigung für das umstrittenen Geschäft zwischen Indien und den USA durchgeboxt. Die Vorzugsbehandlung Indiens durch die USA, nur damit Washington Neu-Delhi in seine Containment-Strategie gegenüber dem Iran und China integrieren konnte, hat nicht nur die Pakistaner verärgert, sondern auch international den Glauben vieler Beobachter am Sinn und Zweck des Atomwaffensperrvertrages erschüttert.

Die Retourkutsche für ihr damaliges eigenmächtiges Handel in Bezug auf Indien bekommen die USA dieser Tage von China präsentiert. Zur Linderung der Energiekrise in Pakistan beabsichtigt die Volksrepublik, in Chasma in der Provinz Punjab zwei Kernkraftwerke, die zusammen 680 Megawatt an Strom produzieren, zu bauen, und will das lukrative Geschäft von der NSG, die diese Woche in der neuseeländischen Stadt Christchurch tagt, abgesegnet bekommen. Pakistan verfügt bereits über zwei Atommeiler: den von den Kanadiern gebauten Chasma-1 (Inbetriebnahme 1972) und den von den Chinesen gebauten Chasma-2 (Inbetriebnahme 1999).

Bereits im Vorfeld des Treffens in Neuseeland hatte die Regierung Barack Obamas sich gegen das chinesisch-pakistanische Ansinnen ausgesprochen, weil es gegen die Richtlinien der 46 Länder zählenden NSG verstößt, die Nuklearexporte in Länder, die dem Nicht-Verbreitungsvertrag nicht beigetreten sind und sich der Kontrolle durch die internationale Atomenergieagentur (IAEA) nicht unterworfen haben, verbieten. Die Regierungen in Peking und Islamabad weisen den Einwand aus Washington mit dem Argument zurück, daß das in Februar bekanntgewordene Geschäft ein Nachfolgeprojekt ist, das aus dem Bau zweier chinesischer Kernkraftwerke in Pakistan hervorgeht und das beide Seiten noch vor dem Beitritt der Volksrepublik zur NSG im Jahre 2004 vereinbart hatten.

Schon 2008 hatte Washington von seiner Ablehnung des geplanten Baus von Chasma-3 und Chasma-4 keinen Hehl gemacht. Doch nun sind die Pläne konkreter und ist die Not der Pakistaner dringender. Hinzu kommt, daß die Volkschinesen offenbar nicht bereit sind, ein Veto seitens der NSG zu akzeptieren, nachdem dasselbe Gremium vor zwei Jahren das große indisch-amerikanische Atomgeschäft durchgewunken hatte. Deswegen kündigte der diplomatische Korrespondent der BBC, Jonathan Marcus, am 20. Juni in einem Bericht für deren Onlinedienst über das bevorstehenden NSG-Treffen einen "Showdown der Nuklearmächte in der Pakistanfrage" an, während es am darauffolgenden Tag in der pakistanischen Zeitung The Nation hieß, in Christchurch stehe der "Zusammenstoß" Washingtons und Pekings bevor. Da Peking mit dem Beitritt zur NSG den Eintritt der Volksrepublik in den zivilen Atomhandel auf der internationalen Ebene bezweckte, ist nicht zu erwarten, daß sich die Chinesen einfach über deren Regeln hinwegsetzen. China wird auf eine Sondergenehmigung pochen, und mit einer deutlichen Verschlechterung der Beziehungen zwischen den USA und der Volksrepublik ist zu rechnen, wenn es keine bekommt.

Parallel zu den schwierigen Beratungen der NSG sieht sich Washington mit dem Problem konfrontiert, daß Pakistan auf den geplanten Bau der Gaspipeline aus dem Iran beharrt. Am 13. Juni haben Vertreter Islamabads und Teherans ein weiteres Zwischenabkommen über die Umsetzung des 7,6 Milliarden Dollar teuren Prestigeprojektes unterzeichnet. Ab Mitte 2014 sollen in der pakistanischen Provinz Sindh die ersten Gaslieferungen aus South Pars ankommen. 25 Jahre lang soll der Iran täglich ein Million Kubikmeter Erdgas in das östliche Nachbarland exportieren. Bei einem Treffen in Islamabad hat Richard Holbrooke, Obamas Sondergesandter für die Af-Pak-Region, seine pakistanischen Gäste unter Hinweis auf das sich vor dem Hintergrund des sogenannten "Atomstreits" verschärfende Sanktionsregime der USA und ihrer Verbündeten gegen Teheran unmißverständlich vor einem Einstieg ins Gasgeschäft mit den Iranern gewarnt.

Noch am selben Tag hat Pakistans Außenminister Shah Mehmood Qureshi die unwillkommene Warnungen Holbrookes zurückgewiesen und das Festhalten Islamabads an dem Geschäft mit Teheran bekräftigt. Qureshi stellte sogar die Möglichkeit in den Raum, daß Pakistan an der Pipeline doch noch Transitgebühren verdienen könnte. Seit Indien aus dem IPI-Projekt ausgestiegen ist, ist China als künftiges Endziel für die iranisch-pakistanische Erdgaspipeline im Gespräch. Diese Idee durchkreuzt die Pläne der USA, die seit 2001 einen erbitterten Krieg gegen die Taliban in Afghanistan führen, nicht zuletzt um ihren eigenes Projekt einer Pipeline von Turkmenistan nach Pakistan und Indien zu verwirklichen.

22. Juni 2010