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ASIEN/669: Petraeus soll Irak-"Erfolg" in Afghanistan wiederholen (SB)


Petraeus soll Irak-"Erfolg" in Afghanistan wiederholen

Washingtons Lieblingsgeneral soll den militärischen Ruf der USA retten


Seit dem spektakulären Rücktritt von US-General Stanley McChrystal als Oberkommandierender der International Security Assistance Force (ISAF) und der an der Operation Enduring Freedom (OEF) beteiligten Streitkräfte in Afghanistan am 23. Juni stellen sich Politbeobachter und -kommentatoren nicht nur in den USA die Frage, ob es seinem designierten Nachfolger General David Petraeus gelingen wird, am Hindukusch für eine Verbesserung der militärischen Lage der NATO zu sorgen. Die Frage drängt sich auf. Im Juni wurde der Einsatz in Afghanistan zum längsten Krieg in der Geschichte der USA, während in jenem Monat erstmals die Anzahl der gefallenen amerikanischen Soldaten die Marke von 1000 überschritten hat. Ausgerechnet am Tag des Rücktritts von McChrystal wurde der Juni 2010 mit bis dahin 76 gefallenen Soldaten zum blutigsten Monat für die NATO seit dem Einmarsch im Oktober 2001 (Inzwischen sind es 93).

Die Antwort auf die Frage nach Petraeus' Erfolgsaussichten läßt sich deshalb nicht einfach beantworten, weil die USA bis heute die Welt im Unklaren über die wahren Ziele des Militäreinsatzes in Afghanistan gehalten haben. Ursprünglich marschierten die Streitkräfte der USA und ihrer Verbündeten mit der Begründung ein, es ginge ihnen um die Festnahme Osama Bin Ladens, des mutmaßlichen Drahtziehers der Flugzeuganschläge vom 11. September 2001. Später stellte sich heraus, daß die damalige Regierung von George W. Bush ohnehin für den Herbst 2001 einen Krieg gegen die Taliban geplant hatte, weil sich diese bei Geheimgesprächen unter anderem in Berlin weigerten, einem Konsortium unter der Leitung der US-Firma Unocal den Zuschlag für den Bau einer Öl- und Gaspipeline vom Kaspischen Meer zum Indischen Ozean zu geben und statt dessen an ihrer Zusage gegenüber dem argentinischen Energieunternehmen Bridas festhielten. Dieser Umstand erklärt, warum die Bush-Regierung auch nichts von dem Angebot der Taliban, Bin Laden gegen Vorlage entsprechender gerichtlich relevanter Beweise an ein neutrales Drittland zwecks Strafrechtsprozesses auszuliefern, wissen wollte und es als indiskutabel ausschlug.

Interessant in diesem Zusammenhang ist auch die Tatsache, daß die USA mit der behaupteten Schuld Bin Ladens am 9/11-Massaker vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen ein Mandat zum Einmarsch in Afghanistan erhielten, jedoch bis heute die dieser Behauptung zugrundeliegenden "Beweise", deren Vorlage damals US-Außenminister Colin Powell versprochen hatte, bis heute noch nicht auf den Tisch gelegt haben. Der Grund dafür ist, daß sie vermutlich in etwa so stichhaltig wie die "Beweise" sind, die derselbe Powell bei seinem unvergeßlichen Auftritt am 5. Februar 2003 vor dem UN-Sicherheitsrat in Bezug auf die Existenz von "Massenvernichtungswaffen" im Irak und eines "finsteren Nexus" zwischem dem damaligen Baath-"Regime" Saddam Husseins und der Terrortruppe Bin Ladens präsentierte.

Daß es Bin Laden trotz der Umzingelung in seinem Bergverlies Tora Bora Ende 2001 gelungen ist, sich nach Pakistan abzusetzen und daß die US-Streitkräfte ihn bis heute nicht gefangengenommen haben, stärkt den Verdacht, daß seine mutmaßliche Verwicklung in die Anschläge auf das New Yorker World Trade Center und das Pentagon in Arlington nur ein Vorwand war, um umfassendere geopolitische Pläne der USA zu verwirklichen. Jedenfalls haben die US-Streitkräfte mit Hilfe afghanischer Warlords aus dem Norden des Landes Anfang 2001 die Taliban-Regierung gestürzt und Anfang 2002 den früheren Unocal-Vertreter und CIA-Kontaktmann Hamid Karsai in Kabul als neuen afghanischen Präsidenten installiert.

Als 2008 Barack Obama für die Präsidentschaft der USA kandidierte, empfahl er sich als derjenige, der Amerikas Soldaten aus dem Irak nach Hause holen würde. Um nicht von der demokratischen Parteikollegin und Mitbewerberin Hillary Clinton sowie dem republikanischen Konkurrenten, dem Vietnamkriegsveteranen Senator John McCain, als realitätsfremden Friedensaktivisten abgestempelt zu werden, der zur Übernahme der Verantwortung als Oberkommandierender der US-Streitkräfte nicht geeignet sei, betonte Obama immer wieder, er wolle den "echten" Antiterrorkrieg in Afghanistan, den die Bush-Regierung angeblich vernachlässigt hätte und der deshalb in der Zwischenzeit wieder virulent geworden war, führen und zwar bis zum bitteren Ende. Kaum im Amt im Januar 2009, sah sich der Hoffnungsträger der demokratischen Basis von den Militaristen in der eigenen Partei sowie bei den Republikanern bedrängt, sein Versprechen in Bezug auf Afghanistan einzulösen.

Auf Anraten von dem Ex-CIA-Chef und Verteidigungsminister Robert Gates, den Obama als Zeichen der Kontinuität von der Bush-Administration übernommen hatte, dem Vorsitzenden der Vereinigten Stabschefs, Admiral Michael Mullen, und dem CENTCOM-Chef General David Petraeus zog Obama Armeegeneral David McKiernan als ISAF- und OEF-Oberkommandeur ab und schickte an seiner Stelle General Stanley McChrystal nach Afghanistan. McChrystal gilt als Protégé von Petraeus. Als 2007 Petraeus für eine gewisse Beruhigung der Lage im Irak gesorgt hatte, hatte ihm McChrystal als Leiter der Spezialstreitkräfte zur Seite gestanden. Als Belohnung für die gute Arbeit im Irak hatte Bush jun. Petraeus 2008 zum CENTCOM-Chef mit Verantwortung für die ganze Region zwischen Somalia und Afghanistan befördert.

Die Entsendung McChrystals nach Afghanistan war der Versuch des Pentagons, die Eskalationsstrategie einschließlich einer deutlichen Aufstockung der Anzahl der vor Ort stationierten US-Soldaten, die scheinbar im Irak funktioniert hatte, in Afghanistan zu reproduzieren. Doch von Anfang an gab es innerhalb der Obama-Regierung Zweifel, ob die Strategie gelingen würde. Zum Zeitpunkt, als Petraeus das Kommando im Irak übernommen hatte, war der Aufstand von Al Kaida in Mesopotamien fast niedergeschlagen - 2006 hatten McChrystals Killerkommandos Abu Musab Al Zarkawi bereits getötet -, und der Bürgerkrieg zwischen Sunniten und Schiiten hatte sich fast ausgetobt. Hauptsächlich durch finanzielle Zuwendungen und die Einstellung vieler ehemaliger Aufständischer als regierungtreue Milizionäre hat Petraeus die sunnitischen Widerstandsgruppen zum Waffenstillstand bewogen. Langfristige politische Überlegungen haben den jungen schiitischen Prediger Muktada Al Sadr dazu veranlaßt, die eigene Mahdi-Armee zunächst zu demobilisieren. Im Vergleich zum früheren Chaos der Jahre 2005 und 2006 herrscht im Irak seitdem ein instabiler Friede, der jedoch ständig von Attentaten und Überfällen gefährdet bzw. unterbrochen wird. Destabilisierend wirkt sich die bisherige Unfähigkeit der irakischen Parteien im Bagdad aus, sich nach dem Parlamentswahlen im Frühjahr auf die Bildung einer tragfähigen Regierung zu einigen.

Die nicht allzu rosige Lage im Irak und die sich verschlechternde Lage am Hindukusch vor Augen, nahm sich Obama im letzten Jahr ordentlich Zeit, um sich auf den neuen Kurs in Afghanistan festzulegen. Bereits im Sommer drängte McChrystal auf die Entsendung von 40.000 US-Soldaten, ließ seine Pläne an die Presse durchsickern und stellte den Vizepräsidenten Joseph Biden, der innerhalb der Regierung für eine Verringerung der Truppenpräsenz und statt dessen mehr Drohnenangriffe auf Al-Kaida- und Taliban-Ziele im der Grenzregion Pakistans plädierte, in der Öffentlichkeit als Dummschwätzer in militärischen Angelegenheiten dar. Die spätere Enthüllung des US-Botschafters in Kabul, General a. D. Karl Eikenberry, der einige Jahre zuvor McChrystals Vorgesetzter in Afghanistan gewesen war, zeigte, daß die Einwände der Gruppe der sogenannten "Realisten" um Biden nicht ungerechtfertigt waren.

Wie dem auch sei. Im Dezember 2009 bekam McChrystal von Obama seine Truppenaufstockung - um 30.000 statt um 40.000 Mann. Doch vorher hatte der neue US-Präsident mit Mullen und Petraeus bei einem Treffen im Oval Office des Weißen Hauses sich versichern lassen, daß er innerhalb von 18 Monaten wieder mit dem Abzug der Soldaten würde beginnen können (In dem neuen Buch über das erste Amtsjahr des ersten schwarzen Präsidenten Amerikas, "The Promise: President Obama, Year One" von Jonathan Alter, wird nämliches Gespräch der drei Männer ausführlich geschildert). Daraufhin hat Obama bei der Bekanntgabe der neuen Afghanistan-Strategie anläßlich einer Rede an der Offiziersschmiede West Point den Juli 2011 als Datum für den Beginn des Truppenabzugs festgelegt.

Doch wegen des mangelnden Erfolges der neuen Afghanistan-Strategie haben in den letzten Wochen McChrystal und Petraeus - ersterer in dem Rolling-Stone-Artikel, dessen Veröffentlichung zu seiner Entlassung führte, letzterer bei einem Aufritt vor dem Verteidigungsausschuß des Senats - durchblicken lassen, daß sie sich nicht zwingend an das Datum gebunden fühlten und statt eine Reduzierung einzuleiten, bald auf eine Erhöhung der gegen die Taliban kämpfenden Soldaten drängen würden. Angesichts dieser Entwicklung kamen Obama die Flappsigkeiten von McChrystal und dessen Stab gegenüber dem Rolling-Stone-Reporter Michael Hastings mehr als gelegen. Er konnte den immer selbstherrlicher agierenden McChrystal feuern und ihn durch Petraeus, den Urheber der neuen Auftstandskämpfungslehre des Pentagons, auch COIN genannt, ersetzen.

Wenn es um eine Wiederholung des Irak-Erfolges in Afghanistan gehen soll, dann höchstens um irgendwelche Etappensiege, damit die USA so schnell wie möglich die verlustreichen Kämpfen herunterfahren können. Vermutlich deshalb soll Karsai über Vermittlung von Pakistans Militär und Geheimdienst erste Gespräche mit Sirajuddin Hakkani, neben Mullah Omar und Gulbduddin Hekmatyar dem wichtigsten Kommandeur der Anti-NATO-Kräfte aufgenommen haben. Doch wie Richard Haass vom Council on Foreign Relation (CFR) vor wenigen Tagen deutlich gemacht hat, wollen die USA in Afghanistan - so wie im Irak - einige Basen und mehrere tausend Soldaten dauerhaft stationieren. Bisher lehnen die Taliban und ihre Verbündeten ein solches Szenario als inakzeptabel ab.

28. Juni 2010