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ASIEN/678: Gipfel der Farce - Internationale Afghanistan-Konferenz in Kabul (SB)


Besatzungsmächte und Marionettenregierung simulieren Fortschritte


Die westlichen Besatzungsmächte und die Kabuler Marionettenregierung Hamid Karsais inszenieren heute in der afghanischen Hauptstadt einen Gipfel der Farce zur fortgesetzten Täuschung der US-amerikanischen und europäischen Heimatfront - denn daß sich die Zivilgesellschaft Afghanistans, die nur mit einem einzigen Sitz in der Zusammenkunft vertreten ist, etwas von diesem Blitzbesuch ausländischer Potentaten verspricht, darf doch sehr bezweifelt werden. Zur größten Konferenz in Kabul seit mehr als drei Jahrzehnten sind hochrangige Vertreter von mehr als 60 Ländern und Organisationen angereist, die in nur sieben Stunden die Inszenierung vorab festgelegter Verlautbarungen über die Bühne bringen. Die krude Mixtur aus geballter politischer Präsenz und von vornherein ausgeschlossener Debatte läßt zweifelsfrei erkennen, daß eine Berücksichtigung einheimischer Bestrebungen außer jenen des Regierungslagers, die man unmöglich mit den Bedürfnissen und Wünschen der Bevölkerung in Einklang bringen kann, nicht vorgesehen ist. Wo nicht einmal mehr der Versuch unternommen wird, die Einbeziehung breiter gestreuter einheimischer Interessen wenigstens in Erwägung zu ziehen, bricht sich die unverhohlene Willkür des Okkupationsregimes Bahn.

Zum Auftakt der Konferenz stellte Präsident Hamid Karsai seine Pläne vor, aufständische Taliban in die Gesellschaft zu integrieren. Die Afghanen hätten sich bei der Friedensdschirga Anfang Juni darauf verständigt, "die Hand auch bewaffneten Gegnern zu reichen, die gewillt sind, die Verfassung zu akzeptieren und sich vom Terrornetzwerk Al Kaida loszusagen". [1] Dagegen ist einzuwenden, daß die sogenannte Friedensdschirga ihrerseits eine Farce war, die angesichts einer höchst selektiven Auswahl der geladenen Teilnehmer nie und nimmer für "die Afghanen" sprechen kann. Wenn Karsai zudem als Bedingung vorhält, Überläufer müßten sich von Al Kaida lossagen, ist das insofern absurd, als deren Kämpfer nur eine verschwindende Minderheit der Aufstandsbewegung ausmachen.

Karsai bat um Zustimmung für ein groß angelegtes Aussteigerprogramm: "Von unseren internationalen Partnern erwarten wir daher, unserer Friedensinitiative zuzustimmen und diese zu unterstützen." Der Plan sieht vor, bis Ende 2015 etwa 36.000 Aufständische in die afghanische Gesellschaft zu reintegrieren. So soll einerseits Mitläufern der Taliban der Ausstieg durch finanzielle und materielle Hilfe erleichtert werden, während man andererseits auch mit ranghohen Kommandeuren über ein Ende der Gewalt verhandelt will. Ihnen könnten unter anderem Straffreiheit und Exil in einem sicheren Drittstaat in Aussicht gestellt werden. Nach einem Vorschlag der afghanischen Regierung soll ein Beschäftigungsprogramm aufgelegt werden, um Überläufern Zukunftsperspektiven zu bieten. Dafür wird ein 350-Millionen-Euro-Fonds eingerichtet, an dem sich Deutschland mit 50 Millionen beteiligt. Die Gesamtkosten des Plans sind auf umgerechnet mehr als 600 Millionen Euro veranschlagt, wobei Karsai betonte, Afghanistan verfüge für die nächsten drei Jahre über genügend ausländische Finanzmittel.

Der afghanische Präsident strebt bis 2014 die Übernahme der Verantwortung für die Sicherheit an: "Ich bleibe entschlossen, daß unsere afghanischen Sicherheitskräfte für alle militärischen und strafrechtlichen Operationen in unserem Land bis 2014 verantwortlich sind." Das Jahr 2014 für den Zeitpunkt der "Übergabe in Verantwortung" wird auch im Schlußprotokoll der Konferenz explizit genannt. Bereits beim NATO-Gipfel, der im Herbst in Lissabon stattfindet, sollen die ersten Provinzen ausgewählt werden, die schon ab 2011 unter afghanische Verwaltung kommen könnten.

Wie US-Außenministerin Hillary Clinton erklärte, dürfe man den Zeitpunkt, an dem die afghanische Regierung die Verantwortung im Land vollständig übernehmen muß, nicht unbegrenzt hinausschieben. Daß die Besatzungsmächte jedoch keineswegs vorhaben, Afghanistan freiwillig zu verlassen, unterstrich sie mit den Worten, die Afghanen könnten auch für die Zeit nach dem Abzug der US-Soldaten einer Unterstützung seitens der USA sicher sein. Der für Juli kommenden Jahres geplante Beginn des Truppenabzugs sei "der Beginn einer neuen Phase, nicht das Ende unseres Engagements. Wir haben keinerlei Absicht, unsere langfristige Aufgabe aufzugeben, ein stabiles, sicheres und friedliches Afghanistan zu schaffen." Nach den Worten Clintons wollen die USA auch nach dem Abzug ihrer Soldaten weiter bei der Ausbildung der afghanischen Sicherheitskräfte helfen und den Aufbau der Wirtschaft in dem krisengeschüttelten zentralasiatischen Land unterstützen. [2] In Klartext übersetzt, strebt Washington also eine wenngleich im Umfang reduzierte, so doch unbegrenzte militärische Präsenz wie auch den fortgesetzten Zugriff auf die Bodenschätze und Wirtschaft des Landes an.

Zugleich verlangte Clinton von der Regierung in Kabul, diese müsse trotz "ermutigender Fortschritte" den Kampf gegen Korruption verstärken: "Es bleibt noch viel Arbeit zu erledigen." Daß der Karsai-Clan zu den herausragenden Akteuren der Korruption in Afghanistan gehört, ließ die US-Außenministerin unerwähnt. Die afghanische Führung muß sich zu Fortschritten bei der sogenannten guten Regierungsführung verpflichten, die regelmäßig von einem internationalen Gremium überprüft werden sollen. Eine positive Tendenz ist die Voraussetzung dafür, daß künftig bis zu 50 Prozent der Entwicklungshilfe über die afghanische Regierung in das Land gelenkt werden - für Karsai also eine derart attraktive Beute, daß er dafür das Blaue vom Himmel herunter verspricht. [3]

Die sattsam bekannte Taktik, immer neue Übergabetermine aus dem Hut zu zaubern und sie zugleich zu relativieren, setzte auch NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen fort. Wie er erklärte, würden die internationalen Einsatzkräfte auch nach der Übergabe der Verantwortung an Afghanistan das Land nicht sofort verlassen. Die Übergabe werde schrittweise erfolgen und "von den Voraussetzungen, nicht von Terminen" abhängen. "Und wenn das passiert ist, werden die internationalen Kräfte nicht abziehen. Sie werden dann eine Unterstützerrolle einnehmen." Bundesaußenminister Guido Westerwelle stieß ins selbe Horn als er erklärte, die deutsche Unterstützung werde weitergehen. Auch das Kontingent der Bundeswehr soll ab 2011 nur schrittweise reduziert werden.

In krassem Widerspruch zu den hochfliegenden Fortschrittsprognosen der Konferenzteilnehmer standen die verschärften Sicherheitsvorkehrungen. Dabei ist in Kabul der Ausnahmezustand ohnehin Normalität. In kaum einer anderen Stadt der Welt ist die Präsenz von Soldaten und Polizisten auf den Straßen so massiv und die Zahl der mit meterhohen Schutzmauern, Stacheldraht und Betonsperren geschützten Gebäude so hoch. Dennoch wurden die Vorkehrungen in den letzten Wochen noch einmal deutlich erweitert. Tausende Sicherheitskräfte sind aufgeboten, die an Dutzenden zusätzlichen Checkpoints Wache stehen und Kontrollen durchführen.

Auf die sogenannte Friedensdschirga Anfang Juni, an der 1.600 geladene Gäste aus verschiedenen Regionen teilnahmen, wurden von Aufständischen Anschläge verübt. Während der Eröffnung des Treffens schlug eine Rakete nur 150 Meter vom Tagungszelt entfernt ein. In Reaktion auf diesen Zwischenfall entließ Karsai den Innenminister und den Geheimdienstchef. Auch im aktuellen Fall konnte der gewaltige Sicherheitsaufwand Angriffe nicht völlig verhindern. Am Sonntag brachte ein Attentäter in der Nähe der Straße, über die die Delegationen in gepanzerten Fahrzeugen vom Flughafen zum Außenministerium rollen sollten, einen Sprengsatz zur Explosion. Dabei starben außer ihm selbst noch drei weitere Afghanen, 45 wurden verletzt. Der Angreifer war auf einem Fahrrad unterwegs gewesen und wollte eigentlich einen Konvoi der internationalen Besatzungstruppe ISAF treffen. Kurz vor Beginn der Konferenz wurde Kabul dann mit mehreren Raketen beschossen, die in der Nähe des Flughafens einschlugen. Bei dem nächtlichen Angriff sei niemand verletzt worden, teilte das afghanische Innenministerium mit. Da der Flughafen jedoch gesperrt werden mußte, verzögerte sich die Anreise von UN-Generalsekretär Ban Ki Moon und Schwedens Außenminister Carl Bildt. Die dänische Außenministerin Lene Espersen konnte deswegen überhaupt nicht teilnehmen.

Guido Westerwelle hatte bei seiner Ankunft in Kabul die Hoffnung geäußert, daß das von den Afghanen "selbstgesetzte Ziel" von der internationalen Staatengemeinschaft "gemeinsam vereinbart und bekräftigt" werde. Damit konnte er kaum schiefliegen, wo doch das Schlußdokument der Konferenz längst fertig vorlag. Sich mit der "internationalen Staatengemeinschaft" gleichzusetzen, ist für die westlichen Mächte zudem so gang und gäbe, daß auch darüber heutzutage kaum noch jemand stolpern dürfte. Der deutsche Außenminister konnte erneut auf die große "Signalwirkung" der Veranstaltung abheben und lobend betonen: "Das ist die erste Konferenz über Afghanistan in Afghanistan." Besser wäre natürlich gewesen, wenn es sich um die erste derartige Zusammenkunft von Afghanen für Afghanen gehandelt hätte, aber so viel Selbstbestimmung konnte selbst Westerwelle nicht herbeifabulieren. Deshalb sprach er ebenso blumig wie vage von einer "Wegmarke" hin zur Übergabe der Verantwortung an die afghanische Regierung.

Deutschland hat als Teil des Besatzungsregimes offiziell die Verantwortung für die Nordregion. Die Bundeswehr ist mit bis zu 5.350 Soldaten in Mazar-i-Sharif, Kundus und Faisabad sowie in Kabul im Einsatz, woran sich im Prinzip allen Abzugsgerüchten zum Trotz auch so schnell nichts ändern wird. Deutsche Delegationskreise zeigten sich denn auch zufrieden, daß im Schlußdokument der internationalen Afghanistan-Konferenz in Kabul ein "konkretes Zeitziel" genannt wird, als ließe sich die Realität des permanenten Krieges durch die bloße Nennung fiktiver Übergabefristen erfolgreich leugnen.

Anmerkungen:

[1] Afghanistan-Konferenz. Karsai will Taliban integrieren (20.07.10)
http://www.focus.de/politik/ausland/afghanistan-konferenz-karsai-will-taliban-integrieren_aid_532272.html

[2] Anschlag auf Kabul-Konferenz verhindert (20.07.10)
http://www.tagesanzeiger.ch/ausland/asien-und-ozeanien/Anschlag-auf-KabulKonferenz-verhindert/story/18324451

[3] Kleine Schritte. Wegmarken für den Abzug (20.07.10)
http://www.fr-online.de/in_und_ausland/politik/aktuell/2866356_Kleine-Schritte-Wegmarken-fuer-den-Abzug.html

20. Juli 2010