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ASIEN/679: Sicherheitsexzeß in Kabul - Konferenz in einer Geisterstadt (SB)


Obszöner Aufwand zur Abschottung der ausländischen Blitzbesucher


Das Zentrum Kabuls glich einer Geisterstadt, als die mehr als 60 hochrangigen ausländischen Politiker und Repräsentanten internationaler Organisationen am 20. Juli mit Präsident Hamid Karsai zur internationalen Afghanistankonferenz zusammentrafen. Der Widerspruch zwischen den dort abgesonderten Zukunftsperspektiven und der Realität im Land hätte nicht größer sein können, was um so mehr für die Ferne dieser Politinszenierung von den Lebensverhältnissen der Bevölkerung galt. Müßig zu fragen, wie viele hungernde Afghanen man mit dem obszönen finanziellen Aufwand für die Zusammenkunft ein Jahr lang ernähren könnte, denn um das vielzitierte Wohlergehen der Menschen geht es bei diesem Okkupationsregime und seiner fast neun Jahre währenden Kriegsführung am allerwenigsten.

So tief saß die Furcht vor Anschlägen des Widerstands, daß die ausländische Prominenz nicht nur nach wenigen Stunden simulierter Tagung fluchtartig das Weite suchte, sondern überdies in einer Hauptstadt zusammengekommen war, die unter beispiellosen Sicherheitsvorkehrungen regelrecht stillgelegt wurde. Ein afghanischer Reporter der New York Times sprach von einer "eingefrorenen Stadt, in der sich die Menschen nicht bewegen durften und es niemanden gab, den die Taliban töten konnten". [1] So streng waren die verhängten Auflagen, daß sich außer Soldaten, Polizisten und wenigen eigens gekennzeichneten Zivilisten, die das Konferenzgelände betreten konnten, in dessen weitem Umfeld niemand auf der Straße blicken lassen durfte.

Nach Angaben des Innenministeriums waren 13.000 Polizisten in Kabul im Einsatz und Tausende weitere in Bereitschaft, da man unter allen Umständen ein Debakel wie bei der sogenannten Friedensdschirga im Juni verhindern wollte. Damals war trotz weitreichender Sicherheitsvorkehrungen das Zelt, in dem sich die geladenen Gäste versammelt hatten, während der Eröffnungsrede Karsais mit schweren Waffen beschossen worden. Im Vorfeld der internationalen Afghanistankonferenz war es Lastwagen schon seit mehreren Tagen verboten, ins Stadtgebiet einzufahren. Am Montagmorgen begannen Einheiten von Armee, Polizei und Geheimdienst, alle wichtigen Kreuzungen mit ihren Fahrzeugen zu blockieren und jeglichen Verkehr lahmzulegen. Gegen Mittag waren die Hauptstraßen wie leergefegt, wobei insbesondere im Umfeld des Außenministeriums, in dem die Konferenz stattfinden sollte, Totenstille einkehrte. Zudem wurde das Gebiet um die Botschaften der USA, Britanniens und Kanadas sowie das NATO-Hauptquartier zur Sperrzone erklärt.

Am Dienstag durften selbst Fußgänger eine Zone im Umkreis von etwa drei Kilometer um den Konferenzort nicht mehr betreten, und noch weit außerhalb dieses Gebiets wurden Fahrzeuge an Kontrollposten angehalten und gründlich durchsucht. Vielerorts in der Hauptstadt sah man Gruppen bewaffneter Männer, deren Uniformen oder Tarnanzüge auf den ersten Blick an Soldaten der regulären Streitkräfte erinnerten, bis man die Armbinden mit dem Abzeichen irgendeines privaten Sicherheitsunternehmens erkannte. Das afghanische Innenministerium hat zahllose Lizenzen vergeben und damit neue Milizen herangezüchtet, die unter dem Deckmantel scheinbarer Legalität die Interessen ihrer Auftraggeber durchsetzen, ob es sich dabei nun um Kriegsherrn, Drogenhändler, einheimische Geschäftsleute oder ausländische Unternehmen handelt. [2]

Mit welcher Arroganz die ausländischen Politiker und ihre einheimischen Kollaborateure zu Lasten der Kabuler Bevölkerung abgeschottet wurden, unterstrichen die weitreichenden Einschränkungen und Einbußen im Gefolge dieses Spektakels. Die Bewohner der Hochsicherheitszone durften ihre Häuser nicht einmal verlassen, um sich Grundnahrungsmittel zu kaufen, von anderen wichtigen Gängen ganz zu schweigen. Viele kleine Geschäfte mußten vorübergehend schließen, Straßenhändler wurden vertrieben und auf den am Stadtrand aufgehaltenen Lastwagen verrotteten riesige Mengen Obst und Gemüse. Unzählige arme Leute, die tagtäglich von der Hand in den Mund leben, mußten samt ihrer Familie am Konferenztag hungern, damit die hochgestellten Herren in ihren gepanzerten Limousinen ungeschoren den Tagungsort erreichen und dort ungestört ihre vorgefertigten Erklärungen abgeben konnten, wie man mit Afghanistan in den nächsten Jahren zu verfahren gedenkt.

Schätzungen zufolge leben inzwischen bis zu fünf Millionen Menschen in der afghanischen Hauptstadt, die in den Kriegsjahren durch Flüchtlingsströme über alle Maßen angeschwollen und von wachsenden Elendsquartieren durchsetzt und gesäumt ist. Kabul, das sind arme Kinder, die in verseuchten Gewässern nach Eßbarem fischen, ausgemergelte Bettler auf den Straßen, Kleinhändler auf der verzweifelten Suche nach Kunden, Erwerbslose, die vergebens ihre Arbeitskraft feilbieten. Kabul, das sind teure Geländewagen einheimischer Profiteure und ausländischer Organisationen, die hupend durch das Meer des Elends kreuzen, das die Insassen dieser Karossen fürchten und verachten.

Wissen Hillary Clinton, Ban Ki Moon, Anders Fogh Rasmussen, Guido Westerwelle und die anderen Blitzbesucher Kabuls, zu welchem Preis sie geschützt wurden, wie die Menschen in diesem Land leben und was die Afghanen von ihnen halten? Sie sind durch ein Universum von ihnen getrennt, das sich nicht nach Flugstunden, sondern Macht und Herrschaft bemißt. Räumliche Annäherung oder besser gesagt deren Vortäuschung ist manchmal nicht zu vermeiden, was die Kosten des Sicherheitsaufwands in astronomische Höhen treibt. Diesen Preis ist es allemal wert, wenn man wie die US-Außenministerin Normalität in Kabul inszeniert, um alle Welt wissen zu lassen, daß die Vereinigten Staaten nicht von ihrer Vision abrückten. Zu viele Nationen hätten zu hohe Verluste erlitten, als daß man dieses Land zurückrutschen lassen werde. [3]

Daß die schwersten Verluste der Afghanen wie um sich greifende Armut, sinkende Lebenserwartung, hohe Opferzahlen in der Bevölkerung und extreme Unsicherheit unmittelbar auf den Krieg und das Besatzungsregime der westlichen Mächte zurückzuführen sind, erwähnte Clinton nicht. Wohl aber kündigte sie den Menschen am Hindukusch an, welche Zukunft man ihnen in Washington zugedacht hat. Der von Präsident Obama angekündigte Beginn des Truppenabzugs im Juli 2011 sei nicht das Ende des Engagements, sondern der Auftakt zu einer neuen Phase. Bevor die Außenministerin Afghanistan verließ, um nach Südkorea weiterzureisen, zog sie einen direkten Vergleich zwischen den beiden Ländern. Südkorea gehöre zu den engsten Verbündeten der USA, die anderen Ländern sehr viel länger als acht Jahre durch dick und dünn beigestanden hätten, so Clinton. Bedenkt man, daß fast 60 Jahre nach dem Koreakrieg noch immer rund 28.000 US-Soldaten im Südteil der koreanischen Halbinsel stationiert sind, muß man wohl von der unverhohlenen Drohung aus dem Munde der US-Außenministerin sprechen, daß die Amerikaner nicht vorhaben, Afghanistan je wieder zu verlassen.

Anmerkungen:

[1] Kabul Conference: A City Under Lockdown (20.07.10)
New York Times

[2] A City Tour for V.I.P.'s Attending the Kabul Conference (20.07.10)
New York Times

[3] Afghan conference endorses indefinite occupation (22.07.10)
World Socialist Web Site

22. Juli 2010