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ASIEN/702: Karsai-Regierung nimmt Gespräche mit den Taliban auf (SB)


Karsai-Regierung nimmt Gespräche mit den Taliban auf

Hillary Clinton erwartet keine Telefonanrufe von Mullah Omar


Ungeachtet eines in den letzten Wochen deutlichen Anstiegs der Bombenanschläge und Überfälle der Taliban, der Luftangriffe der NATO in Südafghanistan und der per Drohne durchgeführten Raketenangriffe der CIA auf Ziele im pakistanischen Grenzgebiet scheinen die ersten informellen Friedensgespräche zur Beendigung des inzwischen über neun Jahre andauernden Krieges in Afghanistan angelaufen zu sein. Hatte zuletzt am 11. Oktober Richard Holbrooke, US-Präsident Barack Obamas Sondergesandter für Afghanistan und Pakistan - Af-Pak - die Behauptung des afghanischen Präsidenten Hamid Karsai, Kabul führe bereits informelle Diskussionen mit einigen Führungsmitgliedern der Taliban durch, als Märchen aus Tausendundeinernacht abgetan, so dauerte es nur drei Tage, bis die Beteuerungen des ehemaligen Bosnien-Beauftragten Bill Clintons als Irreführung der Medien entlarvt wurden. Am Rande einer NATO-Konferenz der Außen- und Verteidigungsminister in Brüssel wurde am 14. Oktober nicht nur offiziell bestätigt, daß die Gespräche zwischen der Karsai-Regierung und den Aufständischen angelaufen sind, sondern auch, daß die Truppen der nordatlantischen Allianz den Taliban-Vertretern freies Geleit nach Kabul gewähren.

Gegenüber der Presse erklärte NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen, die westlichen Streitkräfte würden "praktische Hilfe" leisten, um die Gespräche zu ermöglichen, ohne dabei konkrete Angaben zu machen. Gleichwohl insistierte der ehemalige dänische Premierminister, daß der "Prozeß der politischen Versöhnung" von den Afghanen selbst "angeführt" werde. Die Angaben Fogh Rasmussens wurden wiederum von US-Verteidigungsminister Robert Gates bestätigt. Die USA seien zwar nicht direkt an den innerafghanischen Beratungen beteiligt, stünden dabei jedoch der Karsai-Regierung als "Partner" mit Rat und Tat zur Seite. Schließlich müsse Washington wissen, was besprochen werde, während Kabul die Interessen der USA zu berücksichtigen habe, so Gates.

Wiewohl eine Versöhnung zwischen den afghanischen Bürgerkriegsparteien möglich erscheint, stehen die Ziele der USA und der Taliban einander diametral entgegen. Die Anhänger des 2001 untergegangenen Islamischen Emirats verlangen den Abzug aller ausländischen Streitkräfte aus Afghanistan, dafür deutet der umfangreiche Basenausbau der Amerikaner darauf hin, daß das Pentagon auf Jahre oder sogar Jahrzehnte hinaus eine Truppenpräsenz am Hindukusch zu behalten beabsichtigt. Diese langfristigen Pläne des US-Militärs könnten den von Barack Obama für Juli 2011 angekündigten Truppenabzug noch zur Makulatur verkommen lassen.

Am Rande des NATO-Gipfels hat sich Außenministerin Hillary Clinton positiv über die jüngste Initiative Karsais um Frieden in Afghanistan geäußert, gleichzeitig aber Skepsis verbreitet, was die Möglichkeit einer Einbindung der höchsten Talibanführungsebene in die neuen politischen Strukturen betrifft. Nach Einschätzung der ehemaligen First Lady und Senatorin von New York sei es "sehr unwahrscheinlich", daß sich Mullah Muhammed Omar und seine engsten Vertrauten mit den ehemaligen Feinden von einst wie Burhanuddin Rabbani, dem Leiter des neuen von Karsai ernannten Friedensrates, der von 1992 bis zur militärischen Niederlage seiner Nordallianz Afghanischer Präsident war, versöhnen würden. Doch ausschließen könne man im Kriege nichts, so Clinton. In die gleiche Kerbe schlug am selben Tag US-Außenamtssprecher P. J. Crowley, der meinte, die Talibanführung um Mullah Omar sei mit Osama Bin Ladens Al-Kaida-"Netzwerk" "an der Hüfte gebunden", also würde sie vermutlich "keine positive Rolle" beim angelaufenden afghanischen "Friedensprozeß" spielen. Die Bestimmtheit, mit der Crowley seine Einschätzung des heutigen Stands des Verhältnisses zwischen den beiden Schwagern Omar und Osama äußerte, verwundert, hat doch CIA-Chef Leon Panetta noch im Juni eingeräumt, daß die US-Geheimdienste "seit den frühen 2000ern" über keine verläßlichen Erkenntisse in Bezug auf den Al-Kaida-Chef verfügen.

16. Oktober 2010