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ASIEN/728: Washington handelt mit Kabul militärische Dauerpräsenz aus (SB)


Abzug der US-Streitkräfte auch nach 2014 nicht vorgesehen


Das offensichtliche Vorhaben der US-Besatzer, sich dauerhaft in Afghanistan einzunisten und dort ungeachtet eines wie auch immer terminierten Abzugs erheblicher Teile der Kampftruppen eine Reihe permanenter Stützpunkte zu unterhalten, stößt in der Region auf wachsende Kritik. Wenngleich es angesichts der US-amerikanischen Dauerpräsenz im Irak und des unablässigen Ausbaus von Militärbasen am Hindukusch nie ein Geheimnis war, daß die US-Truppen auf unabsehbare Zeit im Land zu bleiben gedenken, war doch die offizielle Lesart bislang eine andere. Sprach die Obama-Administration zunächst vom Juli 2011 als Termin für den beginnenden Truppenabzug, so verlegten sich US-Regierung und NATO später auf den Terminus "Transition", in deren Verlauf die Kontrolle bis 2014 vollständig an die einheimischen Sicherheitskräfte übergeben werden soll. Inzwischen verhandeln die Regierungen in Washington und Kabul über eine sogenannte Strategic Partnership Declaration, die auf eine Vereinbarung über dauerhafte US-Stützpunkte nach 2014 hinausläuft. Die formellen Gespräche über ein derartiges Abkommen begannen im März unter Leitung Marc Grossmans, Nachfolger des im Dezember verstorbenen Richard Holbrooke als Sondergesandter der Obama-Administration für Afghanistan und Pakistan. [1]

Wie aus diplomatischen Kreisen verlautete, hatten die Amerikaner in der Vergangenheit große Probleme, auch nur einen einzigen Stützpunkt in dieser Weltregion zu etablieren. In Afghanistan biete sich ihnen nun die Möglichkeit, zwischen Pakistan und dem Iran so viele Stützpunkte zu errichten, wie sie nur wollten, weshalb sie sich diese Gelegenheit um keinen Preis entgehen ließen. Dabei finden sie bei der Marionettenregierung in Kabul ein offenes Ohr, die mit der Präsenz der Besatzungsmächte steht und fällt. Der afghanische Sicherheitsapparat ist so aufgebläht, daß ihn zu unterhalten geschätzte 10 Milliarden Dollar im Jahr und damit das Zehnfache der jährlichen Steuereinkünfte der Regierung verschlingen dürfte. Da viele Gelder aus den USA und NATO-Staaten direkt in sogenannte Aufbauprojekte fließen, ist die Regierung in Kabul bestrebt, größere Kontrolle über diesen Zustrom an Subventionen zu erlangen. Doch selbst wenn ihr das gelingen sollte, ist nicht abzusehen, wie sie ohne den Rückhalt der Besatzungsmächte ihre Stellung halten könnte.

Wie man den Taliban beibringen soll, mit denen die Karsai-Regierung erste Verhandlungen aufgenommen hat, daß die Besatzungstruppen weit über 2014 hinaus im Land bleiben, ist schleierhaft. Die Kräfte des Widerstands gegen die Okkupation haben stets darauf bestanden, daß alle ausländischen Truppen abgezogen sein müßten, bevor man Friedensverhandlungen führen und zum Abschluß bringen könne. Daß überhaupt Gespräche geführt werden, ist schon ein Kompromiß, der nur auf Grundlage des angeblich terminierten Abzugs möglich war. Eine Dauerpräsenz US-amerikanischer Stützpunkte ist für die Taliban inakzeptabel, da dies de facto einer Verlängerung des Krieges oder eines nicht hinzunehmenden Besatzungsregimes auf Jahrzehnte hinaus gleichkäme.

Die New York Times zitiert Mullah Attullah Lodin, stellvertretender Vorsitzender des Hohen Friedensrats für Afghanistan, der den Versöhnungsprozeß mit den Taliban herbeiführen soll, mit den Worten, die Amerikaner seien in dieser Angelegenheit nicht ehrlich gewesen. Der eine erkläre, man errichte keine Stützpunkte, der andere sage, man baue sie doch - das sei sehr verwirrend. Unter diesen Umständen sei an ernsthafte Friedensgespräche mit den Taliban kaum zu denken, die den Abzug aller ausländischen Soldaten verlangten.

Diesem Einwand begegnet Karsais nationaler Sicherheitsberater, Rangin Dadfar Spanta, mit dem wenig stichhaltigen Argument, Versöhnung und strategische Beziehungen widersprächen einander nicht. Schließlich verfolge man dieselben Ziele, nämlich Frieden und Stabilität im Land wie auch die Beseitigung aller Rückzugsräume und Stützpunkte des Terrorismus. Was immer im Rahmen des Konstrukts Strategic Partnership Declaration ausgehandelt wird, muß durch die nationale Loya Jirga geschleust werden, um eine Art Referendum zu simulieren. Selbst wenn sich die Kabuler Regierung einer solchen mehr oder minder handverlesenen Zusammenkunft zu bedienen versucht, ist nicht abzusehen, wie sie dieser die Zustimmung zu einer ständigen Gegenwart ausländischer Streitkräfte abringen wollte.

Auch die Regierungen vieler Nachbarländer reagieren empfindlich auf die absehbare Dauerpräsenz der US-Truppen in Afghanistan. Der iranische Innenminister eilte ebenso nach Kabul wie die nationalen Sicherheitsberater Rußlands und Indiens, um ihre Bedenken zur Geltung zu bringen. Wie Stepan Anikejew, politischer Berater an der russischen Botschaft in Kabul, unterstrich, unterstütze man die Entwicklung Afghanistans aus eigener Kraft, was insbesondere für die Zeit nach 2014 gelte. Wie aber sollte eine Transition angesichts permanenter US-Stützpunkte möglich sein?

In einer Rede vor der Asia Society am 18. Februar hatte US-Außenministerin Hillary Clinton behauptet, man strebe keine permanenten Militärstützpunkte in Afghanistan an. Man dürfe die Bemühungen der USA und ihrer Verbündeten, ein langfristiges Rahmenabkommen für eine bilaterale Kooperation zu schaffen, nicht als Absicht mißverstehen, das Land gegen den Willen seiner Bevölkerung zu besetzen. Marc Grossman versicherte bei seinem Besuch in Moskau Ende März dasselbe, so daß man davon ausgehen kann, daß dies die offizielle Sprachregelung der Obama-Administration ist.

Afghanische Regierungsvertreter haben bereits eingeräumt, daß langfristige US-Stützpunkte über 2014 hinaus Teil der gegenwärtig geführten Gespräche seien. Langfristige Abkommen seien auf vielen Gebieten durchaus üblich, wobei es in diesem Fall ausschließlich um die künftige Ausbildung der afghanischen Streitkräfte gehe. Damit ist die Katze aus dem Sack, wie man die Dauerpräsenz offiziell zu verkaufen gedenkt - nämlich genauso wie im Irak. Da man nicht davon ausgehen kann, daß die Afghanen selbst oder ihre Nachbarn diese Kröte schlucken und die Sprachregelung wider besseres Wissen für bare Münze nehmen, stellt sich die Frage, wie die US-Regierung ihre Ziele durchzusetzen hofft.

Offenbar glaubt man in Washington unbeirrt an den militärischen Erfolg, der alle flankierenden Pseudoerklärungen ohnehin zur Makulatur macht. Dieser Durchbruch auf dem Feld der Kriegsführung ist für die Besatzungstruppen trotz ihrer Aufstockung jedoch weniger denn je in Sicht, mußten die Okkupationsstreitkräfte doch vor wenigen Tagen die schwersten Verluste seit fast einem Jahr hinnehmen. Mit einer Serie von Bombenanschlägen kündigte der Widerstand den Beginn der Frühjahrsoffensive an.

In einem aktuellen Interview mit Associated Press weigerte sich Präsident Obama anzugeben, wie viele US-Soldaten ab Juli aus Afghanistan abgezogen werden sollen. Statt dessen wand er sich in der Ausflucht, konkrete Zahlen werde er nicht nennen, bis ihm General Petraeus die erforderlichen Informationen gegeben habe. Alles hänge von den Bedingungen vor Ort ab, weshalb er warte, bis ihm Petraeus eine klare Empfehlung gegeben habe. [2]

Damit steht fest, daß die militärische Führung und ihre Überzeugung, mit genügend Feuerkraft und Counterinsurgency werde man den Widerstand brechen, den Ausschlag gibt und folglich die US-amerikanische Truppenpräsenz nicht zeitlich terminiert wird. Verteidigungsminister Robert Gates erklärte vor wenigen Wochen, der Auftakt zur traditionellen Kampfsaison in Afghanistan werde der "Lackmustest" der Truppenaufstockung durch die Obama-Administration sein. Ähnliche Worte hat man seit fast zehn Jahren in jedem Frühjahr gehört.

Anmerkungen:

[1] Talks on U.S. Presence in Afghanistan After Pullout Unnerve Region (19.04.11)
New York Times

[2] US occupation in Afghanistan hit by string of bombings (19.04.11)
World Socialist Web Site

20. April 2011