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ASIEN/779: Myanmars Muslime - Opfer der "Öffnung" zum Westen? (SB)


Myanmars Muslime - Opfer der "Öffnung" zum Westen?

Washington und Naypyitaw kommen sich näher - auf Kosten Pekings



Die "demokratische Öffnung" Myanmars nach zwanzig Jahren Diktatur gilt als eine der bedeutendsten außenpolitischen Erfolge der Regierung von US-Präsident Barack Obama im allgemeinen und von Außenamtschefin Hillary Clinton im besonderen. Die Wiederaufnahme von diplomatischen, militärischen und wirtschaftlichen Kontakten zu Myanmar stellt eine wichtige Komponente der neuen Pazifik-Strategie Washingtons dar, mit der die aufstrebende Volksrepublik China in ihren Entfaltungsmöglichkeiten "eingedämmt" werden soll. Bis 2011 galt China als größter Investor in Myanmar. Nun stehen die umfangreichen Pläne Pekings bezüglich der Zusammenarbeit mit Naypyitaw in den Sternen. Der Bau einer großen Öl- und Gaspipeline, die den Südwesten der Volksrepublik mit dem Indischen Ozean verbinden und damit den langen Seeweg durch die Straße von Malakka und das Südchinesische Meer überflüssig machen sollte, ist hochgradig gefährdet, seit es in Myanmars Westprovinz Rakhine zu blutigen Progromen der buddhistischen Mehrheitsbevölkerung gegen die muslimische Minderheit kommt.

Im Juni kam es zu Übergriffen der Buddhisten auf die Muslime in der Hafenstadt Kyaukpyu, wo in Rakhine die chinesische Pipeline beginnen soll. Die Gewalttäter wollten sich angeblich für die Vergewaltigung und der Ermordung einer buddhistischen Frau rächen. Die Tat soll von einem oder mehreren Moslems begangen worden sein. Ob sich besagter Vorfall so zugetragen hat, wie allgemein kolportiert, ist bis heute unklar. Bei den Ausschreitungen, die sich über ganz Rakhine ausbreiteten, kamen mehr als 50 Menschen ums Leben. Die große Mehrheit der Opfer sind Angehörige der muslimischen Volksgruppe der Rohingya. Rund 5.000 Wohnungen, 17 Moscheen, 15 Kloster und drei Schulen wurden niedergebrannt. Tausende Familien flohen über die nördliche Grenze in das benachbarte Bangladesch, während weitere 70.000 Menschen bis heute in irgendwelchen Flüchtlingslagern in der Nähe der Provinzhauptstadt Sittwe dahinvegetieren. Einige der Flüchtlinge, die per Fischerboot der Gewaltorgie zu entkommen versuchten, wurden von der Kriegsmarine Bangladeschs an der Anlandung gehindert und nach Myanmar zurückgeschickt. Am 10. Juni sah sich die Regierung in Naypyitaw gezwungen, über Rakhine den Notstand zu verhängen und Soldaten zur Befriedung der Provinz zu entsenden.

Es fällt unangenehm auf, daß sich Myanmars Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi kaum bis gar nicht für die Muslime in Rakhine einsetzt. Das gleiche gilt für ihre Gastgeber in Europa und Nordamerika, als Myanmars demokratische Lichtgestalt im Sommer ihre erste Auslandsreise seit 20 Jahren absolvierte und unter anderem in Dublin, London, Oslo und Washington groß gefeiert wurde. Die Zurückhaltung Suu Kyis in dieser Frage läßt sich nur dadurch erklären, daß die Politikerin genauso wie die meisten ihrer buddhistischen Landsleute die Moslems, speziell die Angehörigen der Volksgruppe der Rohingya, die hauptsächlich in Rakhine angesiedelt sind, für ausländische Eindringlinge hält. Nach einem Gesetz aus dem Jahr 1982 werden die Rohingya ausdrücklich nicht als Bürger Myanmars anerkannt, und in einer gerade im Juli von den Behörden in Naypyitaw veröffentlichten Liste der 135 Ethnien des Landes sind sie nicht aufgeführt worden. Am liebsten würde man die rund 800.000 Rohingya allesamt nach Bangladesh abschieben, obwohl die Volksgruppe in Rakhine - dem ehemaligen Königreich Arakan - nachweislich seit Jahrhunderten lebt.

Am 24. Oktober brachen in Kyaukpyu erneut schwere Ausschreitungen aus, die tagelang anhielten. Buddhistische Rakhinesen griffen Rohingya und Angehörige der offiziell anerkannten Minderheit der Kaman, die ebenfalls Moslems sind, an. Medienberichten zufolge fielen dabei 100 Menschen der Gewalt zum Opfer, Hunderte Personen wurden verletzt. Da viele Menschen noch als vermißt gelten, könnte die Zahl der Ermordeten und Verletzten noch um einiges höher sein. Rund 30.000 Menschen mußten ihre Häuser verlassen. Hunderte Wohnungen wurden in Brand gesteckt. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) veröffentlichte am 27. Oktober Satellitenbilder die zeigen, daß das Rohingya-Viertel von Kyaukypu fast gänzlich niedergebrannt wurde. In einer Presseerklärung der in London ansässigen Burmese Rohingya Organisation UK hieß es, daß 120 Muslime, die mit Booten zu fliehen versuchten, von Rakhinesen aufgebracht worden seien. Die Angreifer hätten alle Männer getötet und die Frauen vergewaltigt.

Bezeichnenderweise ereignete sich der erneute Gewaltausbruch in Rakhine nur wenige Tage nachdem eine ranghohe, 30köpfige Delegation der US-Regierung Naypyitaw besucht und mit den Amtskollegen dort einen sogenannten "Menschenrechtsdialog" eröffnet hatte. Angeführt wurde die aus Vertretern des nationalen Sicherheitsrates im Weißen Haus, des Pentagons und des Amtes für Heimatschutzes sowie von Generalleutnant Francis Wiercinski, dem Oberbefehlshaber der Landstreitkräfte beim US-Pazifikkommando (PACOM) zusammengesetzte Delegation von Michael Posner, den für Demokratie, Menschenrechte und Arbeit zuständigen Staatssekretär im US-Außenministerium. Es scheint, als waren die Diskussionen im Militärbereich, wie zum Beispiel über die Teilnahme Myanmars am Kriegsspiel Cobra Gold im kommenden Jahr in Thailand und die Wiederaufnahme der Ausbildung von Offizieren aus dem südostasiatischen Staat in den USA, die seit der Niederschlagung der Demokratiebewegung 1988 ausgesetzt gewesen ist, wichtiger als die Erörterung der Frage der Menschenrechte der muslimischen Rohingya.

1. November 2012