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ASIEN/814: China und Vietnam streiten über Bohr- und Seerechte (SB)


China und Vietnam streiten über Bohr- und Seerechte

Hanoi über die Stationierung der Bohrinsel HYSY 981 erzürnt



Durch die provokante Positionierung der gigantischen Tiefsee-Bohrinsel HYSY 981 in Gewässern des Südchinesischen Meeres, die sowohl von China als auch von Vietnam beansprucht werden, hat Peking Anfang Mai eine neue Front im Streit der Anrainerstaaten um die dortigen Ressourcen eröffnet. Erst Ende April hatte US-Präsident Barack Obama bei einer Reise durch die Region die Sicherheitsgarantie der USA für Japan nicht nur erneuert, sondern auch auf die umstrittenen Senkaku-Inseln - die von den Chinesen Diaoyu genannt und ebenfalls beansprucht werden - ausgedehnt und ein neues, umfassendes Militärabkommen mit den Philippinen, das Enhanced Defense Cooperation Agreement (EDCA), abgeschlossen, das die Stationierung amerikanischer Kriegsschiffe, Militärflugzeuge und Landstreitkräfte in der Inselrepublik vorsieht. Mit der HYSY 981-Operation haben die Chinesen nun demonstrativ den von Washington hingeworfenen Fehdehandschuh aufgenommen.

Seit Jahren liegt China mit den Nachbarstaaten am Südchinesischen Meer, allen voran Vietnam und den Philippinen, im Streit. Chinas exklusive Wirtschaftszone, die sich nach dem Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen bis zu einer Breite von 200 Seemeilen vor der jeweiligen Küste erstreckt, überschneidet sich im Osten mit der der Philippinen und im Westen mit der von Vietnam. Rund 178 Seemeilen südöstlich der chinesischen Insel Hainan und 216 Seemeilen östlich von Vietnam liegen die Paracels. Auf der kleinen Inselgruppe können die Chinesen eine lange Besiedlung vorweisen, weshalb sie sie 2012 offiziell zu einem Teil der Präfektur Hainans erklärt haben. Durch die vorab unangekündigte Stationierung der HYSY 981 in einem Gebiet unweit der rohstoffreichen Paracels, die von China und Vietnam gleichermaßen beansprucht werden, läßt Peking gegenüber Hanoi die Muskeln spielen. Die Bohrinsel wird von Booten der chinesischen Küstenwache und angeblich auch von Schiffen der Volksmarine begleitet. Seit Tagen liefern sich diese mit der vietnamesischen Marine ein nicht ungefährliches Katz-und-Maus-Spiel, bei dem sich beide Seiten bedrängen und mit Wasserwerfern beschießen. Zu vereinzelten Schiffskollisionen ist es bereits gekommen.

Das selbstherrliche Verhalten des kommunistischen Bruderstaats hat die Ein-Partei-Regierung in Hanoi, die gegenüber Peking bisher nicht so konfrontativ wie die Manilas aufgetreten ist, in Bedrängnis gebracht. Seit Tagen kommt es in der vietnamesischen Hauptstadt zu lautstarken Protesten vor der chinesischen Botschaft. In den Medien und in den elektronischen Sozialnetzwerken sieht sich die vietnamesische Staatsführung dem Vorwurf der Nachgiebigkeit und der Schwäche bei der Wahrung der Nationalinteressen ausgesetzt. Die Hoffnungen Vietnams, beim Treffen der ASEAN-Staaten am 10. und 11. April in Naypyidaw, der Hauptstadt Myanmars, eine Verurteilung Chinas zu erreichen, sind nicht in Erfüllung gegangen. Statt dessen ging vom ASEAN-Gipfel nur ein Appell aus, alle Beteiligten möchten sich um Zurückhaltung bemühen und ihre Dispute um das Südchinesische Meer mit friedlichen Mitteln beilegen. Beobachter halten es daher für möglich, daß sich Vietnam der Klage gegen China, welche die Philippinen Ende März beim Internationalen Seegerichtshof in Hamburg eingereicht haben, anschließen wird.

In einer ausführlichen Analyse, die am 8. April unter der Überschrift "China drills its hardpower reserves" bei der Asia Times Online erschienen ist, hat Peter Lee, Betreiber des informativen Blogs "China Matters", den chinesischen Vorstoß mit der HYSY 981 als Signal gedeutet, daß Peking nicht mehr die Konfrontation vermeiden, sondern die gegen die Volksrepublik gerichtete Eindämmungsstrategie der USA im pazifischen Raum offen in Frage stellen will. Nach Ansicht Lees nutzt die Regierung in Peking den Streit mit Vietnam, um die operativen Fähigkeiten der sich stetig modernisierenden Volksmarine unter Beinahe-Kriegsbedingungen zu testen und zugleich ein warnendes Signal an die Philippinen und Japan zu senden. Die Regierungen in Manila und Tokio sollten es sich demnach zweimal überlegen, ob sie sich auf das Versprechen der USA, ihnen im Ernstfall militärisch beizustehen, verlassen oder vielleicht doch lieber einen Modus vivendi mit der neuen Supermacht vor der Haustür finden wollen.

Neben der versteckten Kriegsdrohung kann die Volksrepublik gegenüber Vietnam, Japan und den Philippinen die wirtschaftliche Karte ausspielen und tut es auch. Genau wie die anderen Staaten Ost- und Südostasiens sind die japanischen, philippinischen und vietnamesischen Volkswirtschaften viel enger mit der Chinas verflochten als mit der der USA. Vor dem Gang Manilas nach Hamburg soll die Volksrepublik den Philippinen ein recht großzügiges Angebot zum Ausbau der bilateralen wirtschaftlichen Beziehungen unterbreitet haben. Derzeit versucht Peking mit ähnlichen Anreizen die Konfrontation mit Vietnam und Japan um die Paracels beziehungsweise Senkaku/Diaoyu-Inseln beizulegen.

Bekanntlich betreiben auch China und die USA seit mehr als zwanzig Jahren einen extrem regen Handel. Die USA sind der größte Markt für chinesische Waren, wodurch sich die Volksrepublik zu dem mit Abstand größten Käufer und Besitzer amerikanischer Staatsanleihen entwickelt hat. Aufgrund der gestiegenen ökonomischen Potenz möchte China die Position einer Ordnungsmacht im asiatisch-pazifischen Raum einnehmen oder zumindest in den eigenen Küstengewässern nicht mehr mit dem US-Militär in der Weltpolizistenrolle konfrontiert werden. Kontrollfahrten von US-Flugzeugträgern durch die Taiwanstraße, jedesmal, wenn es zu Streß zwischen Peking und Taipeh kommt, oder großangelegte Manöver amerikanischer und südkoreanischer Marineeinheiten im Ostchinesischen Meer, wenige Hundert Kilometer Luftlinie von der chinesischen Hauptstadt entfernt, sind Phänomene, mit denen sich die Führung der Volksrepublik nicht mehr abfinden will. Ob sich die regionalen Hegemonialinteressen Chinas mit den internationalen der USA ohne militärische Auseinandersetzungen austarieren lassen, wird sich noch zeigen.

12. Mai 2014