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ASIEN/847: Afghanistans Taliban fordern US-Truppenabzug von Trump (SB)


Afghanistans Taliban fordern US-Truppenabzug von Trump

Bundeswehr sieht sich durch Angriff in Masar-i-Scharif herausgefordert


Überall auf der Welt reagiert man mit Staunen und Irritation auf den Überraschungssieg des republikanischen Baumagnaten und Fernsehstars Donald Trump über den demokratischen Politprofi Hillary Clinton bei der US-Präsidentenwahl am 8. November. In diplomatischen Kreisen stellt man sich nun auf den neuen und potentiell isolationistischen Kurs Trumps, der "Amerika wieder groß machen" will, ein. Für die afghanischen Taliban dagegen hat das Ergebnis des demokratischen Prozesses zur Ermittlung des Volkswillens in den USA nichts verändert. An Trump haben die Kampfgefährten des 2013 verstorbenen Mullah Mohammed Omar dieselbe Botschaft wie zuvor an seine Vorgänger George W. Bush und Barack Obama gerichtet und ihre Kernforderung nach dem Abzug aller fremdländischen Streitkräfte aus Afghanistan wiederholt. Man kann davon ausgehen, daß sich Trump gegenüber der Aufforderung der Taliban genauso taub wie Bush jun. und Obama zeigen wird. Schließlich steht nach Ansicht Washingtons am Hindukusch die "Glaubwürdigkeit" der USA und der NATO auf dem Spiel. Der Truppenabzug käme einer Niederlage für die "westliche Wertegemeinschaft" gleich und sei deshalb inakzeptabel. Darum dürfte der längste Krieg in der Geschichte der US-Streitkräfte, dessen Ende nicht absehbar ist, zum Leid der afghanischen Bevölkerung, dafür aber zur Freude der US-Rüstungsindustrie einfach weitergehen.

In einer Meldung der Nachrichtenagentur Reuters vom 9. November wurde die Mitteilung der Taliban an Trump wie folgt wiedergegeben: "Unsere Botschaft lautet, die Amerikaner sollten eine Politik verfolgen, welche andere Nationen nicht um die Unabhängigkeit und Souveränität bringt. Am wichtigsten sei, daß sie alle ihre Truppen aus Afghanistan abziehen sollen." In der Vergangenheit haben die Taliban mehrmals im Gegenzug angekündigt, dafür zu sorgen, daß kein "Terrorismus" von Afghanistan aus in andere Länder exportiert werde, sowie auf ihr früheres Nein zur Schulbildung für Mädchen und Frauen zu verzichten. In den letzten Jahren hat es mehrere Anläufe gegeben, die Bedingungen für Friedensverhandlungen unter Teilnahme der Taliban, der USA, der Regierung von Präsident Ashraf Ghani in Kabul, Pakistans und Chinas zu schaffen. Zuletzt sollen Vertreter der Taliban und der Obama-Regierung im September und Oktober in Doha zu informellen Vorgesprächen zusammengetroffen sein, deren Ergebnis, sofern es eins gegeben hat, bis heute nicht bekannt geworden ist.

Noch am Tag der US-Präsidentenwahl haben sich die Taliban im Internet zu Wort gemeldet, um den Plan, demnächst eine große Konferenz prominenter islamischer Geistlichkeiten zum Thema Afghanistan in Saudi-Arabien abzuhalten, scharf zu kritisieren. Schließlich waren Saudi-Arabien, Pakistan und die Vereinigten Arabischen Emirate die einzigen Staaten, die das 1996 von den Taliban nach der Einnahme Kabuls ausgerufene Islamische Emirat Afghanistan bis zu dessen geographischem Untergang nach dem Einmarsch amerikanischer Truppen im Herbst 2001 formal anerkannt hatten und mit ihm diplomatische Beziehungen pflegten. Jenes Emirat der Taliban existiert heute nur noch virtuell. In dessen Namen führen Taliban-Gesandte hinter den Kulissen Gespräche mit anderen Staaten.

In einer Botschaft an die "edlen Gelehrten der islamischen Welt" haben die Taliban die geplante Konferenz als kruden Versuch Kabuls abgetan, die Erhebung gegen die ausländischen "Aggressoren" in Afghanistan zu delegitimieren, und zum Boykott aufgerufen. "Der verbrecherische Feind will den dschihadistischen Aufstand der afghanischen Nation durch irreführende Propaganda, psychologische Kriegsführung, hinterhältige Komplotte, falsche Fatwas und andere nicht-militärische Taktiken wie Friedensprozesse bezwingen. ... Sie wollen den heiligen Dschihad in Afghanistan, der auf der Schwelle des Erfolgs steht, als ungesetzliches Blutvergießen, das gegen die Scharia verstößt und den Begriff Dschihad beschmutzt, brandmarken."

Auf die markigen Worte ließen die Taliban in der Nacht vom 10. auf den 11. November Taten folgen, als sie mittels eines mit Sprengstoff gefüllten, von einem Selbstmordattentäter gelenkten Fahrzeugs einen verheerenden Anschlag auf das deutsche Konsulat in Masar-i-Scharif durchführten. Die Bombe hat das Gebäude sehr schwer beschädigt. Infolge der Explosion und des anschließenden Feuergefechts zwischen weiteren Taliban-Kämpfern und Mitgliedern der afghanischen Sicherheitskräfte wurden mindestens vier Menschen getötet und 128 verletzt. Das Konsulatspersonal, das sich während des Angriffs in einen "gesicherten Raum" flüchten konnte, wurde anschließend auf einen rund zehn Kilometer von Masar-i-Scharif gelegenen Stützpunkt, auf dem 850 Soldaten der Bundeswehr sowie weitere 1000 aus anderen Staaten stationiert sind, gebracht.

In einer Bekennerbotschaft haben die Taliban den Angriff als Vergeltung für die Luftangriffe bezeichnet, die vor einer Woche mindestens 32 Bewohnern eines Dorfes bei Kundus das Leben gekostet und und rund 70 weitere schwer verletzt zurückgelassen hatten. Wenige Stunden nach dem Überfall auf das deutsche Konsulat haben Bundeswehrsoldaten in Masar-i-Scharif zwei Männer, die auf einem Motorrad unterwegs waren und angeblich trotz Aufforderung nicht zum Stehen gekommen waren, erschossen. Später stellte sich heraus, daß die beiden Toten keine Verbindung zu den Taliban hatten, sondern einfache Kellner in einem Restaurant in der nordafghanischen Stadt waren. Solche Vorfälle, die am laufenden Band passieren, lassen erkennen, wie schwierig bis unmöglich es für ausländische Soldaten in Afghanistan ist, zwischen Freund und Feind, zwischen Zivilisten und Kombattanten zu unterscheiden und warum eine militärische Lösung des Dauerproblems Afghanistan für die NATO illusorisch ist und bleiben wird.

11. November 2016


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