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ASIEN/933: Koreakonflikt - Neustart ... (SB)


Koreakonflikt - Neustart ...


Für Asienkenner nicht gänzlich unerwartet, aber dennoch für die große Öffentlichkeit überraschend hat sich US-Präsident Donald Trump am 30. Juni mit dem nordkoreanischen Staatsratsvorsitzenden Kim Jong-un an der De-Militarisierten Zone (DMZ) getroffen - jenem vier Kilometer breiten und 250 Kilometer langen, durch Zehntausende Soldaten, unzählige Minen und gigantische Mengen an Stacheldraht gesicherten Streifen am 38. Breitengrad, der seit 1953 Nord- und Südkorea trennt. Bei der Gelegenheit avancierte Trump zudem zum ersten amtierenden US-Präsidenten, der jemals nordkoreanisches Territorium betreten hat. Beim anschließenden Gespräch im Friedensdorf Panmunjom, wo vor 66 Jahren die Militärs den Waffenstillstand unterzeichneten, vereinbarten Kim und Trump im Beisein des südkoreanischen Präsidenten Moon Jae-in die Wiederaufnahme von Friedensverhandlungen.

Ende Februar war das zweite Gipfeltreffen zwischen Kim und Trump in Hanoi ergebnislos zu Ende gegangen. In den Wochen darauf warfen sich beide Seiten gegenseitig vor, das Scheitern der Gespräche verursacht zu haben. Tatsächlich hatten sich die Unterhändler im Vorfeld auf eine Mini-Lösung geeinigt, die eine von internationalen Experten begleitete Demontage der nordkoreanischen Atomanlage Yongbyon gegen die Aufhebung einiger US-Wirtschaftssanktionen vorsah. Statt dessen forderte in der vietnamesischen Hauptstadt die US-Delegation, allen voran der Nationale Sicherheitsberater John Bolton, die komplette Aufgabe aller Kapazitäten Nordkoreas im Bereich der atomaren, biologischen und chemischen Waffen, bevor es auch nur zur geringsten Lockerung der Sanktionsmaßnahmen kommen könne. Als sich Kim, das Schicksal Muammar Gaddhafis vor Augen, weigerte, sich auf das von Bolton favorisierte "libysche Modell" einzulassen, war das Treffen vorzeitig vorbei.

Seitdem herrschte zwischen Nordkorea und den USA mehr oder weniger Funkstille. In der westlichen Presse kursierten im April Berichte, die Nordkorea-Hasser bei der konservativen Opposition in Südkorea in Umlauf gebracht hatten und die sich nachher als völlig falsch herausstellen sollten. Danach hätte Kim wegen des schweren Gesichtsverlustes von Hanoi die nordkoreanischen Unterhändler ins Straflager verbannt bzw. einzelne Vertreter Pjöngjangs bei den Vorgesprächen mit Washington sogar hinrichten lassen. Für eine erste Annäherung sorgte Kim, als er zu Trumps 73. Geburtstag am 14. Juni eine Geburtstagskarte schickte - eine Geste, die der New Yorker Baulöwe per privatem Brief erwiderte.

Währenddessen war Kim an der diplomatischen Front nicht inaktiv gewesen. Am 25. April besuchte er erstmals Rußland, um sich in der ostsibirischen Metropole Wladiwostok mit Wladimir Putin über Möglichkeiten der wirtschaftlichen Zusammenarbeit auszutauschen. Anschließend sprach sich Putin für "Sicherheitsgarantien" für Nordkorea aus, um die angestrebte "Denuklearisierung" der koreanischen Halbinsel voranzutreiben. Am 20. und 21. Juni empfing Kim den chinesischen Präsident Xi Jinping zu seinem ersten Besuch in Nordkorea. In Pjöngjang hob Xi die Bedeutung der chinesisch-nordkoreanischen Freundschaft hervor, lobte Kim wegen des Ausbleibens von Atom- und Raketentests seit über einem Jahr und regte eine Lockerung der internationalen Wirtschaftssanktionen an. Sowohl China, Rußland und Südkorea streben in Nordkorea den Wandel durch Annäherung an. Mittels größerer Infrastrukturprojekte sollen Nord- und Südkorea an das ostasiatische Netz aus Schienen, Straßen sowie Öl- und Gaspipelines angeschlossen und gleichzeitig die politische Trennung auf der Halbinsel langfristig überwunden werden.

Noch vor der Abreise zum G-20-Treffen Ende Juni im japanischen Osaka hatte Trump die Möglichkeit einer Begegnung von ihm und seinem neuen "Freund" Kim angedeutet, doch konkret stand nichts fest. Am zweiten Tag der Osaka-Versammlung der wichtigsten Staats- und Regierungschefs twitterte Trump, er wäre am nächsten Tag in Südkorea, vielleicht möchte Kim ihn kurz treffen, und sei es nur, um Hallo zu sagen und sich gegenseitig die Hand zu geben. Gegenüber Journalisten erklärte Trump, er hätte "gehört", Kim wäre zu einer Zusammenkunft bereit. Von wem er dies gehört hatte, sagte der US-Präsident nicht. Möglicherweise dienten hier Putin und/oder Xi als Vermittler. Auffällig ist jedenfalls, daß Putin in dem großen Interview, das er der Financial Times am Vorabend des G-20-Treffens gab, erneut die Notwendigkeit von "Sicherheitsgarantien" für Nordkorea als Bestandteil einer Friedenslösung betonte. Wie dem auch sei, nach nur wenigen Minuten reagierte das Außenministerium in Pjöngjang auf die Twitter-Meldung Trumps und erklärte, Nordkoreas Staatsoberhaupt würde sich freuen, den "geschätzten" Amtskollegen aus den USA am nächsten Tag zu treffen.

Am späten Nachmittag des 29. Juni reisten Trump und Moon von Osaka ab und flogen in getrennten Maschinen nach Seoul, um dort am Abend im Blauen Haus, dem Amtssitz des südkoreanischen Präsidenten, gemeinsam zu dinieren. Am nächsten Vormittag fuhren Trump und Moon nach Panmunjom. Dort angekommen verblüffte Trump mit einem Sinn für die militärische Wirklichkeit, den die vielen Kritiker bei ihm nicht vermutet hätten. Vor Journalisten wies Trump in nördliche Richtung und erklärte mit ernster Miene: "25 Meilen entfernt in Seoul leben 35 Millionen Menschen. Alle in Reichweite dessen, was sie bereits in den Bergen haben [gemeint waren die schwer eingebunkerten Artilleriegeschütze der Nordkoreaner - Anm. d. SB-Red.]. In Sachen Gefahr gibt es nirgendwo etwas Vergleichbares".

Nach wenigen Minuten erschien dann gut gelaunt der 35jährige Kim, gab Trump an der niedrig-symbolischen Trennungsmauer die Hand und bat ihm auf die nordkoreanische Seite zu kommen. Nach der Aussage "das wäre mir eine Ehre" folgte Trump der Einladung und posierte mit Kim zusammen für die Fotografen. Auch wenn viele Skeptiker die ganze Aktion als die reinste Inszenierung abtaten, so war Südkoreas Präsident Moon ganz anderer Meinung. Er bezeichnete das Ereignis als "historischen" Schritt in die Richtung Entspannung. Hierzu gehörte natürlich der Ausgang des rund einstündigen Dreiergesprächs zwischen Trump, Kim und Moon - nämlich die Aussicht auf erste Lockerungen der Sanktionen, damit Nord- und Südkorea den Industriepark Kaesong wieder eröffnen und im kleinen Maßstab den grenzübergreifenden Handel aufnehmen können. Dies ist für Nordkorea, das aktuell wegen Mißernte unter einer schweren Lebensmittelknappheit leidet, enorm wichtig.

Auffällig am Treffen in Pammunjon war das Fehlen John Boltons, der von Osaka zu einem Treffen mit Vertretern der mongolischen Regierung in Ulan Bator gereist bzw. abkommandiert war. Statt dessen stand Trump der Fox-News-Fernsehmoderator Tucker Carlson zur Seite. Carlson soll diejenige Person gewesen sein, die Trump zwei Wochen zuvor davon abgeraten hatte, den von Bolton präparierten großen Militärschlag gegen den Iran wegen einer über den Persischen Golf abgeschossen US-Spionagedrohne durchzuführen.

Interessanterweise meldete am 1. Juli die New York Times unter Verweis auf "Regierungsquellen" in Washington, die Trump-Administration erwäge doch noch eine schrittweise Beseitigung des nordkoreanischen Atomwaffenprogramms. Auf die NYT-Meldung reagierte Bolton, der sich seit seinen Tagen als Staatssekretär und UN-Botschafter der Regierung George W. Bushs für eine Bombardierung der nordkoreanischen Atomanlagen stark macht, entsetzt. Via Twitter wetterte am selben Tag der Kriegsfalke gegen mögliche Tauben im Weißen Haus: "Das war ein verwerflicher Versuch von jemandem, den Präsidenten einzupacken. Das muß Konsequenzen haben." Seit Wochen kursieren in Washington Gerüchte, wonach Trump Boltons Kriegskurs in allen Belangen überdrüssig ist und daß der Mann mit der Nickelbrille und dem Walroß-Schnauzbart bald nicht mehr der US-Regierung angehören wird. Ganz sicher trüge die Entlassung von Bolton, den die Nordkoreaner in der Vergangenheit als "menschlichen Abschaum" und "Blutsauger" bezeichnet haben, zu einer harmonischeren Atmosphäre zwischen Washington und Pjöngjang bei.

2. Juli 2019


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