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HISTORIE/303: Wie Reagan auf Israels Angriff auf Osirak reagierte (SB)


Wie Reagan auf Israels Angriff auf Osirak reagierte

Geburtsstunde der strategischen Partnerschaft USA-Israel


Im sogenannten Atomstreit mit dem Iran sieht alles danach aus, als werde in den nächsten Tagen der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen auf Drängen vor allem der USA eine vierte Runde diplomatischer und wirtschaftlicher Sanktionen gegen die Islamische Republik verabschieden. Offenbar will die Regierung Barack Obamas von der Anfang Mai von den Brasilianern und Türken mit der Regierung in Teheran ausgehandelten Kompromißlösung, rund die Hälfte des iranischen Bestands an schwach angereichertem Uran in die Türkei auszulagern, wofür im Gegenzug die Iraner innerhalb von zwölf Monaten Brennelemente zur Produktion von Isotopen zur Behandlung von Krebskranken erhielten, nichts mehr wissen, sondern setzt dagegen auf Eskalation der seit Jahren anhaltenden Konfrontation am Persischen Golf.

Die US-Regierung, allen voran Außenministerin Hillary Clinton, tritt für Sanktionen gegen den Iran mit dem Argument ein, dieser Weg sei am besten dazu geeignet, Teheran zur Einstellung der Urananreicherung zu bewegen. Doch jeder, der sich auch nur halbwegs mit der Materie auseinandergesetzt hat, weiß, daß dieses Argument unsinnig ist. Die Iraner weisen den Vorwurf, unter dem Vorwand der Nutzung der zivilen Kernkraft würden sie heimlich an der Atombombe bauen, als böswillige Unterstellung, für die es bis heute keinen wirklich überzeugenden Hinweis gegeben hat, zurück und pochen auf ihr Recht als Unterzeichnerstaat des Atomwaffensperrvertrags auf Zugang zu allen Aspekten des nuklearen Kreislaufs. Für die Iraner - Regierung und Opposition gleichermaßen - ist ihr ziviles Atomprogramm eine Sache des nationalen Prestiges. Es glaubt auch niemand wirklich, daß irgendwelche UN-Sanktionen Teheran zum einseitigen Verzicht auf die Urananreicherung veranlassen werden. Im Gegenteil gibt es Grund für den Verdacht, daß mit den Sanktionen der Atomstreit verschärft werden soll, damit die USA, wenn Teheran nicht klein beigibt, die Begründung für einen Militärangriff parat haben. Nicht umsonst sieht der Resolutionsentwurf Washingtons zur Verhinderung des eventuellen Handels des Irans mit Atom- oder Raketentechnologie Schiffsinspektionen auf hoher See vor, aus denen bekanntlich zwischenstaatliche Krisen - und damit Kriegsvorwände - leicht entstehen.

Vor diesem Hintergrund nimmt die Gefahr, daß es zum Überraschungsangriff auf die iranischen Atomanlagen kommen wird, allmählich zu. Dafür spricht auch die Meldung der Londoner Sunday Times vom 30. Mai, Israel habe seine mit Nuklearwaffen ausgerüsteten U-Boote dauerhaft am Persischen Golf stationiert. Ob im Fall der Fälle der Angriff von den Israelis, für die eine iranische Atombombe angeblich eine "existentielle" Bedrohung ihres Staats darstellt, allein durchgeführt wird und er sich lediglich auf die Atomanlagen erstreckt, oder ob sich die Amerikaner auch daran beteiligen und die Gelegenheit zur Ausschaltung der Revolutionsgarden und eventuell für den Versuch nutzen, einen "Regimewechsel" in Teheran vorzunehmen, ist derzeit nicht ganz klar. Fest steht, daß die Iraner auf der einen Seite, die Amerikaner und Israelis auf der anderen für den großen Showdown ideologisch aufrüsten. Hierfür lieferte der gestrige Tag, der 7. Juni, gleich zwei Beispiele: erstens die Anregung Teherans, unter der Fahne des Roten Halbmonds des Irans einen maritimen Hilfskonvoi zum palästinensischen Gazastreifen zu entsenden, der von Schiffen der Revolutionsgarden begleitet werden soll, und zweitens der Gastkommentar, mit dem Richard Allen in der New York Times bislang unbekannte Details der Reaktion Ronald Reagans auf den israelischen Überraschungsangriff auf den zivilen, mit Hilfe Frankreichs im Bau befindlichen Kernreaktor Tammuz-1 im irakischen Osirak vor 29 Jahren bekanntgab.

Nach dem Überfall der israelischen Marine auf den letzten humanitären Hilfskonvoi am 31. Mai, was mindestens neun Menschenrechtsaktivisten, die meisten von ihnen aus der Türkei, das Leben kostete, mutet der Vorschlag der Regierung von Mahmud Ahmadinedschad wie eine ungeheure Provokation an. Doch in seinem unter der Überschrift "Reagan's Secure Line" erschienenen Gastkommentar für die New York Times, die einflußreichste Zeitung der Welt, legt Allen einen erschreckenden, angsteinflößenden Beleg der unreflektierten Unverfrorenheit und Arroganz offen, die für die Washingtoner Machtelite selbstverständlich zu sein scheint, weshalb auch für sie unverständlich wäre, warum sich jemand daran stören könnte.

Der 1936 geborene Allen, der heute in Washington als Lobbyist hauptsächlich für südkoreanische Unternehmen arbeitet und Mitglied diverser Denkfabriken ist, darunter des alle anderen überragenden New Yorker Council on Foreign Relations (CFR), schreibt in dem Artikel zunächst von seinen Handlungen, als er an jenem 7. Juni 1981, einem Sonntag, auf der Veranda seines Hauses in Arlington, Virginia, einen "kleinen Berg an Stabsmitteilungen, Berichten, diplomatischen Mitteilungen" und anderen Papierkram abarbeitete, plötzlich einen dringenden Anruf aus der Kommunikationszentrale des Situation Room des Weißen Hauses erhielt und um Rückruf über die sichere Leitung, die sich im Keller seines Hauses befand, gebeten wurde. Nachdem er die richtige Nummer über das Zahlenschloß eingegeben, den Panzerschrank geöffnet und über das darin befindliche Sondertelefon mit dem "comm center" des Situation Rooms Kontakt aufgenommen hatte, setzte ihn der wachhabende Offizier davon in Kenntnis, daß sich israelische Kampfjets vom Typ F-15 und F-16 auf dem Heimweg von einem Luftangriff auf Osirak befänden.

Nach Erhalt dieser überraschenden Informationen ließ sich Allen über die Vermittlung im Weißen Haus sofort nach Camp David, dem Landsitz des US-Präsidenten im Bundesstaat Maryland, durchstellen. Er bat den verantwortlichen Offizier dort - Camp David gilt offiziell als Stützpunkt der US-Marine -, den Präsidenten sofort ans Telefon zu holen, nur um zu erfahren, daß Reagan gerade in dem Moment in den Hubschrauber einsteige, vermutlich um nach Washington zurückzufliegen. Unter Androhung schwerer Konsequenzen veranlaßte Allen, daß Reagan doch noch an den Apparat geholt wurde, und erzählt diesem dann von der spektakulären Nachricht aus dem Nahen Osten. Die von Allen aufgebaute Spannung angesichts des amerikanischen Sicherheitsstaats in Aktion löst sich schließlich in Reaganscher Jovialität auf:

Nachdem er einige Sekunden überlegte, fragte er: "Warum, meinen Sie, haben sie das getan?". Meine Antwort lief in etwa darauf hinaus, daß die Israelis nicht wollten, daß der Reaktor in Betrieb geht.

Er wurde still, und über die Telefonleitung kam erneut der Lärm des Hubschraubers. Mit der ihm charakteristischen Gelassenheit fragte er plötzlich: "Nun, wissen Sie was?" Ich sagte: "Nein, Herr Präsident." Seine Erwiderung war natürlich klassisch: "Jungs bleiben eben Jungs!"

Das war typisch Reagan. Er konnte gleichzeitig die langfristigen strategischen Konsequenzen und die Ernsthaftigkeit des Moments erkennen - um dann mit einem markigen Spruch das ganze auf den Punkt zu bringen. Ich sagte ihm, ich würde einen Bericht fertig haben, bis er mit dem Hubschrauber am Weißen Haus gelandet sei.

Am darauf folgenden Tag traf sich im Oval Office der engste Regierungskreis, um mit dem Präsidenten die Bedeutung des Vorfalls zu beraten und zu entscheiden, welche Haltung die USA einnehmen sollten. Laut Allen soll es zu einer "langen und lebhaften Diskussion" gekommen sein. Vizepräsident George Bush, der Stabschef James Baker und der Präsidentenberater Michael Deaver traten "energisch" für Strafmaßnahmen gegen Israel wie eine vorübergehende Einstellung der Waffenlieferungen ein (Schließlich hatten die Israelis die Maschinen und die Munition, mit denen sie den völkerrechtlich illegalen Angriff durchführten - als solcher wurde er wenige Tage später vom UN- Sicherheitsrat verurteilt - aus den USA erhalten). Laut Allen war Verteidigungsminister Casper Weinberger "erzürnt", aber im Tonfall "gemäßigt", während sich Außenminister General a. D. Alexander Haig auf die Seite Israels schlagen wollte, jedoch unter Druck der eigenen Beamten sowie der Verbündeten stand. Der CIA-Chef William Casey hielt sich wie Allen in der Diskussion zurück, angeblich weil beide die Ansichten Reagans, dem sie geholfen hatten, 1980 die Präsidentenwahl gegen den demokratischen Amtsinhaber Jimmy Carter zu gewinnen, gut kannten. Der Präsident äußerte sich wenig und hörte hauptsächlich zu. Allen beschreibt Reagan als jemanden, der sich für Außenpolitik brennend interessierte und daher gut in der Lage war, die richtige Entscheidung in dieser nicht einfachen Situation zu treffen:

Als das Treffen zu Ende ging, blieb ich zurück. Der Präsident schaute von den Papieren auf seinem Schreibtisch auf. "Nun, wie fanden Sie das alles?" fragte er. Ich deutet an, daß er alle Ansichten zu hören bekommen hatte - und daß ich seine Bemerkung am Tag davor gehört hatte. Er lächelte und wandte sich wieder den Papieren auf seinem Schreibtisch zu.

Vor Ende des Jahres hatten die Vereinigten Staaten und Israel ein Abkommen zur strategischen Zusammenarbeit unterzeichnet.

Mit der Veröffentlichung eines entsprechenden Artikels am 2. Juni auf der Website des regierungsnahen Center for Strategic and International Studies (CSIS) in Washington hat der hoch angesehene Militärexperte und Pentagonberater Anthony Cordesman in den entsprechenden Fachkreisen eine heftige Debatte darüber ausgelöst, inwieweit Israel durch seine Siedlungspolitik in den besetzten palästinensischen Gebieten und seine aggressive Haltung gegenüber den Nachbarländern zu einer "strategischen Belastung" für die USA im Nahen Osten geworden ist. Das Erscheinen des bemerkenswerten Gastkommentars Richard Allens zum Thema Osirak in der New York Times legt den Schluß nahe, daß die Israelis in den Führungszirkeln der USA immer noch über einen großen Rückhalt verfügen und daß sie, sollten sie einen Überraschungsangriff auf Irans Atomlagen starten, von diesen auch starke Rückendeckung erwarten dürfen.

8. Juni 2010