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HISTORIE/306: Tony Blair bauschte Bedrohung Irans für Irak auf (SB)


Tony Blair bauschte Bedrohung Irans für Irak auf

Londons Ex-Botschafter in Teheran kritisiert seinen Ex-Regierungschef


Durch die Arbeit der Untersuchungskommission unter der Leitung von Lord Chilcot zu den Gründen der Beteiligung Großbritanniens am Irakeinmarsch der USA im März 2003 wird das Ausmaß der selbstgerechten Arroganz Tony Blairs immer deutlicher. Die Untersuchungskommission findet statt, weil sehr viele Briten bis heute nicht verwunden haben, daß ihr damaliger Premierminister Kabinett, Parlament und Volk belog, um beim Anti-Saddam-Hussein-Feldzug der Regierung von US-Präsident George W. Bush mit von der Partie sein zu können. Nach dem Einmarsch stellte sich bekanntlich das heraus, wovon Millionen von Menschen rund um die Welt ohnehin ausgegangen waren, nämlich daß die Schauergeschichten Londons und Washingtons hinsichtlich Bagdads Massenvernichtungswaffen und Verbindungen zum Al-Kaida-"Netzwerk" Osama Bin Ladens erstunken und erlogen waren. Nachdem Dr. David Kelly im Mai 2003 dem BBC-Journalisten Andrew Gilligan bestätigt hatte, daß Blairs Stab in der Number 10 Downing Street die recht dürftigen Geheimdiensterkenntnisse über die vom Irak Saddam Husseins ausgehende Bedrohung absichtlich aufgebauscht hatte, und die brisante Aussage an die Öffentlichkeit gelangt war, wurde Großbritanniens führender Biowaffenexperte wenige Wochen später unter mysteriösen Umständen in einem Wald in Südengland tot aufgefunden.

Am 7. Juli hat Richard Dalton, der von 2003 bis 2006 britischer Botschafter in Teheran war, eine Reihe von Aussagen gemacht, die das bereits bestehende Bild von Blair als Lügenbaron nur noch befestigen. Über den Auftritt Daltons berichteten am selben Tag auf ihren Websites der britische Rundfunk BBC und die irische Tageszeitung Examiner. Vor der Untersuchungskommission stellte Dalton die Legalität der angloamerikanischen Invasion in Frage und erklärte, diesbezüglich habe Blair "eine Reihe sehr schlechter Entscheidungen" getroffen.

Wegen der ganzen Kritik an dem gewaltsam erzwungenen "Regimewechsel" in Bagdad und dessen schrecklichen Folgen hatte Blair bei seinem Auftritt vor der Chilcot Inquiry im Januar ganz unverfroren versucht das Nachbarland Iran und Al Kaida für das blutige Nachkriegschaos im Irak verantwortlich zu machen: "Was niemand vorhergesehen hatte, war, daß der Iran schließlich Al Kaida unterstützen würde. Sie [die Iraner] haben dies getan, weil beide an der Destabilisierung des Landes ein Interesse hatten. Aus der Sicht des Irans war der Grund dafür, glaube ich, daß sie sich Sorgen darüber machten, eine funktionierende Demokratie mit einer schiitischen Bevölkerungsmehrheit vor der Haustür zu bekommen."

Dalton hat bei seinem Auftritt die Gültigkeit der Aussage seines früheren Dienstherrns bestritten und erklärt, seines Erachtens habe Blair die Sorgen Teherans um das Gelingen des großen Demokratieprojekts Londons und Washingtons im Irak "übertrieben" dargestellt: "Ich glaubte damals, insbesondere 2003, daß es sich um eine Fehlannahme dabei handelte, der Iran stünde dem Erfolg der Mission der [Irakkriegs-]Koalition, Saddam durch ein Regime zu ersetzen, das demokratisch sein würde, feindlich gegenüber. Ich hatte damals das Gefühl, daß die legitime und berechtigte Kritik am Iran häufig in zu grellen Farben ausgemalt wurde. Man hat den Iran für viel mehr Schwierigkeiten der Koalition [im Irak] verantwortlich gemacht, als er es eigentlich verdient hätte."

Laut Dalton hat Teherans Regierung nicht mit Al Kaida zusammengearbeitet, sondern lediglich ein Auge zugedrückt, als deren Kämpfer das iranische Staatsterritorium als Transitland benutzten, um in den Irak zu gelangen. Dies hat Teheran getan, damit "der Koalition Schmerzen zugefügt wurden und damit sie sich nicht auf einen langen Aufenthalt einrichtete": "Das von ihnen verfolgte Ziel bestand niemals darin, den Irak soweit zu destabilisieren, daß die ganze Unternehmung scheitern würde. Sie hatten Angst vor der Anarchie und befürchteten, daß es für die Amerikaner ein Anlaß wäre, viel länger zu bleiben, würde die Übergabe an irakische Politiker gänzlich scheitern. ... Sie wollten der Koalition Schmerzen zufügen, ohne die erfolgreiche Machtübernahme durch ein irakisches Regime zu gefährden."

Laut Dalton hat die Weigerung Washingtons, auf die legitimen Sorgen der Iraner, daß der Westen "ihre Nachbarschaft durcheinanderbringe", einzugehen, zu gefährlichen, heute noch anhaltenden Spannungen am Persischen Golf geführt. Der Ex-Botschafter warnte in unmißverständlichen Worten zudem davor, den Bezichtigungen des heutigen Sonderbeauftragten des Nahost-Quartetts in Bezug auf den Iran Glauben zu schenken: "Zum Zeitpunkt von Herrn Blairs Auftritt [vor der Untersuchungskommission] hatte ich das Gefühl, er wollte im nachhinein eine Reihe sehr schlechter Entscheidungen bezüglich der Rechtmäßigkeit des Angriffs auf den Irak mit der Behauptung in gutem Licht erscheinen lassen, es sei damals nicht nur richtig gewesen, sondern wir könnten es noch mal tun müssen. Ich war damals und bin heute noch felsenfest davon überzeugt, daß ein Militärabenteuer gegen den Iran ohne eine von ihm gegen irgendein Land gerichtete, akute und echte Bedrohung illegal wäre. Eine solche atomare Bedrohung existiert derzeit nicht."

8. Juli 2010