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HISTORIE/317: Wie China Pakistan zum Atommachtstatus verhalf (SB)


Wie China Pakistan zum Atommachtstatus verhalf

Korrespondenz A. Q. Khans liefert neue, bisher unbekannte Details


2011 feiern die Volksrepublik China und die Islamische Republik Pakistan sechzig Jahre diplomatischer Beziehungen. Islamabad hat die Freundschaft Pekings dringend nötig, denn seit einigen Tagen werfen die USA dem pakistanischen Geheimdienst Inter-Services Intelligence Directorate (ISI) offen vor, mittels des Hakkani-Netzwerkes einen Stellvertreterkrieg gegen die NATO in Afghanistan zu führen. Washington droht inzwischen mit Vergeltungsmaßnahmen, die, im Falle ihrer tatsächlichen Durchführung, beide Atomstaaten an den Rand eines militärischen Konfliktes brächten. Von Bedeutung sind daher die Worte Meng Jianzhus, des Stellvertretenden Premierministers Chinas, der am 26. September bei einem großangelegten Staatsbesuch in Islamabad erklärte, China würde Pakistan "in jeder Stunde der Not" beistehen.

In einer an die Adresse Washingtons gerichteten Mahnung unterstrich der pakistanische Premierminister Yusuf Raza Gilani auf derselben Pressekonferenz die Tragweite der Äußerung des Delegationsleiters aus Peking, als er erklärte: "China unterstützt kategorisch Pakistans Bemühungen zur Aufrechterhaltung seiner Souveränität, Unabhängigkeit und territorialen Integrität". Nur wenige Stunden zuvor hatte Gilani der Regierung Barack Obamas unter ausdrücklichem Verweis auf Pakistans Souveränität von irgendwelchen Vorstößen der Spezialstreitkräfte USA gegen Ziele im Rückzugsgebiet der Hakkani-Kämpfer im pakistanischen Grenzbezirk Nordwasiristan dringend abgeraten.

Seit die USA 2008 mit Indien einen völkerrechtlich umstrittenen Vertrag über die Zusammenarbeit im zivil-nuklearem Bereich abschlossen - um Neu-Delhi von der Teilnahme am Bau einer 2500 Kilometer langen Pipeline zur Beförderung von Öl und Gas aus dem Iran abzubringen -, kommen sich Pakistan und China immer näher. Die Pakistaner, die zur Unterstützung des "Antiterrorkrieges" der NATO in Afghanistan große Opfer gebracht haben, fühlen sich durch die Sonderbehandlung ihres Erzrivalen zurückversetzt und wenden sich China, dem großen strategischen Konkurrenten der USA, zu. Die wirtschaftlichen Beziehungen beider Länder wachsen kontinuierlich. Die Chinesen richten eine Straßenverbindung ein, die den Transport von Mensch und Ware von dem von ihnen gebauten Tiefseehafen in belutschistanischen Gwajar an der Zufahrt zum Persischen Golf über die Grenze bis Tibet und in die westchinesische Provinz Xinjiang hinein erleichtern soll. Darüber hinaus bauen chinesische Ingenieure in Chasma in der Provinz Punjab zwei Atommeiler, die zusammen 680 Megawatt Strom produzieren. Dort stehen bereits zwei Kernkraftwerke: das von den Kanadiern gebaute Chasma-1 (Inbetriebnahme 1972) und das von den Chinesen errichtete Chasma-2 (Inbetriebnahme 1999).

Zur chinesisch-pakistanischen Freundschaft gehört auch die umfangreiche Hilfe, die Peking Islamabad bei der Beschaffung seines Atomwaffenarsenals geleistet hat. Über diesen wenig beleuchteten Aspekt der gemeinsamen Geschichte beider Staaten strahlte der US-Nachrichtensender Fox News vor wenigen Tagen unter Verweis auf bislang unveröffentlichte Angaben des "Vaters" der pakistanischen Atombombe, Abdul Qadeer Khan, einen Bericht aus. Der Metallurge, der seit Anfang 2004 in Pakistan unter Hausarrest steht, wird von den US-Behörden bezichtigt, zur Verbreitung von Nukleartechnologie im großen Stil beigetragen zu haben, unter anderem durch Verkäufe an den Iran, Libyen und Nordkorea. Pakistans Regierung behauptet, Khan hätte sich als Nukleartechnologieverkäufer ohne Wissen der Behörden in Islamabad bzw. der pakistanischen Militärführung in Rawalpindi betätigt.

Khan sieht sich dagegen als Sündenbock, denn seine Aktivitäten wurden jahrelang nicht nur von der obersten Staatsführung Pakistans unterstützt und finanziert, sondern auch von der CIA gedeckt. Nur dank der schützenden Hand des US-Auslandsgeheimdienstes wurde Khan nicht verhaftet, als er in den siebziger Jahren ohne ausdrückliche Erlaubnis von seinem Arbeitsplatz beim halbstaatlichen niederländischen Unternehmen Urenco unter anderem Blaupausen zum Bau von Uranzentrifugen mit nach Pakistan nahm. Dies weiß man aus einem Interview, das der frühere holländische Premierminister Ruud Lubbers 2005 gab.

Kurz vor seiner Verhaftung Ende 2003 hat Khan in einem oder mehreren Briefen an seine niederländische Frau Henny pikante Einzelheiten über das pakistanische Atomwaffenprogramm und die daran beteiligten Personen, Firmen und staatlichen Einrichtungen festgehalten und sie gebeten, das Material im Notfall über die Medien, insbesondere über den britischen Journalisten Simon Henderson, in Umlauf zu bringen. Für Khan stellt das Material eine Art Versicherung dar, um unter bestimmten Situationen seine Version der Ereignisse belegen und den eigenen Ruf wiederherstellen zu können. Die jüngste Bekanntgabe vom Insider-Wissen Khans erfolgte letzte Woche, als Henderson Fox News Material zukommen ließ. Über die neueste Enthüllung berichtete die Times of India am 25. September. In dem zitierten inzwischen fast acht Jahre altem Brief schrieb Khan über seine früheren Gönner in Islamabad und anderswo, sie hätten ihn "zuerst benutzt" und würden mit ihm "ein schmutziges Spiel spielen". Für den Fall, daß versucht würde, ihn "reinzulegen", drohte Khan mit einer "entscheidenden Antwort". Die brisantesten Textpassagen aus dem Khan-Brief veröffentlichte die Times of India wie folgt:

Sie wissen, daß wir 15 Jahre lang mit China kooperierten. Wir richteten in Hanzhong (250 Kilometer südwestlich von Xian) eine Zentrifugenanlage ein. Wir haben 135 C-130-Transportflugzeugladungen voller Maschinen, Wechselrichter, Ventile, Durchflußmesser und Druckmesser hingeschickt. Unsere Techniker verbrachten dort Wochen, um zu helfen, und deren Techniker hielten sich hier immer wieder wochenlang auf. Der frühere Minister Liu We, der Vizeminister Li Chew und Vizeminister Jiang Shengjie haben uns regelmäßig besucht.

(...)

Die Chinesen haben uns Zeichnungen einer Atomwaffe, 50 Kilogramm angereichertes Uran, 10 Tonnen Uranhexafluorid UF6 (Naturzustand) und 5 Tonnen UF6 (3%) [angereichert] gegeben. Die Chinesen haben der PAEC [Pakistan Atomic Energy Commission, Konkurrenzorganisation zu Khan Research Laboratories] geholfen, eine UF6-Anlage, einen Reaktor zur Gewinnung von Plutonium und eine Wiederaufbereitungsanlage einzurichten.

Möglicherweise dient die jüngste Enthüllung Khans dazu, den USA im aktuellen Streit mit Pakistan Vorteile zu verschaffen. Wenngleich seine Angaben für den Laien spektakulär sein mögen, dürften sie für Washington, Peking, Islamabad und Neu-Delhi und ihre jeweiligen Geheimdienste vermutlich keine Neuigkeiten darstellen. Im ersten Interview, das Khan nach seiner Verhaftung gab, nämlich am 28. Mai 2008 per Telefon mit Declan Walsh, dem Korrespondenten der britischen Tageszeitung Guardian in Islamabad, hatte er behauptet, zu seinem berühmten Fernsehgeständnis vier Jahre zuvor an der Seite des damaligen pakistanischen Präsidenten, General Pervez Musharraf, gezwungen worden zu sein. Er erinnerte daran, daß Pakistan niemals Unterzeichnerstaat des Atomwaffensperrvertrages gewesen ist und wies damit den Vorwurf, er hätte gegen internationale Gesetze verstoßen, als sachlich unbegründet zurück. Berichte, wonach er Kernwaffentechnologie ans Ausland verkauft habe, tat er als "westlichen Humbug" und "ein Haufen Mist" ab. Damals machte Khan westliche Zwischenhändler, die unter Geheimdienstschutz standen, für die illegale Verbreitung von Atomwaffentechnologie verantwortlich: "Sie haben uns beliefert, sie haben die (Iran, Libyen und Nordkorea - Anm. d. Red.) beliefert ... halt jeden, der zahlen konnte".

30. Oktober 2011