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JUSTIZ/657: Ehemalige US-Bürgerrechtsanwältin soll ins Gefängnis (SB)


Ehemalige US-Bürgerrechtsanwältin soll ins Gefängnis

Verteidigung von "Terroristen" - kein ungefährliches Unterfangen


In den USA soll die 70jährige Lynne Stewart, eine der prominentesten Bürgerrechtsaktivistinnen des Landes, ins Gefängnis. Das Urteil haben am 17. November die drei Richter des 2nd U.S. Circuit Court of Appeals gemeinsam verkündet. 2005 war Stewart von einem Bundesgericht in New York schuldig gesprochen worden, geholfen zu haben, die Botschaften ihres Mandanten, des seit 1996 in einem Hochsicherheitstrakt in Minnesota wegen geplanter Anschläge auf Wahrzeichen der Hudson-Metropole einsitzenden, blinden ägyptischen Scheichs Omar Abdel Rahman an die Öffentlichkeit gebracht zu haben. Seitdem kämpft sie gegen die Verurteilung - vergeblich. Schlimmer noch, die Berufungsrichter sind zu dem Schluß gekommen, daß das damals verhängte Strafmaß von zwei Jahren und vier Monaten Gefängnis möglicherweise zu niedrig war und eventuell nach oben korrigiert werden soll. Die Staatsanwaltschaft hatte 30 Jahre Freiheitsstrafe gefordert.

Gegen den Rat von Freunden und Kollegen hatte Stewart 1995 entschieden, das Führungsmitglied der ägyptischen Moslembruderschaft beim großen "Terrorprozeß" in New York anwaltlich zu vertreten. Rahman und mehrere seiner Anhänger wurden ein Jahr später schuldig gesprochen, Anschläge auf das Hauptquartier der Vereinten Nationen, die George Washington Bridge sowie die Holland- und Lincoln-Tunnel geplant und vorbereitet zu haben. Wegen seiner Rolle bei dem Komplott wurde der ehemalige CIA-Kontaktmann zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe plus 65 Jahre verurteilt. Wegen der von Rahman angeblich ausgehenden "Terrorgefahr" unterliegt dieser im Hochsicherheitstrakt von Rochester, Minnesota, ganz besonderen Regeln, die ihm jeden Kontakt mit der Außenwelt - ausgenommen seiner anwaltlichen Vertretung und seiner Frau - verbieten. Bei Besuchen bei Rahman mußte sich Stewart zur Einhaltung dieser Regeln verpflichten.

Im Mai 2000 hat sie jedoch dagegen verstoßen, als sie bei einem Treffen mit Rahman diesem heimlich einen Brief der Gama'a al-Islamijja (Islamische Gruppe) in Ägypten übermittelt hat. Im Juni desselben Jahres hat Stewart einen Journalisten in Kairo telefonisch kontaktiert und über diesen eine Botschaft Abdel Rahmans der Gama'a al-Islamijja zukommen lassen. Darin hieß es, Scheich Omar ziehe seine Unterstützung für jenen Waffenstillstand zurück, den die Islamische Gruppe nach dem Anschlag von Luxor 1997 verkündet hatte. Bei dem damaligen Massaker waren 62 Menschen, die meisten von ihnen ausländische Touristen, brutal umgebracht worden. Ungeachtet der Mitteilung Omar Rahmans ist die Gama'a al-Islamijja bis heute bei ihrem Waffenstillstand geblieben.

So wurde Lynne Stewart im April 2002 die erste Anwältin, die nach dem in Reaktion auf die Flugzeuganschläge im Herbst 2001 verabschiedeten Antiterrorgesetz mit Namen USA PATRIOT Act angeklagt wurde. Das damals von der Regierung George W. Bush zum "Terrorprozeß" aufgebauschte Verfahren gegen die streitbare Juristin war aufgrund einer Regelung des USA-Patriot-Gesetzes möglich geworden, die dem für das amerikanische Strafvollzugssystem zuständigen Bureau of Prisons erlaubt, Gespräche zwischen Anwälten und Mandaten, von denen angeblich das Risiko "künftiger Gewalt- oder Terrorismusstraftaten" ausgeht, abzuhören und die Protokolle auch einem Gericht als Beweismittel vorzulegen.

Beim ersten Prozeß gab Stewart zu, Omar Rahman geholfen zu haben, seine Ansichten über den Waffenstillstand der Islamischen Gruppe zu verbreiten. Sie rechtfertigte diesen Schritt mit dem Motiv, eine kritische Diskussion in der ägyptischen Öffentlichkeit anregen und einer friedlichen Beilegung des Konflikts der Islamisten mit der Regierung Hosni Mubaraks den Weg freimachen zu wollen. Auf der Anklagebank saßen neben Stewart ihr Dolmetscher Mohammed Yousry und ihr Assistent Ahmed Abdel Sattar. Letztere beiden wurden ebenfalls des Verstoßes gegen die für Rahman geltenden Special Administrative Measures schuldig gesprochen und zu 20 Monaten respektive 24 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Die besondere Schwere des Strafmaßes bei Sattar geht darauf zurück, daß die Staatsanwaltschaft in ihm den eigentlichen Verbindungsmann zwischen Rahman und der Islamischen Gruppe in Ägypten sah.

Nach der Verkündung des Urteils des Berufungsgerichts gab sich Stewart unbeugsam. Obwohl sie nun mit einem Tag Verzögerung ins Gefängnis muß, kündigte sie an, den Streit auf die nächst höhere Instanz bringen zu wollen. Wie die Nachrichtenagentur Associated Press berichtete, hat Stewart das jüngste Urteil gegen sie als abschreckende Warnung der Behörden an diejenigen Anwälte gedeutet, welche die "Terrorverdächtigen", die demnächst vom kubanischen Guantánamo Bay in Gefängnisse auf dem amerikanischen Festland verlegt werden sollen, vor Gericht vertreten werden. "Dies ist ein Rechtsstreit, dessen Bedeutung über mein persönliches Schicksal hinausgeht. Ich bin keine Kriminelle, und werde ihn für alle Anwälte auskämpfen", so Stewart.

18. November 2009