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JUSTIZ/671: Skandal um Behandlung des Gefangenen Bradley Manning (SB)


Skandal um Behandlung des Gefangenen Bradley Manning

Obama verheddert sich im Anti-Terror-Labyrinth von Bush und Cheney


Das gestrige Aufheben des Vetos des Weißen Hauses gegen die Fortsetzung von Militärtribunalen in Guantánamo Bay stellt für US-Präsident Barack Obama eine politische Niederlage ersten Ranges dar. Im Wahlkampf hatte Obama eine Abkehr von den präsidialen Eigenmächtigkeiten der Ära George W. Bushs und Dick Cheneys propagiert und versprochen, beim Kampf gegen den islamistischen "Terrorismus" die Einhaltung der US-Verfassung zum obersten Gebot zu erheben. Demonstrativ hat Obama am ersten vollen Arbeitstag als US-Präsident deshalb die Schließung des umstrittenen Sonderinternierungslagers auf dem Gelände des US-Marinestützpunktes auf Kuba verfügt. Doch nach zwei Jahren, in denen die Republikaner im Repräsentantenhaus und Senat sowie ihre Claqueure in den Medien Obamas Plan der Verlegung mutmaßlicher "Terroristen" in die USA, um sie dort vor zivile Strafgerichte zu bringen, als unverantwortliche Gefährdung der nationalen Sicherheit Amerikas verteufelt haben, knickt der Anführer der Demokraten nun ein.

Um die große Peinlichkeit weniger schlimm erscheinen zu lassen, als sie ist, gab Außenministerin Hillary Clinton bekannt, die Obama-Regierung werde demnächst dem Senat einen Vorschlag unterbreiten, damit die USA ein zusätzliches Protokoll der Genfer Konventionen bezüglich der menschlichen Behandlung von Kriegsgefangenen einschließlich fairer Verhandlungen vor Militärtribunalen ratifizieren. Wie die New York Times in ihrer Ausgabe vom 8. März berichtete, erklärte Clinton, eine solche Ratifizierung würde "die Entschlossenheit der Vereinigten Staaten, alle Gefangenen in unserem Gewahrsam, human zu behandeln, bestätigen".

Die wohlklingenden Worte von Amerikas Chefdiplomatin stehen im krassen Widerspruch zur skandalösen Behandlung, die Bradley Manning, der im Verdacht steht, das Enthüllungsportal Wikileaks mit belastendem Geheimmaterial aus dem US-Regierungsapparat versorgt zu haben, in einem Sondergefängnis auf einem Stützpunkt der Marineinfanterie in Quantico, Virginia, zuteil wird. Manning war im vergangen Mai am Forward Operating Base (FOB) Hammer nahe Bagdad, wo er als Private First Class (PFC) des Militärgeheimdienstes arbeitete, unter dem Verdacht festgenommen worden, Quelle jenes spektakulären Videos gewesen zu sein, das Wikileaks zwei Monate zuvor im Internet unter dem Titel "Collateral Murder" veröffentlicht hatte und auf dem aus der Perspektive der Bordkamera eines US-Kampfhubschraubers zu sehen ist, wie 2007 am Rande einer amerikanischen Militäroperation in Bagdad 17 Iraker, darunter zwei Mitarbeiter der Nachrichtenagentur Reuters, zusammengeschossen werden.

Nach einem kurzem Aufenthalt in einer Militärkaserne in Kuwait wurde Manning im Juli 2010 nach Quantico verlegt. Dort wird er nach Angaben seines Anwalts David Coombs in Isolationshaft gehalten und darf jeden Tag lediglich zu einem 30minütigen Hofgang hinaus. Er darf keine Zeitung lesen und auch keine Radio- oder Fernsehnachrichten erhalten. Stand Manning zunächst wegen Geheimnisverrats und Weitergabe von vertraulichen Informationen unter Anklage, so wird ihm seit dem 1. März vorgeworfen, "Kollaboration mit dem Feind" begangen zu haben, worauf die Todesstrafe steht. Darüber hinaus muß Manning, dem ohnehin die ganze Zeit über nachts Bettlaken und ein Kopfkissen verwehrt werden, seit mehreren Tagen vollkommen nackt schlafen. Der Bestrafung soll ein sarkastischer Spruch Mannings bezüglich seiner Selbstmordgefährdung vorausgegangen sein. Dies hielt John Kerry, der demokratische Vorsitzende des außenpolitischen Ausschusses des Senats, nicht davon ab, am 6. März im US-Fernsehen die Obama-Regierung im allgemeinen und die Vollzugsbeamten in Quantico im besonderen in Schutz vor der Kritik diverser US-Bürgerrechtsaktivisten mit der Behauptung zu nehmen, durch die nächtliche Wegnahme von Mannings Unterhose werde "versucht" dessen "Sicherheit zu gewährleisten".

Die Drangsalierung von Manning und die Behauptung, er könnte sich vor lauter Verzweiflung und Kummer umbringen, passen zum Bild, das seit dem letzten Jahr vor allem die New York Times und die Washington Post von ihm erzeugt haben. Demnach ist der heute 23jährige Gefreite ein in sich gekehrter, sozial wenig begabter Schwächling, der mit der eigenen Homosexualität nicht klar kam und der Wikileaks einen ganzen Berg an Geheimmaterial hat zukommen lassen, um vor sich selbst als Prachtkerl dastehen zu können. Aus dem, was Manning dem Hacker Adrian Lamo erzählte, soll es aber die moralische Empörung über die Mißstände im Irak gewesen sein, die ihn veranlaßte, peinliche Details der Außen- und Sicherheitspolitik der USA publik zu machen. Tatsächlich soll für Manning das Schicksal von 15 Irakern der Auslöser gewesen sein, die gegen Korruption in der Regierung von Nuri Al Maliki protestiert hatten und deswegen von dessen Sicherheitskräften als "Terroristen" verschleppt und gefoltert wurden. Als Manning sich für diese unschuldigen Personen einsetzte, soll ihm sein Vorgesetzter mit dem Spruch, der einzige gute "Terrorist" sei ein toter "Terrorist", eine deftige Rüge erteilt haben.

Die Sonderbehandlung von Manning in Quantico und die von der Obama-Regierung und den ihr hörigen Medien verbreitete Unterstellung, der junge Soldat hätte aus niederen und nicht aus edlen Motiven gehandelt, dienen dem gleichen Zweck. Manning soll dazu gebracht werden auszusagen, nicht er habe Wikileaks das Geheimmaterial einfach zur Verfügung gestellt, sondern dessen Chef Julian Assange habe ihn dazu angestiftet. Ohne eine solche Aussage hat das Justizministerium in Washington kaum eine rechtliche Handhabung gegen Assange, selbst wenn es gelingt, diesen in die USA ausgeliefert zu bekommen. Eine solche Auslieferung steht Assange bevor, sollte er in seinem derzeitigen Exil in Großbritannien gezwungen werden, sich nach Schweden zu begeben, um sich wegen der von zwei Frauen dort erhobenen Vorwürfe der sexuellen Belästigung im letzten Herbst von der Staatsanwaltschaft befragen zu lassen. Im vergangenen Jahr hat Hillary Clinton Assange als "Feind" der Vereinigten Staaten bezeichnet und die Veröffentlichung von vertraulichen Depeschen ihres Ministeriums durch Wikileaks ganz nach dem Motto "L'état c'est moi" als "Anschlag auf die internationale Gemeinschaft" verurteilt.

In den USA schlägt der Fall Manning unter anderem dank des Einsatzes von Leuten wie Daniel Ellsberg, der selbst 1970 mit der Veröffentlichung der hochgeheimen "Pentagon-Papiere" über die miserable militärische Lage der USA in Vietnam die Regierung Richard Nixons in Verlegenheit brachte, und Glenn Greenwald, einem Rechtsanwalt, dessem Blog Unclaimed Territory bei der elektronischen Zeitschrift Salon zum Thema staatlicher Übergriffe viel Beachtung geschenkt wird, hohe Wellen. Wegen der Parteinahme für Manning wurde Greenwald Ende letzten Jahres vom Sicherheitsunternehmen HBGary zusammen mit Wikileaks zum potentiellen Ziel einer Desinformationskampagne erklärt. Als Mitte Februar die Internetaktivistengruppe Anonymous diese Tatsache publik machte, mußte der HBGary-Vorstandsvorsitzende Aaron Barr wenige Tage später seinen Hut nehmen.

Wie Andy Greenberg am 7. März auf seinem Blog The Firewall bei Forbes.com berichtete, hat die Anonymous-Gruppe den Verantwortlichen in Quantico und dem Pentagon-Sprecher Geoff Morell eine Woche Zeit gegeben, Manning Bettlaken, Decken, Lesestoff und einen Ball zukommen zu lassen und ihn "zumindest so gut wie gefangene Nazis im Zweiten Weltkrieg zu behandeln", sonst werde man mit umfangreichen Hackerangriffen gegen sie beginnen. Zur Begründung des angedrohten "Medienkrieges" gegen die Peiniger Mannings zitierte Greenberg unter Verweis auf die Zeitschrift Tech Herald den Anonymous-Sprecher Barrett Brown wie folgt: "Manning ist ein absoluter Held. Sollte ich deshalb ins Scheiß-Gefängnis müssen, habe ich damit kein Problem."

8. März 2010