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LATEINAMERIKA/2152: Venezuelas Feier ruft Gegner auf den Plan (SB)


Venezuela begeht den 10. Jahrestag der Bolivarischen Revolution


In diesem Monat feiern die Menschen in Venezuela den 10. Jahrestag der Bolivarischen Revolution. In den zurückliegenden zehn Jahren hat das Land eine tiefgreifende gesellschaftliche Umgestaltung erfahren und zugleich eine führende Position im Prozeß der Emanzipation Lateinamerikas von hegemonialen Einflüssen übernommen.

Seit den frühen 1960er Jahren hatten christliche und sozialdemokratische Regierungen einander in der politischen Organisation von Ausbeutung und Zurichtung abgelöst. Ihr Regime fungierte als Werkzeug der venezolanischen Eliten und gehobenen Schichten des Bürgertums, indem es die Erlöse aus dem florierenden Ölgeschäft in die Taschen der Wohlhabenden fließen ließ und die in Armut lebende Bevölkerungsmehrheit in Schach hielt. Im Jahr 1989 ließ Präsident Carlos Andres Perez, ein Sozialdemokrat in seiner zweiten Amtszeit, auf den Straßen von Caracas nicht weniger als 2.000 Demonstranten von den Sicherheitskräften abschlachten. Das Aufbegehren der Hungerleider richtete sich damals gegen das Vorhaben des Staatschefs, die vom Internationalen Währungsfonds aufgezwungene Sparpolitik den Armen aufzulasten.

Als Hugo Chávez 1989 die Präsidentschaftwahl gewann, rief er das Ende elitärer Herrschaft aus und kündigte die Umverteilung der Einkünfte aus dem Ölexport zugunsten eines Gesundheitssystems und sozialer Leistungen für die Armen an. Seither haben Hunderttausende ärztliche Versorgung, Bildungsmaßnahmen und Sozialleistungen in Anspruch genommen, die vordem de facto davon ausgeschlossen waren. Kubanische Ärzte bauten landesweit ambulante Kliniken auf und die Alphabetisierung kam mit großen Schritten voran. Zudem bekamen die Ärmsten verbilligte oder kostenlose Nahrungsmittel, so daß bemerkenswerte Fortschritte bei der Grundversorgung der Bevölkerung erzielt wurden.

Im engeren und weiteren regionalen Umfeld machte Venezuela unter Präsident Chávez Front gegen die Hegemonie der Vereinigten Staaten und brachte zahlreiche Initiativen auf den Weg, den politischen, wirtschaftlichen und sozialen Zusammenschluß auf Grundlage eines unabhängigen Lateinamerika anzuregen und zu fördern. Dabei erbrachte die Regierung in Caracas immer wieder Vorleistungen in Gestalt von Öllieferungen zum Vorzugspreis, Projekten wirtschaftlicher Zusammenarbeit und Maßnahmen finanzieller Entlastung. Daß sich die Länder Mittelamerikas, Südamerikas und der Karibik in der jüngeren Vergangenheit stärker als je zuvor von den USA abgegrenzt und Wege wachsender Unabhängigkeit beschritten haben, ist in hohem Maße ein Verdienst Venezuelas im Zeichen der Bolivarischen Revolution, die in den Sozialismus des 21. Jahrhunderts übergegangen ist.

Anders als sein Freund und Mentor Fidel Castro kam Hugo Chávez nicht durch bewaffneten Kampf und einen revolutionären Umsturz, sondern durch demokratische Wahlen an die Regierung und hat seinen Entwurf durch zahlreiche weitere Wahlen und Referenden immer wieder legitimiert. Dies führte dazu, daß der Prozeß der Umgestaltung in einem gesellschaftlichen Umfeld stattfand, das ihm in seinen traditionell einflußreichsten Teilen feindlich gesonnen war. Der von einheimischen Eliten und der Bush-Administration unternommene Putschversuch von April 2002 war nur das weitreichendste von zahlreichen Manövern, die Regierungspolitik zu diskreditieren und Hugo Chávez zu Fall zu bringen. Dabei verfügen die besitzenden Klassen des Landes über weit stärkeren Einfluß auf die Medien als die Regierung, die sie mit dem unablässigen Trommelfeuer ihrer Anfeindungen überziehen. Der vielzitierte Sozialismus des 21. Jahrhunderts ist folglich kein abgeschlossener und fest umrissener Entwurf, sondern eher ein Wegweiser und umkämpfter Prozeß, der im Verlauf dieses Streits manche Modifikation erfährt, während er allmählich Gestalt annimmt.

Trotz oder gerade wegen seiner Errungenschaften wird Venezuela in den westlichen Medien zumeist als diktaturähnliches Regime oder günstigstenfalls als durch ihre eigene Regierung gefährdete Demokratie beschrieben, während man jeden Stolperstein begeistert feiert und selbst weitere dazulegt. Dabei sorgt die Medienmaschinerie dafür, die diffamierenden Parolen der Politik zu verbreiten und ein falsches oder mindestens unreflektiertes Bild der Veränderungsprozesse in dem südamerikanischen Land zu verbreiten.

Die deutsche Bundesregierung tat sich im vergangenen Jahr mit deutlich verschärften Angriffen gegen Hugo Chávez und die Führung in Caracas hervor. So griff Außenminister Frank-Walter Steinmeier Anfang Februar 2008 im Vorfeld von deutsch-spanischen Regierungskonsultationen auf der Mittelmeerinsel Mallorca die Regierung von Präsident Chávez heftig an: "Was wir derzeit in Venezuela erleben, ordne ich unter der Überschrift Populismus ein", erklärte der SPD-Politiker damals im Gespräch mit der spanischen Nachrichtenagentur EFE. Ein "wirklich gefestigter ideologischer Unterbau" sei beim Regierungsprojekt in Venezuela nicht zu erkennen. Dabei verwies Steinmeier auf das im Dezember 2007 gescheiterte Referendum über eine Änderung der Verfassung. Dessen Ablehnung führte er als Beleg dafür an, daß "die Wählerinnen und Wähler in Venezuela (...) nicht ohne weiteres bereit sind, den Kurs von Herrn Chávez mitzugehen".

Daß deutsche Regierungsparteien der venezolanischen Regierung ablehnend gegenüberstanden, war natürlich kein Geheimnis, doch überraschte die Vehemenz dieses verbalen Frontalangriffs. Da die Beratungen in Mallorca nur von nachrangiger Bedeutung waren, galt die Stoßrichtung offenbar dem EU-Lateinamerika-Gipfel, der Ende Mai 2008 in der peruanischen Hauptstadt Lima stattfand. Und in der Tat äußerte Bundeskanzlerin Merkel vor diesem Gipfel in einem Interview des spanischen Dienstes der Nachrichtenagentur dpa die Ansicht, der venezolanische Präsident sei nicht die Stimme Lateinamerikas.

Präsident Chávez antwortete erbost mit einem Vergleich, der in den Medien hohe Wellen schlug: Die Bundeskanzlerin gehöre der politischen Rechten an, "derselben Rechten, die (Adolf) Hitler, die den Faschismus unterstützt hat", sagte Chávez in seiner wöchentlichen Fernsehansprache. Auch warf er Merkel vor, sie habe Regierungschefs in Lateinamerika gezielt dazu aufgerufen, keine engen Verbindungen zu Venezuela zu unterhalten. Die Europäer kämen angeblich zum Gipfel, um in Lateinamerika zu helfen. Doch "wo ist denn dann der Plan, um den Armen zu helfen? Fragt doch den Staatspräsidenten von Haiti, wie viele Versprechen Europa und die Vereinigten Staaten gemacht haben", sagte Chávez in seiner Sendung. Die Sozialprogramme der Region würden von den Regierungen von Venezuela, Kuba, Argentinien und Brasilien getragen, erklärte er.

Neben der heftigen Replik des Präsidenten, die jedenfalls dafür sorgte, daß die Haltung der Bundesregierung ins Scheinwerferlicht gerückt wurde, ist folgende offizielle Stellungnahme der Regierung in Caracas von Interesse, weil sie grundsätzliche Aussagen zum Verhältnis beider Länder und ihren Umgang miteinander macht, die noch immer Gültigkeit haben.

Erklärung der venezolanischen Regierung zu dem Disput zwischen der Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem Präsidenten der Bolivarischen Republik Venezuela, Hugo Chávez:

Wenige Tage vor der Ausrichtung des 5. Gipfeltreffens der Staats- und Regierungschefs aus Lateinamerika, der Karibik und der Europäischen Union - ein Treffen, das den respektvollen Dialog zwischen den Staaten beider Regionen ohne Ausnahmen vertiefen soll -, erklärte die Bolivarische Republik Venezuela zu den unfreundlichen Äußerungen der Kanzlerin der Bundesrepublik Deutschland, Angela Dorothea Merkel, in einem Interview mit der Nachrichtenagentur dpa über den legitimen Präsidenten der Republik folgendes:

Die Bolivarische Republik Venezuela ist zunächst erstaunt darüber, daß die deutsche Kanzlerin unmittelbar vor ihrem Besuch in unserer Region und dem Gipfeltreffen in Lima mit Präsident Chávez einen der demokratischen Staatschefs Lateinamerikas angreift. Ihre Äußerungen berühren nicht nur die bilateralen Beziehungen, sie stehen auch im Widerspruch zu der Absicht der deutschen Regierung, die freundschaftlichen Bande mit den Staaten Lateinamerikas und der Karibik enger knüpfen zu wollen.

Die Bolivarische Republik Venezuela hat in ihren Beziehungen zu Deutschland stets Respekt walten lassen. Sie bittet deswegen auch die Bundesrepublik Deutschland um ein entsprechendes Verhalten.

Die Bolivarische Republik Venezuela läßt sich nicht zu feindseligen Äußerungen gegenüber einem Mitglied der Europäischen Union hinreißen, wenn es seine Beziehungen zu dieser Region verbessern will. Die Bundesrepublik Deutschland ist eingeladen, diesem Beispiel zu einem Zeitpunkt zu folgen, in dem sie die Beziehungen zu Lateinamerika und der Karibik ausbauen will.

Zugleich weist die Regierung der Bolivarischen Republik Venezuela die Regierung der Bundesrepublik Deutschland unter anderem auf die Prinzipien der Gleichheit und Nichteinmischung hin. Sie sind Voraussetzung dafür, daß sich die bilateralen, biregionalen und internationalen Beziehungen in einem Klima der Höflichkeit, des Dialogs und des Verständnisses entwickeln.

Schließlich erinnert die Regierung der Bolivarischen Republik Venezuela die Regierung der Bundesrepublik Deutschland daran, daß Venezuela weder in der Vergangenheit noch in der Gegenwart ein Unruhefaktor in Lateinamerika, Europa oder der Welt gewesen ist. Es ist beruhigend zu wissen, daß Kanzlerin Merkel nicht die einzige Stimme in der Europäischen Union ist und daß ein einzelnes Land weder die Beziehungen zwischen Venezuela und der Europäischen Union noch die bi-regionalen Beziehungen belasten kann.

2. Februar 2009