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LATEINAMERIKA/2170: "Leuchtender Pfad" macht in Peru wieder von sich reden (SB)


Totgesagte maoistische Guerilla hat sich im Dschungel neu formiert


Die totgesagte maoistische Guerillaorganisation "Leuchtender Pfad" macht im Süden Perus wieder von sich reden. Schätzungen zufolge handelt es sich um rund 350 bewaffnete Kämpfer, die nach Angaben aus Armeekreisen sehr diszipliniert operieren, wenn sie vorgelagerte Stützpunkte der Streitkräfte unter Beschuß nehmen und dann wieder im Dschungel untertauchen. Dorfbewohner berichten von Rebellen in schwarzen Kampfanzügen, die fast immer in Gruppen von etwa 20 Mann in Erscheinung treten. Über die Führung der Guerillagruppe ist so gut wie nichts bekannt, wenn man von der Mutmaßung absieht, daß die Brüder Victor (José) und Jorge (Raúl) Quispe Palomino an der Spitze stehen.

Im vergangenen Jahr töteten die Rebellen 26 Menschen, bei denen es sich größtenteils um Soldaten und Polizisten handelte. So viele Opfer hatten die Sicherheitskräfte seit zehn Jahren nicht mehr beklagt. Wie tief die Furcht vor einer Wiederauferstehung des "Leuchtenden Pfads" sitzt, zeigen besorgte Warnungen in Expertenkreisen, die daran erinnern, wie fatal die Fehleinschätzung hinsichtlich der Guerilla in den 1980er Jahren war. Damals waren es auch nur wenige hundert Rebellen, die den Kampf aufnahmen. Als der Krieg schließlich 2000 für beendet erklärt wurde, waren fast 70.000 Menschen gestorben.

Im August 2008 intensivierte die Regierung den Kampf gegen die Rebellen, die jedoch im Urwald von Vizcatán fast nach Belieben auftauchen und wieder verschwinden. Wie in jedem Guerillakrieg halten sich die Sicherheitskräfte an die Dorfbewohner, die sie der Kooperation mit dem "Leuchtenden Pfad" bezichtigen und drangsalieren. So wurden in der Ortschaft Río Seco fünf Menschen von Soldaten aus nächster Nähe erschossen, unter ihnen auch eine schwangere Frau. Zwei kleine Kinder sind seither verschwunden und offenbar ebenfalls gestorben.

Nachdem Menschenrechtsgruppen eine Aufklärung dieses Vorfalls wie auch der Vertreibung Dutzender Familien aus entlegenen Dörfern gefordert hatten, reagierten Politiker und Militärs außerordentlich harsch. So erklärte Verteidigungsminister Antero Flores Aráoz in einem Interview, die getötete Frau habe bekommen, was sie verdiene. Was zum Teufel habe sie dort zu suchen gehabt? Sie habe gewiß nicht den Rosenkranz gebetet, sondern entweder Kokablätter und Chemikalien für die Drogenherstellung transportiert oder für den "Leuchtenden Pfad" gearbeitet, wetterte der Minister. Nach der Doktrin der peruanischen Armee ist jeder getötete Dorfbewohner entweder ein Zuträger des Drogenhandels oder der Rebellen, wobei man diese beiden Gruppierungen ohnehin zunehmend gleichsetzt. (New York Times vom 18.03.09)

Nach Angaben von Dorfbewohnern, Aussagen inhaftierter Rebellen und Erkenntnissen des Geheimdienstes hat der "Leuchtende Pfad" seine Vorgehensweise im Umgang mit der Zivilbevölkerung gegenüber früheren Jahren erheblich geändert. Die Rebellen entwickeln offenbar ein paternalistisches Verhältnis zu den Menschen in den Dörfern, von denen sie als "die Onkel" bezeichnet werden. Halte man sich an das, was "die Onkel" sagen, könne man in Frieden leben, heißt es dort. Von Attentaten auf Repräsentanten der örtlichen Administration und Bombenanschlägen an von Zivilisten besuchten Plätzen nimmt die Guerilla demnach explizit Abstand.

Man muß davon ausgehen, daß die peruanischen Sicherheitskräfte alles daransetzen werden, dieses Verhältnis zwischen Guerilleros und Landbevölkerung gewaltsam zu sabotieren und eine Spaltung herbeizuführen. Am allerwenigsten können und wollen sich Staat und Regierung leisten, die gesellschaftlichen Widersprüche erneut auf die Tagesordnung zu setzen. Daher erklärt man die Rebellen zu "Drogenhändlern und Terroristen", deren maoistische Agenda nur vorgeschoben sei. In dieser Strategie weiß sich die Führung in Lima einig mit der US-Administration, die Peru im vergangenen Jahr mit 60 Millionen Dollar unterstützt hat, die offiziell dem Kampf gegen das Drogengeschäft gewidmet sind, aber ebensogut als Militärhilfe ausgewiesen werden könnten. Sollte der "Leuchtende Pfad" wiedererstarken und an Einfluß gewinnen, wird das mit Sicherheit nicht das letzte finanzielle, geheimdienstliche und militärische Wort Washingtons in Peru sein.

Der maoistische "Leuchtende Pfad" (Sendero Luminoso) war in den frühen 1960er Jahren von dem marxistischen Philosophen, früheren Universitätsprofessor und ehemaligen Vorsitzenden der Kommunistischen Partei Perus (PCP), Abimael Guzmán, gegründet worden. Er faßte zunächst in der verarmten Region Ayachuco Fuß, worauf von dort aus 1979 der Volkskrieg zum Umsturz der herrschenden Klasse ausgerufen wurde. Guzmán, den seine Anhänger "Presidente Gonzalo" oder das "vierte Schwert des Marxismus" nannten, wurde von der Regierung zum Staatsfeind Nummer eins erklärt. Mit seinen bis zu 10.000 Kämpfern entwickelte sich der "Leuchtende Pfad" zu einer der erfolgreichsten Guerillaorganisationen der westlichen Hemisphäre. Auf dem Höhepunkt seines Einflusses in den frühen 1990er Jahren kontrollierte er die Hälfte des Landes.

Im September 1992 gelang es dem peruanischen Sicherheitsapparat mit Hilfe des US-Geheimdienstes, Guzmán und neun weitere führende Senderistas in einem sicheren Haus in Lima festzunehmen. Mittels der auf vorgefundenen Computerdisketten enthaltenen Informationen wurde bald darauf das halbe Zentralkomitee der Partei verhaftet. Wenige Tage später führte man Guzmán, der gestreifte Häftlingskleidung trug und in einen engen Käfig gepfercht war, peruanischen und ausländischen Journalisten im Triumph vor.

Er ließ sich jedoch von dieser Demütigung nicht einschüchtern, sondern wandte sich mit eindringlichen Worten an seine Landsleute, endlich die Augen zu öffnen und die Geschichte der Erniedrigung zu verstehen. Wer jetzt von einer vernichtenden Niederlage spreche, solle nur weiter träumen, rief Guzmán damals. Es handle sich um nichts weiter als eine Kurve der Straße, die noch lang sei. Man werde ihr Ende erreichen und schließlich siegen: "Ihr werdet es sehen!" Das waren die letzten Worte vor seiner jahrelangen Einkerkerung, während der man ihn vollständig von der Außenwelt isolierte.

An der Spitze des peruanischen Staates stand damals mit Präsident Alberto Fujimori und seinem Geheimdienstberater Vladimiro Montesinos ein autokratisches Gespann, das allem Anschein nach von Washington in Stellung gebracht worden war, um in Peru die für die künftige Zurichtung als unverzichtbar erachtete Phase der Diktatur gewissermaßen in abgeschwächter Form nachzuholen. Um die Landbevölkerung zu drangsalieren, die Guerilla niederzuwerfen, die Kokapflanzungen weitgehend zu vernichten sowie die Wirtschaft radikal zu privatisieren und zu liberalisieren, war massive Repression erforderlich, da die sprunghaft steigende Verelendung andernfalls zur Revolte geführt hätte.

Um den "Leuchtenden Pfad" auszuschalten, erwog die peruanische Führung zunächst eine heimliche Hinrichtung Guzmáns, doch zog man schließlich einen Prozeß vor einem geheimen Militärtribunal vor, dessen Mitglieder ihre Identität hinter Kapuzen verbargen. Das Verfahren ignorierte jegliche Rechte des Angeklagten, befand ihn in allen Punkten für schuldig und verurteilte ihn zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe. Er wurde mit anderen verurteilten Guerilleros in einem eigens errichteten Hochsicherheitsgefängnis auf einem Marinestützpunkt inhaftiert. Eingesperrt in eine winzige Betonzelle, verwehrte man ihm jeglichen Kontakt mit Angehörigen, Rechtsanwälten. Ärzten oder Journalisten. Sein Verteidiger im fingierten Prozeß wurde wegen Unterstützung des "Terrorismus" verurteilt und ebenfalls ins Gefängnis geworfen.

Im Oktober 1993 behauptete Präsident Fujimori, der Gefangene habe in schriftlicher Form Friedensverhandlungen gefordert und dem Volkskrieg eine Absage erteilt. Da Guzmán jede Möglichkeit genommen war, sich selbst zu äußern, machten damals einander widersprechende Einschätzungen die Runde, was von dieser Erklärung zu halten sei. Das neugebildete Zentralkomitee der Kommunistischen Partei bezichtigte Fujimori der Lüge und verurteilte die angeblichen Briefe als einen finsteren und perversen Täuschungsversuch.

Präsident Alejandro Toledo erklärte die "Antiterrorgesetze" der Ära Fujimori für verfassungswidrig und hob sie größtenteils auf. Das führte dazu, daß auch die Gefangenen der PCP Anspruch auf einen neuen Prozeß hatten, der jedoch wiederum vor einem Sondertribunal stattfand. Von einer Haftentlassung oder gar Rehabilitation konnte dabei nicht die Rede sein.

Als das Verfahren neu aufgerollt werden sollte, endete dieser Versuch 2004 im Chaos. Die Gefangenen und ihre Unterstützer skandierten vor laufenden Fernsehkameras Parolen des Widerstands, und im Verlauf der turbulenten Verhandlung mußten zwei der drei Vorsitzenden Richter wegen Befangenheit zurücktreten. Im Jahr 2005 hob das peruanische Verfassungsgericht das Urteil des Militärtribunals auf. Als das bislang letzte Verfahren im September 2005 begann, verbannte der Präsident des Antiterrorgerichtshofs, Pablo Talavera, Kameras und Tonaufzeichnungsgeräte aus dem Gerichtssaal.

Der Prozeß wurde unter scharfen Sicherheitsvorkehrungen auf derselben Marinebasis in der peruanischen Hauptstadt neu aufgerollt, in der man Guzmán seit 1992 gefangenhielt. Dieser lehnte das Verfahren als "Justizfarce" ab und betonte mit Nachdruck, daß er ein revolutionärer Kämpfer sei, der nicht als "Terrorist" bezeichnet werden dürfe. Im Oktober 2006 wurde der inzwischen 72 Jahre alte Gründer des "Leuchtenden Pfads" von dem zivilen Gericht wegen "Terrorismus, Mord und anderen Verbrechen" zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Seine 59jährige Mitstreiterin Elena Iparraguirre erhielt ebenfalls lebenslänglich, elf weitere Mitglieder der Gruppierung wurden zu Haftstrafen zwischen 24 und 35 Jahren verurteilt. Mit diesem Urteil bestätigte das Berufungsgericht nach einjährigem Revisionsverfahren am Ende genau die Entscheidung, die bereits das Militärtribunal 1993 gefällt hatte.

Die unerbittliche Haltung gegenüber dem "Leuchtenden Pfad" entspringt einer Mischung aus Haß und Furcht angesichts einer Rebellion, die in mehrfacher Hinsicht zu den markantesten auf lateinamerikanischem Boden zählt. Wenngleich nach der Gefangennahme seiner Anführer und einer lancierten Strategie zur Spaltung und Demoralisierung der Guerilla der Einfluß des "Leuchtenden Pfads" dramatisch sank, operieren heute wieder mehrere hundert Rebellen in entlegenen Dschungelgebieten.

Neben der zeitweiligen Stärke der Guerilla und ihrem tendentiellen Wiederaufleben ist es vor allem die unbeugsame Haltung der inhaftierten Führung, der Staat und Politik damals wie heute mit grausamer Wut begegnen. Da viele hochrangige Mitglieder der Organisation ihren Überzeugungen zu keiner Zeit abgeschworen haben, konnte ihr Kampf gegen die gesellschaftlichen Verhältnisse nie restlos als historischer Irrtum und befristetes Fehlverhalten verblendeter Fanatiker abqualifiziert werden, die längst überholt, gegenstandslos und inzwischen völlig abwegig seien. Zweifellos hat eine breite Mehrheit der Bevölkerung die Diffamierung der Guerilla geschluckt und lehnt ein Wiederaufleben der damaligen Auseinandersetzungen ab. Die sozialen Verhältnisse Perus haben sich jedoch in den letzten Jahren in einem Maße zugespitzt, daß der Funke der Revolte erneut überspringen und ein Lauffeuer entfachen könnte.

18. März 2009