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LATEINAMERIKA/2184: Kubafrage dominiert Vorfeld des Amerikagipfels (SB)


US-Blockade gegen Kuba Gradmesser der Beziehungen zu Lateinamerika


Im Vorfeld des Amerikagipfels der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), dessen alles beherrschendes Thema die Position der neuen US-Regierung gegenüber den Staaten Lateinamerikas sein wird, zeichnet sich Bewegung in den Beziehungen zwischen Washington und Havanna ab. Nicht nur die Kubaner selbst, sondern auch zahlreiche andere Länder der Region haben Präsident Obama aufgefordert, ein Zeichen zu setzen und die jahrzehntelange Blockade zu beenden. Daher gilt insbesondere die Kubapolitik der neuen US-Administration als entscheidender Hinweis auf deren Vorhaben, die es aus den wohlklingenden, aber bislang völlig unverbindlichen Absichtserklärungen herauszuschälen gilt. Keine andere Weltregion hat in den letzten Jahren eine derart dynamische und inspirierende politische Entwicklung eingeleitet, deren Gradmesser die Emanzipation vom hegemonialen Anspruch Washingtons bleibt. Nach dem dramatischen Ansehensverlust der Vereinigten Staaten in der Ära Bush muß Barack Obama mehr als weitere Täuschungsmanöver und haltlose Versprechen aufbieten, will er das Blatt wenden und die Länder des Südens wieder enger um die USA scharen.

Selbst Präsidenten wie Raúl Castro und Hugo Chávez, die von den Anfeindungen aus Richtung Washington ein Lied mit vielen Strophen singen können, haben Barack Obama großen Kredit eingeräumt und sich zu direkten Gesprächen mit ihm bereiterklärt. Daher wird man beim Gipfel vom 17. bis 19. April in Trinidad und Tobago mit gespannter Aufmerksamkeit verfolgen, ob es tatsächlich zu diesen direkten Begegnungen kommt, die bislang für die US-Administration tabu waren. Raúl Castro hat bereits mehrfach Dialogbereitschaft signalisiert, doch zugleich gegenseitige Achtung von Souveränität und Selbstbestimmung als unabdingbare Voraussetzung ernsthafter Gespräche angemahnt.

Die US-Regierung unter Präsident Barack Obama hat zwar eine Neubewertung ihrer Kubapolitik angekündigt, sich jedoch in der Kernfrage einer Lockerung des seit 47 Jahren andauernden Embargos bedeckt gehalten. Wohin der Hase laufen soll, ließ der Lateinamerikaberater des Weißen Hauses, Jeffrey S. Davidov, dieser Tage mit der Erklärung durchblicken, man wolle die Herangehensweise daraufhin bewerten, in welchem Maße sie zu einem Wandel in Kuba beitragen kann, der eine demokratische Gesellschaft herbeiführt. Am alten Ziel, dem kubanischen Gesellschaftsentwurf den Garaus zu machen, hält also auch die neue US-Regierung fest. Allerdings scheint sie der Auffassung zu sein, daß dazu eine gewisse Lockerung der Blockade besser als eine starre Aufrechterhaltung zu verschärften Bedingungen geeignet ist, wie sie unter Bush praktiziert wurde. Offenbar beabsichtigt man in Washington, insbesondere Restriktionen bei Reisen und Geldtransfers nach Kuba zu lockern.

Angesichts der zugrunde liegenden Absicht, dasselbe Ziel mit modifizierten Mitteln anzustreben, fällt es schwer, von einem regelrechten Tauwetter in den Beziehungen zwischen den beiden Ländern zu sprechen. Eher schon stellt sich die nüchterne Frage, ob Havanna in der Phase dieses Übergangs die Bedingungen in gewissem Umfang zu eigenen Gunsten gestalten kann, ohne dabei den strategischen Interessen Washingtons Vorschub zu leisten.

Ungewöhnlich war in diesem Zusammenhang, daß vor wenigen Tagen eine siebenköpfige Delegation von US-Kongreßabgeordneten von Präsident Raúl Castro und Außenminister Bruno Rodríguez in Havanna empfangen wurde. Seit Castros Amtsübernahme im Juli 2006 war dies die erste Begegnung auf einer solchen Ebene. Angeführt wurde die Gruppe von Parlamentariern der Demokratischen Partei von Barbara Lee, die den Wunsch zum Ausdruck brachte, eine offene Diskussion in Gang zu setzen und das Verhältnis der beiden Länder kurzfristig zu normalisieren. Wie sie nach ihrer Rückkehr in Washington berichtete, liege ein derartiger Dialog auch im Interesse der kubanischen Führung.

Zudem kam es in Havanna zu einem Treffen dreier Delegationsmitglieder mit dem früheren Staatschef Fidel Castro, der erstmals seit seiner Erkrankung Vertreter des US-Kongresses empfing. Barbara Lee beschrieb das zweistündige Treffen mit den Worten, der 82jährige sei sehr gesund, dynamisch und bei klarem Verstand gewesen.

Im kubanischen Internetportal www.cubadebate.cu sind unter der bekannten Rubrik "Reflexionen des Genossen Fidel" dessen jüngste Anmerkungen zum aktuellen Thema zu finden. Wie er darin hervorhebt, habe man keine Angst vor dem Dialog mit den Vereinigten Staaten: "Wir brauchen für unser Bestehen auch nicht die Konfrontation, wie manche Toren denken. Wir existieren gerade deshalb, weil wir an unsere Ideen glauben und niemals Angst davor hatten, mit unseren Gegnern zu sprechen. Das ist die einzige Art und Weise, die Freundschaft und den Frieden zwischen den Völkern abzusichern."

Davor nimmt Castro Bezug auf einen Artikel der Journalistin Karen DeYoung in der Washington Post, in dem diese auf eine Initiative des Senators von Indiana, Richard G. Lugar, eingeht. Der prominenteste Republikaner des Senatsausschusses für auswärtige Angelegenheiten ruft Präsident Obama dazu auf, einen Sonderbeauftragten zu benennen, der direkte Gespräche mit der kubanischen Regierung aufnimmt. Wie Lugar argumentiert, stellten die knapp 50 Jahre des Wirtschaftsembargos die Vereinigten Staaten in Widerspruch zur Meinung der Länder Lateinamerikas, der Europäischen Union und der Vereinten Nationen. Überdies unterminierten sie die langfristigen Sicherheits- und politischen Interessen in der westlichen Hemisphäre. Der Amerikagipfel biete die Gelegenheit, ein gastfreundlicheres Klima aufzubauen, um Fortschritte für die Interessen der Vereinigten Staaten in der Region durch eine Veränderung der Haltung bezüglich Kuba zu machen.

Natürlich ist sich Castro darüber im klaren, daß Senator Lugar nicht von philanthropischen Motiven inspiriert ist oder gar dem Sozialismus freundlich gesonnen wäre. Der einflußreiche Republikaner macht sich vielmehr für jenen Teil der US-amerikanischen Unternehmerschaft und Politik stark, der von einer Öffnung Kubas geschäftlich zu profitieren und darüber hinaus den so lange verwehrten politischen Einfluß zu nehmen hofft. Wichtig ist Castro an Lugars Vorstoß vor allem das unwiderlegbare Argument, daß die Maßnahmen der Vereinigten Staaten gegen Kuba über knapp ein halbes Jahrhundert ein kompletter Mißerfolg gewesen sind.

Zweifellos wäre eine Verminderung der hegemonialen Anmaßung Washingtons oder gar ein rasches Ende der Blockade - mit dem freilich auch unter Obama nicht zu rechnen ist - eine ungeheure Erleichterung für Kuba. Damit ist jedoch auch die Gefahr verbunden, daß die US-Politik mit vorgeblich konzilianteren Strategien am Ende doch erreicht, was ihr mit rigoroser Konfrontation verwehrt blieb: Die Spaltung und Zersetzung der kubanischen Gesellschaft durch Konsummöglichkeiten und Dollars, wie sie gewiß auch Senator Lugar vorschwebt. Sollen die Anfeindungen der USA weiterhin ein Mißerfolg bleiben, muß Kuba auch künftig eine Gratwanderung ohnegleichen bewältigen.

9. April 2009