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LATEINAMERIKA/2186: Evo Morales setzt sich mit Hungerstreik durch (SB)


Boliviens Opposition stimmt nach langem Tauziehen Neuwahlen zu


Boliviens Präsident Evo Morales hat sich mit seinem Hungerstreik gegen die Opposition durchgesetzt, die ein neues Wahlgesetz verhindern wollte. Der bolivianische Staatschef hatte seit Donnerstag vor Ostern keine Nahrung mehr zu sich genommen und angekündigt, er werde so lange fasten, bis die Blockade im Senat beendet sei. Dieser stimmte schließlich nach neunstündiger Debatte der Reform zu, die für den 6. Dezember vorgezogene Parlaments- und Präsidentenwahlen vorsieht und die Rechte der indígenen Bevölkerung stärkt. Gegner des Vorhabens aus den Kreisen der Nachkommen europäischer Einwanderer hatten sich insbesondere gegen den Passus gesträubt, der indígenen Gruppen eine größere Zahl fester Sitze im Parlament reserviert. Ferner sieht das neue Wahlgesetz erstmals die Wahlmöglichkeit für Bolivianer im Ausland vor.

Der 49jährige Morales hat wie schon in der Vergangenheit bei strapaziösen Protestmärschen an der Seite von Bauern und Minenarbeitern wiederum körperlichen Einsatz nicht gescheut, um der Obstruktionshaltung oppositioneller Kräfte, welche die Privilegien der wohlhabenden hellhäutigen Minderheit gegen die arme Bevölkerungsmehrheit verteidigen, zu Fall zu bringen. Fast sechs Tage verbrachte er auf einer Matratze am Boden und nahm nur Wasser und Kokatee zu sich. Ihn unterstützten vierzehn Arbeiter- und Bauernführer, die im Präsidentenpalast an der Plaza Murillo mit ihm fasteten. "Das Volk darf niemals vergessen, daß der revolutionäre Wandel durch Kampf erreicht wird", sagte Morales nach dem Ende des Hungerstreiks. Mit seiner Aktion, die sich einer alten Kampfform bediente, stärkte Morales den Rückhalt seitens seiner Anhänger. Viele indígene Gruppen waren zunehmend unzufrieden geworden, weil ihnen die in Angriff genommen Reformen nicht weit genug gingen und zu langsam umgesetzt wurden.

"Der übergewichtige Präsident macht Diät, um Wahlbetrug zu kaschieren", höhnte der Oppositionspolitiker Jorge Quiroga. In dieser Äußerung deutet sich der tiefempfundene Haß der bolivianischen Eliten gegen den "Indio" an der Spitze des Landes an, den sie mit rassistischen Tiraden zu beschimpfen pflegen, die in einem europäischen Staat augenblicklich strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen würden. Der Vorwurf des Wahlbetrugs ist ein mehr als fadenscheiniger Vorwand angesichts durchgängiger Niederlagen der Regierungsgegner bei sämtlichen landesweiten Wahlen und Referenden seit Amtsantritt des Präsidenten.

Morales wies darauf hin, daß die Präfekten der Tieflandprovinzen keinerlei Anstoß am Wahlregister genommen hatten, als sie 2008 ihre eigenmächtigen Volksbefragungen für größere Autonomie durchführten. Dies mache deutlich, daß es sich bei den nun vorgebrachten Einwänden um ein Verzögerungsmanöver handle, das auf die Verhinderung allgemeiner Wahlen abziele, bei denen die Opposition eine weitere Niederlage befürchte. Ausländische Wahlbeobachter, die in großer Zahl bei allen wichtigen Urnengängen der letzten Jahre zugegen waren, hatten deren ordnungsgemäße Durchführung bestätigt. Vertreter der Vereinten Nationen, der Organisation Amerikanischer Staaten und der Jimmy-Carter-Stiftung hatten das Wahlregister zuletzt beim Verfassungsreferendum als zuverlässig eingestuft.

Es kam zu turbulenten Szenen mit gegenseitigen Beschimpfungen und einem Handgemenge im Senat, bis sich schließlich nach langem Tauziehen ein Kompromiß abzeichnete. Um der Opposition den Wind aus den Segeln zu nehmen, stimmte die Regierung der Forderung zu, neue Wählerlisten zu erstellen. Sie verlangte jedoch die Einführung eines biometrischen Wählerregisters mit digitalem Fingerabdruck, das Unregelmäßigkeiten wie mehrfache Stimmabgaben ausschließen soll. Das Oberste Nationale Wahlgericht (CNE) erklärte sich bereit, die Eintragungen der 4,3 Millionen Bolivianer im In- und Ausland zu überprüfen. Die Kosten werden auf bis zu 35 Millionen US-Dollar geschätzt und sollen mit Geldern bestritten werden, die für den Kauf eines Flugzeugs für den Präsidenten veranschlagt waren. Auch hofft die Regierung auf Spenden aus dem Ausland. Da das Oberste Nationale Wahlgericht aus gegebenem Anlaß alle Wahlbefragungen in den kommenden drei Monaten untersagt hat, kann man durchaus von einem Eigentor der Opposition sprechen. Deren geplante Referenden zur Autonomie der Provinzen La Paz, Cochabamba, Chuquisaca, Oruro und Potosí sind damit vorerst auf Eis gelegt. (junge Welt 14.04.09)

Im Februar war in einem Referendum die neue Verfassung angenommen worden, die eine Novelle der Wahlgesetzgebung innerhalb von 60 Tagen vorschreibt. Für den Verfassungsentwurf hatte die Regierung lange gegen erbitterten Widerstand gekämpft, der sich in den reichen Provinzen des südöstlichen Tieflands formierte. Die Verfassung räumt dem Präsidenten eine zweite fünfjährige Amtszeit ein, die Morales mit dem erhofften Wahlsieg im Dezember anstrebt. Da die Opposition seine Wiederwahl angesichts der bestehenden Mehrheitsverhältnisse im Land nicht verhindern kann, verlegte sie sich wie so oft auf eine Verzögerungstaktik. Das Abgeordnetenhaus hatte der Entwurf des Wahlgesetzes bereits passiert, doch blockierte der Senat, in dem die Regierungsgegner über eine Mehrheit verfügen, das Vorhaben.

Vielerorts in Bolivien hatten sich Menschen dem Hungerstreik angeschlossen, obgleich der Präsident für ihre Unterstützung gedankt und sie zugleich gebeten hatte, über die Osterfeiertage nicht zu fasten. Unterstützung während des Hungerstreiks erfuhr Evo Morales auch von Fidel Castro und Hugo Chávez, die im Vorfeld des Gipfels der Bolivarischen Alternative für die Völker unseres Amerikas (ALBA), der heute in Venezuela beginnt, in Havanna zu fast dreistündigen Beratungen zusammengetroffen waren. Keiner könne bestreiten, daß Evo Morales diese Schlacht gewinnen wird - und zwar ohne den Einsatz von Gewalt oder Machtmißbrauch, unterstrich Castro. "Ich bin bei dir, so wie alle Völker Amerikas für diese noble Sache", erklärte sich auch Chávez solidarisch.

15. April 2009