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LATEINAMERIKA/2222: Im peruanischen Urwald formiert sich der Widerstand (SB)


Zynisches Kalkül der Regierung García vehement zurückgewiesen


Das von peruanischen Polizeikräften verübte Massaker im Zuge der gewaltsamen Räumung einer Straßensperre im nördlichen Amazonasgebiet des Landes ist zum Fanal einer Protestbewegung geworden, die nun über den Widerstand der indígenen Regenwaldbewohner hinaus um sich greift. Der Name des Ortes Bagua, in dessen Nähe mehr als 30 Menschen starben und über 150 verletzt wurden, markiert einen Wendepunkt in der Organisierung und Radikalisierung einer Front gegen die Ausplünderung der Bodenschätze, die Vernichtung des Waldes und die Zerstörung der Lebensgrundlage zahlloser darin beheimateter Menschen. Das zynische Kalkül Präsident Alan Garcías, man könne einige Hunderttausend Ureinwohner bedenkenlos den Verwertungsinteressen einheimischer Eliten und multinationaler Konzerne opfern, könnte sich in seinen Folgen als verhängnisvoll für das Regime in Lima erweisen.

Zwei Monate lang hatten die Regenwaldbewohner Straßen blockiert, Kabel über Flüsse gespannt und Ölanlagen im Dschungel besetzt, ohne jemandem ernsthaft ein Haar zu krümmen. Der friedliche Protest mochte die Regierung zu der Fehleinschätzung verleitet haben, man könne dieser Kampagne im Handstreich ein Ende machen. Tränengas und scharfe Schüsse aus Hubschraubern und den Reihen der anrückenden Spezialkräfte, die Entsetzen hervorriefen und einen hohen Blutzoll forderten, führten zwangsläufig zu einer Fluchtbewegung vor Ort, doch keineswegs zum Zusammenbruch des Widerstands, der sich neu formiert hat und längst wachsender Unterstützung erfreut.

Zugleich wird deutlich, daß der indígene Protest sehr wohl den Zusammenhang zwischen den Dekreten Präsident Garcías und dem bilateralen Handelsabkommen zwischen Peru und den USA herzustellen weiß und sich grundsätzlich der Ausplünderung durch ausländische Konzerne entgegenstemmt. Nach Jahrhunderten der Vernichtung, Unterdrückung und Ausgrenzung formieren sich die indígenen Völker Lateinamerikas heute mit einer Entschlossenheit und Konsequenz, die von den bornierten hellhäutigen Eliten gefürchtet und mit wütendem Rassismus verteufelt, doch nicht länger aufgehalten wird.

Peru verfügt über reichhaltige Bodenschätze wie Erdöl und Erdgas, aber auch Kupfer und Zink, Gold und Silber, deren Ausbeutung maßgeblich zum rasanten Wirtschaftswachstum der vergangenen Jahre beigetragen hat. Profitiert haben davon die ausländischen Investoren und nationalen Eliten, während weite Teile der Bevölkerung nicht nur keinen nennenswerten Anteil an diesem Zugewinn hatten, sondern verarmten. Am unteren Ende dieser Kette rangieren die Völker des tropischen Regenwalds, deren Existenzmöglichkeiten vernichtet werden. Da der Dschungel alles ist, was sie haben, leisten sie erbitterten Widerstand.

Die peruanische Regierung hatte den indígenen Gemeinden zunächst zugesichert, sich bei anstehenden Entscheidungen, die beiderseitige Interessen berühren, jedes Mal mit ihren Vertretern in Verbindung zu setzen. Ohne Rücksicht auf diese Vereinbarung wurden die neuen Gesetze jedoch an den unmittelbar betroffenen Menschen vorbei im präsidialen Handstreich verfügt. Diese kritisieren insbesondere ein Gesetz, dem zufolge sich die jeweiligen Unternehmen bei der Erschließung und Förderung von Bodenschätzen nicht mehr mit der ansässigen Bevölkerung in Verbindung setzen müssen. Abgelehnt wird zudem ein neues Flächennutzungsgesetz, das auch die Rodung geschützter Waldflächen gestattet, sofern es sich um Vorhaben von nationaler Bedeutung handelt. Auch öffnet ein weiteres Gesetz einer Privatisierung der Wasserwirtschaft Tür und Tor.

Wie nicht anders zu erwarten, bezichtigt die peruanische Regierung Venezuela, Bolivien und Ecuador, sie wiegelten die Dschungelbewohner auf, um Peru zu schwächen. Zugleich wirft man Ollanta Humala, der sich erklärtermaßen an Vorbildern wie Hugo Chávez und Evo Morales orientiert, mit derselben Stoßrichtung vor, er manipuliere seine indígenen Landsleute, um seinen politischen Plänen zur Durchsetzung zu verhelfen. Bei der Präsidentschaftswahl 2006 war der in ärmeren Kreisen der Bevölkerung populäre ehemalige Offizier nur knapp an García gescheitert, der nun die unerwarteten Hindernisse bei der Umsetzung seiner Pläne zu einer Verschwörung finsterer Mächte erklärt.

Schon eine Woche vor dem Massaker von Bagua hatte der nationale Streikführer Alberto Pizango die Vorwürfe zurückgewiesen, die Bewegung werde von der Regierung Venezuelas oder der Partei Humalas finanziert. Alle zur Verfügung stehenden Mittel seien von seinen Leuten gesammelt worden, die den Protest unterstützten. Auch Humala ist der Bezichtigung entgegengetreten und hat die Administration Garcías scharf kritisiert, da sie es vorziehe, unschuldige Indianer zu töten, statt über die umstrittenen Dekrete zu verhandeln.

In der Hoffnung, dem Protest die Spitze zu nehmen und seine Ausweitung zu einem landesweiten Konflikt zu verhindern, hat der peruanische Kongreß zwei der kontroversesten Dekrete des Präsidenten vorerst auf Eis gelegt. Wie Innenministerin Mercedes Cabanillas daraufhin erklärte, bestehe nun kein Grund mehr, die Bevölkerung zur Teilnahme an Demonstrationen zu ermutigen, die sinnlos seien und abgesagt werden sollten. Von solch durchsichtigen Manövern lassen sich die zunehmend besser organisierten Indígenas jedoch nicht hinters Licht führen. Die Regierung habe den Lebensraum der Menschen verkauft und erwarte nun allen Ernstes, daß sich keine Hand dagegen erhebt und alle wieder nach Hause gehen, als sei nichts geschehen, wies man den Appell, sich zu unterwerfen, entschieden zurück.

In Iquitos, der größten Stadt im peruanischen Amazonasgebiet, befolgten Tausende den Aufruf zum Generalstreik. Landesweit unterstützen Gewerkschaften, Bauern, Umweltschützer und Studenten die Kampagne gegen die Pläne Präsident Garcías. Auch in Regionen des Andenhochlands wie in der Stadt Puno nahe der Grenze zu Bolivien und in Arequipa an der Pazifikküste, der zweitgrößten Stadt des Landes, kam es zu Protestkundgebungen, bei denen Bilder des Staatschefs verbrannt wurden. Im historischen Zentrum von Lima ging die Polizei mit Tränengas und Gummiknüppeln gegen die Demonstranten vor und nahm mehrere Menschen fest. Wie Gewerkschaftsführer Mario Huaman erklärte, richte sich der Marsch zum Parlament gegen "die arrogante, intolerante, überhebliche und diskriminierende Haltung der Regierung gegenüber den Amazonasgemeinschaften". Im Amazonasgebiet errichteten mit Speeren bewaffnete Regenwaldbewohner erneut Straßensperren.

Wenngleich es der Regierung mit ihrem massiven Polizeieinsatz vorerst gelungen ist, die Versorgung Limas mit Öl und Gas sicherzustellen, sind die indígenen Gruppen durchaus in der Lage, erneut Förderanlagen zu besetzten und stillzulegen wie auch Transportwege zu blockieren. Sie fordern nun, die umstrittenen Dekrete nicht nur zeitweise auszusetzen, sondern vollständig zurückzunehmen. Dabei verweisen sie darauf, daß die Regierung bereits im August 2008 nach einer Welle des Protests die Pläne auf Eis gelegt, sie dann jedoch im April mit um so größerer Wucht und ohne Einbeziehung der im Urwald lebenden Menschen durchsetzen wollte.

Wie Außenminister José García Belaunde unterstrichen hat, sei das Handelsabkommen mit den Vereinigten Staaten nicht in Gefahr. Die Regierung Perus werde sich nicht daran hindern lassen, die getroffenen Vereinbarungen umzusetzen und die gesetzlichen Grundlagen für Investitionen im Amazonasgebiet zu schaffen. Allerdings hatte die politische Führung in Lima keine glückliche Hand bei dem Versuch, den Widerstand gegen diese Pläne zu diffamieren. Ein Fernsehspot des Innenministeriums argumentierte mit dem Vorwurf, die Ermordung als Geiseln festgehaltener Polizisten beweise die Wildheit und Grausamkeit der Indianer. Ein Aufschrei der Entrüstung in weiten Teilen der Öffentlichkeit veranlaßte die Regierung jedoch, diesen Spot umgehend einzustellen.

Da längst Augenzeugenberichte durch die internationalen Medien gegangen sind, wonach Sicherheitskräfte die Leichen getöteter Demonstranten in einen nahegelegenen Fluß geworfen haben, um die tatsächliche Opferzahl zu vertuschen, fällt es der Regierung schwer, das Massaker zu verschleiern. Offenbar weigert sie sich jedoch vehement zu verstehen, welchen Einfluß die Bewohner des Regenwalds nehmen können, wenn sie sich unter dem Eindruck massiver Repression organisieren und radikalisieren. In der Vergangenheit sind alle Versuche gescheitert, die indígenen Völker des Amazonasgebiets mit jenen im Hochland zu einer gemeinsamen Front zu vereinigen. Deshalb glaubten sich die Eliten Perus bislang vor einer Entwicklung wie in den Nachbarländern Bolivien und Ecuador gefeit, wo Regierungen von einer breiten indígenen Protestbewegung gestürzt worden sind.

Das könnte sich jedoch binnen kurzer Fristen ändern, zumal die peruanischen Indígenas inzwischen nicht mehr von hellhäutigen Intellektuellen aus den Städten, sondern von ihresgleichen organisiert und angeführt werden sowie ihre Kommunikationswege wesentlich verbessert haben. Auch ist es ihnen gelungen, den vorübergehenden Verlust prominenter Anführer wie Alberto Pizango sofort zu kompensieren, der in Peru als angeblicher Aufrührer steckbrieflich gesucht wird und von Nicaragua politisches Asyl erhalten hat. Pizango gehört der ethnischen Gruppe der Shawi an und hat viele Jahre als zweisprachiger Lehrer in Gemeinschaften der Indígenas gearbeitet. Er ist Präsident der Vereinigung AIDESEP, die seinen Angaben zufolge 1.350 Gemeinden an der Küste, im Hochland und im Regenwald Perus vertritt. In ihr sind 350.000 Menschen aus 26 Sprachfamilien zusammengeschlossen.

Gemessen an der Gesamtbevölkerung des Landes sind die Bewohner des Regenwalds zwar nur eine kleine Minderheit, doch leben sie an vielen Orten des Dschungelgebiets, das fast zwei Drittel des Landes bedeckt und die meisten Ressourcen beherbergt. Nach einer Erhebung aus dem Jahr 2007 hat Peru gut 28 Millionen Einwohner, von denen die indígenen Völker rund 45 Prozent der gesamten Bevölkerung ausmachen. Daher kommt AIDESEP eine enorme Bedeutung zu, sofern es ihr gelingt, die traditionelle Aufsplittertung zu überwinden und die gemeinsamen Interessen dieser großen Bevölkerungsgruppe offensiv durchzusetzen. Das zynische Kalkül der Regierung Präsident Garcías, die in diesen Menschen nur rückständige Wilde zu erkennen vermag, die man ohne größere Probleme ausbooten oder gewaltsam brechen kann, geht nicht mehr auf.

15. Juni 2009