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LATEINAMERIKA/2223: Regierung in Lima zum Einlenken gezwungen (SB)


Präsident García hat den neoliberalen Bogen überspannt


Die Regierung Perus hat im Konflikt mit den indígenen Völkern des tropischen Regenwalds ihr neoliberales Blatt überreizt und sieht sich zu einem Rückzieher gezwungen. Nachdem die blutigen Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und protestierenden Bewohnern des Amazonasgebiets nicht zu der von der politischen Führung des Landes erhofften Einschüchterung und Demoralisierung, sondern im Gegenteil zu einer Verstärkung des Widerstands und dessen Unterstützung durch andere gesellschaftliche Kräfte geführt haben, waren Zugeständnisse unvermeidlich. Das verhaßte Beispiel der Nachbarländer Bolivien und Ecuador vor Augen, in denen indígene Bewegungen Regierungen gestürzt und wie im Fall von Evo Morales sogar die Präsidentschaft errungen haben, muß der peruanische Staatschef Alan García Vergleichbares befürchten, sofern er nicht akzeptable Kompromisse schließt und damit seine Haut fürs erste rettet.

Ministerpräsident Yehude Simon, der dieses Amt erst seit vergangenem Oktober innehat, muß als Sündenbock die Suppe für den Präsidenten auslöffeln, der damit weit mehr als ein Bauernopfer ins Feld führt. Simon erfüllt eine aktuelle Forderung des indígenen Widerstands und hat seinen Rücktritt in naher Zukunft in Aussicht gestellt, wobei er sich die Frist von einigen Wochen ausbat. Er werde auf alle Fälle den Hut nehmen, doch wolle er zuvor die Krise beilegen und die Beziehungen zwischen Regierung und Ureinwohnern beruhigen, erklärte er nach Gesprächen mit Vertretern der Regenwaldbewohner.

Wichtiger als der Rücktritt des Regierungschefs ist seine Zusage, man werde die beiden umstrittensten Dekrete zur Nutzung der Ressourcen des Regenwaldes, die der Kongreß vorerst ausgesetzt hatte, nunmehr vollständig aufheben. Ein entsprechender Gesetzentwurf soll umgehend im Parlament beraten werden. Zudem wird eine parteiübergreifende Kommission die Überarbeitung von vier weiteren Dekreten prüfen. Unterdessen soll eine Vermittlergruppe nach einer endgültigen Lösung der Konflikte suchen. Des weiteren erklärte sich die Regierung bereit, die Rechte der indígenen Völker zu berücksichtigen und Millionen Hektar Land unter Naturschutz zu stellen. Um des Friedens willen habe die Regierung vollständig nachgegeben, erklärte Umweltminister Antonio Brack Egg. Nicht zuletzt akzeptiert man nun Alberto Pizango als Sprecher der Ureinwohner, der bislang als angeblicher Aufrührer per Haftbefehl gesucht wurde und in die Botschaft Nicaraguas geflohen war, wo man ihm umgehend Asyl gewährte.

Die Interethnische Vereinigung zur Entwicklung des peruanischen Waldes AIDESEP kritisierte die späte Reaktion der Regierung in Lima. Nachdem die Dekrete im April noch für unantastbar erklärt worden waren, mußten erst 35 Menschen sterben, damit sie auf einmal doch annullierbar sind. Auch habe die Regierung noch immer nicht den Ausnahmezustand in der Unruheprovinz Bagua aufgehoben. Ehe man Versprechungen vertraue, müsse man Taten sehen, erklärte AIDESEP-Sprecherin Daysi Zapata.

Die Bewohner des Amazonasgebiets im Nordosten des Landes protestieren seit Monaten gegen mehrere Dekrete Präsident Garcías, die im Rahmen eines Freihandelsabkommens mit den USA eine Erschließung der Region für Erdölbohrungen, Abholzungen und Landwirtschaft erleichtern sollen. Dabei werden nicht nur die von alters her bestehenden Rechte und Traditionen der dort lebenden Menschen mißachtet, sondern darüber hinaus deren Existenzgrundlagen zerstört. Neben Menschenrechtsgruppen unterstützen auch katholische Missionare die Waldbewohner, indem sie die Auffassung teilen, die Regierung wolle deren Land an private Investoren verkaufen. Sie habe die schlechten Lebensumstände der Ureinwohner seit langem ignoriert und den Menschen jede Mitsprache verweigert, die nur versuchten, ihre Gebiete und ihre Kultur mit friedlichen Mitteln zu verteidigen.

Der Konflikt hatte am 5. Juni seinen Höhepunkt erreicht, als Sicherheitskräfte bei der gewaltsamen Räumung einer Straßenblockade nahe der Stadt Bagua mit Tränengas und scharfer Munition in eine Menge von mehreren tausend Menschen feuerten, die sich dort versammelt hatte. Offiziellen Angaben zufolge wurden bei dem Massaker und den nachfolgenden Auseinandersetzungen 25 Polizisten und neun Zivilisten getötet. Vertreter der Ureinwohner sprachen jedoch von bis zu 30 erschossenen Demonstranten, deren Leichen zum Teil in einen nahegelegenen Fluß geworfen wurden, um das Ausmaß des Blutbads zu vertuschen. Etwa 60 Menschen gelten weiterhin als vermißt. Menschenrechtsgruppen haben inzwischen die Forderung erhoben, eine internationale Untersuchungskommission einzusetzen.

Alan García, der trotz einer katastrophalen ersten Amtszeit von 1985 bis 1990, nach deren Ende er wegen Korruptionsvorwürfen ins Exil flüchten mußte, im Jahr 2006 erneut zum Präsidenten Perus gewählt wurde, hat sich vorerst aus der unmittelbaren Schußlinie gebracht. Mit seinem ausgeprägt neoliberalen Kurs hat er Peru attraktiv für internationale Ausbeutungsinteressen gemacht, wobei für die weiße Mittel- und Oberschicht reichlich abfiel, während die Millionen in den Elendsviertel Limas und die indígenen Völker des Andenhochlands und Amazoniens ausgegrenzt wurden. Rund 60 Prozent des Landes sind von tropischem Regenwald bedeckt, und diese riesige Region will der Staatschef zu drei Vierteln zur Ausplünderung freigegeben.

Der 60jährige Staatschef hielt den protestierenden Ureinwohnern entgegen, sie seien keine Bürger erster Klasse und lebten in einem Land, dessen breite Mehrheit keinen Weg zurück in die Steinzeit wünsche. Er verglich die Demonstranten sogar mit den Rebellen des Leuchtenden Pfads, die in den 1980er und 1990er Jahren zu den bedeutendsten und schlagkräftigsten Guerillaorganisationen Lateinamerikas gehörten. García war in seiner ersten Amtszeit hochrangiger Akteur dieses Bürgerkriegs, Auftraggeber eines Massakers an inhaftierten Rebellen und politisch verantwortlich für das Wüten der Streitkräfte unter der ländlichen Zivilbevölkerung. Wenn er heute die Regenwaldbewohner in diffamierenden Absicht zu "Terroristen" erklärt und mit den Guerilleros des Sendero Luminoso gleichsetzt, scheint er in seiner maßlosen Überheblichkeit zu verkennen, welche Geister des Aufbegehrens er da ruft.

17. Juni 2009