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LATEINAMERIKA/2225: Militärputsch in Honduras weithin verurteilt (SB)


Eliten des Landes sabotieren Reformkurs Präsident Zelayas


Manuel Zelaya gehört der etablierten Liberalen Partei an und wurde im November 2005 auf Grundlage eines Wahlprogramms, das die Sicherheitspolitik in den Mittelpunkt stellte, zum neuen Präsidenten des mittelamerikanischen Landes Honduras gewählt. In einem Kopf-an-Kopf-Rennen zweier Politiker, die beide dem konservativen Lager zugerechnet wurden, mußte sich Porfirio Pepe Lobo damals knapp geschlagen geben. Nach seinem Amtsantritt im Januar 2006 legte Zelaya zur Überraschung vieler einen Kurs an, der ihn auf Annäherung zur venezolanischen Regierung und deren Entwicklungsentwurf brachte, was in einen Beitritt zur Bolivarischen Allianz ALBA mündete.

Zwangsläufig vertieften sich die Konflikte zwischen den Wirtschaftseliten und Militärs des Landes auf der einen, und der gewählten Präsidentschaft und Regierung auf der anderen Seite, wobei der Staatschef auch in seiner eigenen Partei mit wachsendem Widerspruch zu kämpfen hatte. Als Zelaya im Januar den Mindestlohn von 157 auf 280 Dollar anhob, wovon bestimmte Exportzonen ausgenommen waren, reagierte die Unternehmerschaft mit Aussperrungen. In einem Land wie Honduras, in dem rund 70 Prozent der Bevölkerung in Armut leben, schlägt eine derartige Zwangsmaßnahme unmittelbar auf die Existenzsicherung durch.

Nach dem Vorbild Venezuelas, Boliviens und Ecuadors strebte Manuel Zelaya eine partizipative Demokratie an und wollte durch eine Volksabstimmung den Weg zu einer verfassunggebenden Versammlung eröffnen. Mit Unterstützung der Gewerkschaften, Bauernverbände und indígenen Organisationen plante er ein Referendum, in dem die Wähler darüber abstimmen sollten, ob zeitgleich mit der Präsidentenwahl im November eine Volksabstimmung über die Wahl einer solchen Versammlung stattfinden kann. Dies führte zu einem erbitterten Machtkampf gegen die Militärs, den Obersten Gerichtshof und das Parlament. Am Mittwoch hatte der Präsident Armeechef Romeo Vasquez entlassen, dessen Wiedereinsetzung der Oberste Gerichtshof anordnete. Als Zelaya dieser Aufforderung nicht nachkam, wurden Truppen in der Hauptstadt Tegucigalpa zusammengezogen.

In den frühen Morgenstunden des Sonntags stürmten mehrere hundert vermummte Soldaten den Regierungspalast und verschleppten den 56jährigen Zelaya, der gewaltsam außer Landes nach Costa Rica gebracht wurde. Während Kampfflugzeuge und Hubschrauber über der Hauptstadt kreisten, strahlten die der Opposition nahestehenden privaten Fernsehsender anstelle aktueller Berichte über die Ereignisse Zeichentrickfilme aus. Sender der Regierung wurden abgeschaltet, so daß nur noch wohlhabendere Bürger, die über einen Internetanschluß oder Kabelfernsehen verfügen, Zugang zu aktuellen Informationen hatten. Panzer rollten durch die Straßen und der Strom wurde stundenlang abgeschaltet. Die Regierungsgebäude wurden von Soldaten besetzt und bewacht.

Offenbar wurden auch die anderen Regierungsmitglieder von den Putschisten festgenommen, wobei es Außenministerin Patricia Rodas kurz zuvor noch möglich war, Kontakt mit ausländischen Fernsehstationen aufnehmen und von dem Angriff zu berichten. Rosario Murillo, die Frau und Sprecherin Präsident Daniel Ortegas, teilte in Managua mit, daß die Botschafter Kubas, Venezuelas und Nicaraguas bei einem Besuch in der Residenz der honduranischen Außenministerin Patricia Rodas festgenommen worden seien. Der lateinamerikanische Sender Telesur berichtete, die drei Diplomaten seien geschlagen und anschließend freigelassen worden.

Nach Informationen des Senders TeleSur versammelten sich mehrere tausend Menschen am Regierungspalast, um gegen den Staatsstreich zu protestierten und die Soldaten zu vertreiben, wobei ihnen letzteres nur ansatzweise gelang. Später errichteten Anhänger Zelayas Straßensperren und blockierten die Zufahrt zu dem von Truppen besetzten Präsidentenpalast. Die Demonstranten zündeten Reifen an und bewarfen Autos mit Steinen, wobei Augenzeugen auch von Schüssen berichteten.

Wie der Oberste Gerichtshof erklärte, habe Zelaya rechtswidrig eine zweite Amtszeit angestrebt. Daher habe man die Armee zu seinem Sturz angewiesen. Unterdessen ernannte der Kongreß Parlamentspräsident Roberto Micheletti, der Zelayas Liberaler Partei angehört, zum Übergangspräsidenten. Dieser erklärte, er sei nicht durch einen Staatsstreich ins Präsidentenamt gekommen, sondern durch einen völlig legalen Prozeß wie in den Gesetzen vorgesehen. Die Absetzung Zelayas durch die Armee sei ein "Akt der Demokratie" gewesen, da die Streitkräfte in Einklang mit Justiz und Verfassung gehandelt hätten. Auf einer ersten Pressekonferenz rechtfertigte Micheletti den Umsturz und erklärte, weder US-Präsident Barack Obama, noch viel weniger Venezuelas Präsident Hugo Chávez habe das Recht, Honduras zu bedrohen. Er werde bald mit der internationalen Staatengemeinschaft Kontakt aufnehmen, um eine Isolation seines Landes zu vermeiden und darum zu bitten, daß die Souveränität von Honduras respektiert werde. Micheletti verhängte umgehend eine 48stündige Ausgangssperre und nahm die Bildung einer neuen Regierung auf. Er ernannte den Juristen Enrique Ortiz Colíndes zum neuen Außenminister, während der bisherige Sekretär des Kongresses, Alfredo Saavedra, mit dem Amt des Parlamentschefs betraut wurde.

Zelayas Privatsekretär Enrique Reina rief zur Unterstützung für die Demokratie in Honduras auf und kündigte eine internationale Beschwerde an. Die Präsidenten Venezuelas und Boliviens, Hugo Chávez und Evo Morales, verurteilten umgehend den Putsch und gaben Solidaritätserklärungen für Zelaya ab. Wie der venezolanische Staatschef unterstrich, werde seine Regierung keinen anderen Präsidenten als Manuel Zelaya anerkennen. Er versetzte die Streitkräfte seines Landes in Alarmbereitschaft und warnte die Machthaber in Tegucigalpa vor einem Eindringen in die venezolanische Botschaft, da dies de facto den Kriegszustand herstellen würde. Chávez berief einen Sondergipfel der ALBA ein, um über die Krise in Honduras zu beraten.

Wenngleich die Vereinigten Staaten auf eine lange Tradition der Einmischung in Mittel- und Südamerika zurückblicken können, wo sie zahlreiche Militärcoups unterstützt haben, und insbesondere zu Honduras enge Verbindungen unterhalten, machen sie diesmal den Eindruck, die Finger nicht im Spiel zu haben. Eigenen Angaben zufolge waren US-Vertreter in den zurückliegende Tagen bemüht, zwischen Regierung und Streitkräften zu vermitteln, um den drohenden Staatsstreich abzuwenden. Am Sonntag hätten die Militärs jedoch die Gespräche abgebrochen. Wie eng die militärischen Verbindungen zwischen beiden Ländern sind, zeigt die Stationierung eines US-amerikanischen Spezialkommandos auf einem Flughafen nur 50 Meilen nordwestlich der Hauptstadt Tegucigalpa, wobei diese Einheit honduranische Soldaten ausbildet sowie Antidrogeneinsätze in ganz Mittelamerika durchführt.

Präsident Barack Obama rief die Konfliktparteien auf, zu demokratischen Normen und rechtsstaatlichen Prinzipien zurückzukehren. Bestehende Spannungen müßten friedlich auf dem Weg des Dialogs und ohne Einmischung von außen gelöst werden. Er sei über die Lage in dem mittelamerikanischen Staat tief besorgt. Zugleich wies das Weiße Haus jegliche Verwicklung in den Staatsstreich zurück, wie sie Chávez angedeutet hatte. Außenministerin Hillary Clinton erklärte, die Festnahme und Ausweisung Zelayas verstießen gegen die Regeln der interamerikanischen Charta für Demokratie und müßten von allen verurteilt werden. Ein Vertreter der US-Regierung betonte, Washington werde den Nachfolger Zelayas nicht anerkennen.

Obama schloß sich der Forderung der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) an, wonach alle Akteure in Honduras die demokratischen und rechtsstaatlichen Normen respektierten müßten. Die OAS verurteilte auf einem von Generalsekretär José Miguel Insulza eilig einberufenen Krisentreffen in Washington den Putsch in Honduras und verlangte die Rückkehr Zelayas in sein Amt, da man keine andere Regierung anerkennen werde.

Die UNO-Vollversammlung kommt heute abend zu einer Sondersitzung zusammen. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon hat die Festnahme Zelayas bereits mißbilligt und sich für eine Unterstützung der demokratischen Institutionen in Honduras eingesetzt. Die EU verurteilte den Staatsstreich mit den Worten, diese Aktion bedeute eine nicht hinnehmbare Verletzung der verfassungsmäßigen Ordnung in Honduras, wie der tschechische Außenminister Jan Kohout im Namen der Ratspräsidentschaft erklärte.

Manuel Zelaya sagte dem Sender CNN, er sei keineswegs zurückgetreten, sondern vielmehr von einer politisch-militärischen Verschwörung gestürzt worden. Eine Usurpatorenregierung, die durch Gewalt an die Macht gekommen ist, werde in keinem Land akzeptiert. Bei der Pressekonferenz mit seinem costaricanischen Kollegen Oscar Arias in San José rief er seine Landsleute auf, friedlich Widerstand zu leisten. Das honduranische Volk werde niemals eine illegale Regierung akzeptieren. Der Präsident von Honduras nimmt heute an einem Gipfeltreffen teil, zu dem die Staatschefs der mittelamerikanischen Länder in Managua zusammentreffen.

29. Juni 2009