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LATEINAMERIKA/2230: Mexiko auf dem Weg ins hermetische Zweiparteiensystem (SB)


Regierungspartei bei Parlamentswahlen abgestraft


Rund 77 Millionen Mexikaner waren an die Wahlurnen gerufen, die Vergabe der 500 Sitze in der Abgeordnetenkammer des Kongresses neu zu bestimmen, doch nach einem vor allem durch Apathie der Bürger gekennzeichneten Wahlkampf folgte nur eine Minderheit von 43 Prozent diesem Appell. Die Parlamentswahlen unterstrichen, wie wenig Vertrauen die Bevölkerung in die Politik setzt, ihre Lebensverhältnisse zum Besseren zu wenden. In den letzten Wochen hatte eine Initiative beträchtliche Aufmerksamkeit erregt und kontroverse Debatten ausgelöst, die zum Wahlboykott aufrief. Nachdem Präsident Felipe Calderón im Jahr 2006 durch einen Wahlbetrug ins höchste Staatsamt gelangt war, achteten internationale Beobachter diesmal in besonderem Maße auf die Transparenz des Urnengangs, an der es zumindest ersten Berichten zufolge nichts auszusetzen gab. Dennoch kann man nachvollziehen, warum der damals betrogene Andrés Manuel López Obrador nun am Wahlabend Mexiko als "eine simulierte Republik" bezeichnete, die von einer zwischen zwei Parteien geteilten "Machtmafia" regiert werde und in der die Stimmzettel "wie Karten gezinkt" seien.

Die mexikanische Wirtschaft ist im ersten Quartal um 8,2 Prozent geschrumpft. Die weltweite Krise hat dazu geführt, daß die im Ausland lebenden Mexikaner immer weniger Geld nach Hause schicken. Auch die Erlöse aus dem Ölexport gingen zurück, so daß die beiden wichtigsten Devisenquellen des Landes schwere Einbußen verzeichneten. Präsident Calderón hat mit seinem Krieg gegen die Kartelle einem Massaker Vorschub geleistet, dem seit seinem Amtsantritt weit über 10.000 Menschen zum Opfer gefallen sind, 800 allein im letzten Monat. Wer wollte da noch glauben, daß die Militarisierung der Innenpolitik und der forcierte Ausbau staatlicher Zugriffsgewalt den Mexikanern sichere Lebensverhältnisse bescheren könnten. Wenngleich angeblich noch immer eine Mehrheit der Bevölkerung den Krieg gegen die Kartelle befürwortet, sorgte die prekäre Sicherheitslage im Verbund mit den Krisenfolgen dafür, daß die Regierungspartei deutlich an Einfluß verlor.

Bei den Parlamentswahlen wurde die rechtskonservative Nationale Aktionspartei (PAN) des amtierenden Präsidenten Felipe Calderón mit der erwarteten Niederlage abgestraft, während die oppositionelle Partei der Institutionalisierten Revolution (PRI) einen klaren Sieg bei den Wählern davontrug. Die PRI kommt auf rund 36 Prozent, womit sie künftig etwa doppelt so viele Abgeordnete wie bisher ins Parlament entsenden kann. Für die PAN stimmten nur rund 28 Prozent der Wähler. Herbe Verluste mußte auch die bislang zweitstärkste Kraft, die linksbürgerliche Partei der Demokratischen Revolution (PRD), hinnehmen, die auf etwa zwölf Prozent zurückfiel.

Im Senat, dessen Mitglieder nicht zur Wahl standen, bleibt die PAN weiterhin stärkste Fraktion. Gewählt wurden jedoch auch 565 Bürgermeister und sechs Gouverneure, wobei die Regierungspartei mindestens fünf der zur Wahl stehen Gouverneursposten verlor.

In der Abgeordnetenkammer hat eine Partei die Mehrheit wiedergewonnen, die das Land von 1929 bis 2000 mehr als sieben Jahrzehnte lang durchgehend regierte. Nachdem die PRI im Jahr 2000 die Präsidentschaft an Vicente Fox von der PAN abtreten mußte, verlor sie 2006 weiter an Boden, als ihr Kandidat hinter Felipe Calderón und Andrés Manuel López Obrador weit abgeschlagen auf dem dritten Platz landete. Die Vorsitzende der PRI, Beatriz Paredes, wertete das aktuelle Wahlergebnis als Rehabilitation ihrer Partei, die sich im Wahlkampf als geläuterter Außenseiter präsentiert hatte. Die Mexikaner hätten für Vorschläge und Lösungen der PRI gestimmt, sagte Paredes am Wahlabend. Die PRI-Chefin sprach von einem großen Erfolg und betonte, zusammen mit den Grünen, die auf knapp sieben Prozent kamen, sei ihre Partei nun in der Abgeordnetenkammer die stärkste Kraft. In den letzten Jahren ist es der einstigen Staatspartei gelungen, ein verändertes Konzept zu entwickeln und den Bürgern ein modifiziertes Image zu vermitteln. So wurde der Wahlkampf nicht von der nationalen Parteispitze, sondern den Gouverneuren geführt, in deren Reihen sich einige bereits für die Präsidentenwahl 2012 positionieren. [1]

Vor drei Jahren hatte die PAN mit ihrem Präsidentschaftskandidaten Felipe Calderón bei der Parlamentswahl eine Mehrheit in der Abgeordnetenkammer erreicht, doch war sie bei der Umsetzung ihrer Vorhaben wie etwa der Energiepolitik oder der Steuerreform stets auf die Zustimmung der PRI angewiesen, die alle Entwürfe der Regierung verwässerte. Die PAN hielt bislang 206 von 500 Sitzen in der zweiten Kammer des Kongresses und war damit mangels absoluter Mehrheit nur mit Unterstützung anderer Fraktionen handlungsfähig.

Präsident Calderón gestand nach Bekanntwerden der Ergebnisse in einer Fernsehansprache die Niederlage seiner Partei ein. Er rief alle Parteien im neu besetzten Kongreß zur Zusammenarbeit auf, um die Probleme des Landes zu lösen und Mexiko aus der schlimmsten Wirtschaftskrise seit den 1990er Jahren herauszuführen. "Der Wettstreit liegt jetzt hinter uns", behauptete er. Es gehe nun darum, so schnell wie möglich für Wirtschaftswachstum, Arbeitsplätze und öffentliche Sicherheit zu sorgen. Zugleich fiel jedoch auf, daß der Präsident in seiner Stellungnahme weder die PRI namentlich erwähnte, noch deren Politikern zu ihrem Wahlsieg gratulierte. Man kann wohl davon ausgehen, daß der Machtkampf zwischen Regierung und Parlament eröffnet ist und die kommenden drei Jahre bis zur nächsten Präsidentschaftswahl dominieren wird. [2]

Mit der modernisierten PRI und der Präsidentenpartei PAN hat sich eine Struktur zweier dominanter Parteien etabliert, welche die mexikanische Politik dauerhaft zu einem System wechselweise betriebener Herrschaftssicherung gerinnen zu lassen droht. Dies zeigte sich nicht zuletzt im Wahlkampf, als die PRI die Antidrogenpolitik der Regierung kaum direkt kritisierte und ihre Kampagne statt dessen auf lange Erfahrung sowie vage Versprechen auf bessere Zeiten stützte. Eine Krähe hackt der andern kein Auge aus, heißt es auch in Mexiko angesichts der Aussicht, das Staatsschiff künftig in einem Zweiparteiensystem unter Ausgrenzung marginalisierter Kleinfraktionen zu steuern. Unterdessen ist die PRD von einem inneren Machtkampf zerrissen, dessen treibende Kräfte zu Lasten der Fraktion um Andrés Manuel López Obrador die Rückkehr ins bürgerliche Lager und parlamentarische Gefüge betreiben, womit sie den unerfüllten Anspruch der Partei, eine Alternative zum politischen Establishment hervorzubringen, endgültig zu Grabe tragen.

Anmerkungen:

[1] http://www.focus.de/politik/weitere-meldungen/mexiko-wahl-herbe- niederlage-fuer-nationale-aktionspartei_aid_414524.html

[2] http://www.sueddeutsche.de/politik/985/479476/text

6. Juli 2009