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LATEINAMERIKA/2236: Truppenaufmarsch gegen erstarkende Opposition (SB)


Nationale Widerstandsfront strebt Generalstreik gegen Putschregime an


In Honduras zerreißt die dünne Tarndecke vorgeblicher Normalisierung, mit der die Putschisten den Eindruck zu erwecken versuchten, es habe sich keineswegs um einen Staatsstreich, sondern eine im Rahmen von Recht und Gesetz vollzogene Maßnahme gehandelt, Präsident Manuel Zelaya zu stürzen und außer Landes zu schaffen. Auch greift die Propaganda nicht, wonach die breite Mehrheit der Bevölkerung die sogenannte Übergangsregierung unter Roberto Micheletti gutheißt. Augenzeugenberichten zufolge befindet sich Honduras im Belagerungszustand, da Soldaten überall im Land Position beziehen und die Hauptstadt Tegucigalpa ständig von Hubschraubern überflogen wird. Die Heimatprovinz Zelayas soll inzwischen vollständig abgeriegelt sein und der Truppenaufmarsch nimmt nun auch äußerlich sichtbar das Erscheinungsbild eines Militärputsches an.

Die Machthaber fürchten nicht ohne Grund einen Aufstand gegen ihr Regime, nachdem in der Hauptstadt erneut Tausende Demonstranten Straßensperren errichtet und die Rückkehr Präsident Zelayas gefordert haben. Dessen Anhänger verliehen ihrem Protest Nachdruck, indem sie die nördlichen und südlichen Zufahrtsstraßen nach Tegucigalpa wie auch wichtige Straßenverbindungen ins Nachbarland El Salvador blockierten. Um seine Heimkehr zu erzwingen, hatte der legitime Staatschef von Guatemala aus zum Volksaufstand aufgerufen und sich dabei auf das in der Verfassung festgeschriebene Recht der Erhebung gegen Usurpatoren berufen: "Verlaßt die Straßen nicht, die der einzige Raum sind, den sie uns nicht nehmen konnten. Unter einer De-facto-Regierung begeht niemand ein Verbrechen, wenn er friedlich in den verschiedenen Bereichen der Gesellschaft protestiert. Streiks, Demonstrationen, Besetzungen und ziviler Ungehorsam sind notwendig, wenn die demokratische Ordnung des Landes verletzt wird." [1]

Wie die honduranische Außenministerin Patricia Rodas in Bolivien ankündigte, befindet sich Zelaya auf dem Rückweg in sein Land, wo er einen alternativen Regierungssitz einrichten werde, um von dort aus den "letzten Kampf" gegen die Putschisten zu führen. [2] Bei einem Besuch in Bolivien bestätigte auch der venezolanische Präsident Hugo Chávez einen bevorstehenden Rückkehrversuch Zelayas. Dieser habe ihm in einem Telefongespräch gesagt: "Hugo, ich weiß nicht, ob ich sterben werde, aber ich gehe nach Honduras." Auf welchem Weg er sein Vorhaben in die Tat umsetzen will, habe er nicht mitgeteilt. Chávez wies jedoch darauf hin, daß Honduras viele Land- und Seegrenzen habe. [3] Bei seinem ersten Rückkehrversuch in die Heimat war der honduranische Präsident gescheitert, da das Militär die Landung seiner Maschine mit einer Flughafenblockade verhinderte. Dabei wurden zwei Anhänger Zelayas von Soldaten erschossen.

Der sogenannte Übergangspräsident Roberto Micheletti ist eigenen Angaben zufolge zu einem Rücktritt bereit, sofern Zelaya nicht in sein Amt zurückkehrt. Diese Entscheidung könne sich in einem bestimmten Stadium als notwendig erweisen, um dem Land Frieden und Ruhe wiederzubringen, was jedoch bei einer Rückkehr des früheren Präsidenten unmöglich sei. Zudem behauptete Micheletti, Unbekannte hätten Waffen verteilt und planten einen gewaltsamen Aufstand, wofür er jedoch keinerlei Beweise vorlegen konnte. Von einem Kompromißvorschlag kann jedenfalls keine Rede sein, da die gestellte Bedingung nur das bestätigt, was der Zweck des Putsches war. Würde Micheletti tatsächlich zurücktreten, ginge die Präsidentschaft nach honduranischem Recht auf Jorge Rivera über, den Vorsitzenden des Obersten Gerichtshofs, der den Putsch ebenso wie der Kongreß unterstützt hat.

Der Generalsekretär der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), José Miguel Insulza, wies den Vorschlag Michelettis zurück und bestand darauf, daß eine Lösung der Krise in Honduras die Rückkehr Manuel Zelayas ins Präsidentenamt einschließen müsse. Diese Forderung sei nicht verhandelbar, betonte Insulza, der das Regime der neuen Machthaber als eine "De-facto-Diktatur" bezeichnete und seiner dringenden Hoffnung nach einem Rücktritt Michelettis Ausdruck verlieh, dessen Preis jedoch keinesfalls sein dürfe, Zelaya an der Rückkehr zu hindern. [4]

Nachdem ein erster Vermittlungsversuch in der vergangenen Woche an der Unvereinbarkeit der beiderseitigen Positionen gescheitert war, sind für morgen weitere Verhandlungen der Konfliktparteien unter Vermittlung des Präsidenten von Costa Rica, Oscar Arias, geplant, der nun die Einsetzung einer "Regierung der nationalen Versöhnung" in Honduras anstrebt. Beim bevorstehenden Treffen in San José werde er "verschiedene Ideen" präsentieren sowie eine Amnestie für "politische Straftaten" ansprechen. Offenbar wird die von Zelaya ernannte Kommission an einer weiteren Gesprächsrunde mit Vertretern der Putschisten teilnehmen.

Wie Arias im Vorfeld des Treffens mitteilte, hätten beide Konfliktparteien einer Reihe von Kompromissen zugestimmt, darunter auch der Bildung einer Regierung der nationalen Versöhnung und einer Amnestie für beiderseits begangene Straftaten. Die künftige Regierung könnte demnach aus Vertretern aller Parteien gebildet werden und die Befugnisse des Staatschefs kontrollieren. Einigkeit herrsche auch darüber, daß zu den nächsten Präsidentschaftswahlen, die im November stattfinden sollen, internationale Beobachter eingeladen werden.

In der zentralen Kontroverse um die Rückkehr des gestürzten Präsidenten lägen die Positionen hingegen nach wie vor so weit auseinander, daß mit einer Einigung an diesem Wochenende kaum zu rechnen sei, warnte Arias. Auch er wies den jüngsten Vorschlag Roberto Michelettis zurück, da es keine Übereinkunft ohne die Rückkehr Zelayas ins Präsidentenamt geben könne, wenngleich dessen Einfluß möglicherweise deutlich verringert werde. [5]

Viel wird davon abhängen, ob es der Nationalen Widerstandsfront gegen den Staatsstreich trotz der Kontrolle der Medien durch die Putschisten und deren Repression gelingt, den Protest in eine Massenbewegung zu überführen und den Druck auf die Machthaber zu erhöhen. Gewerkschaftsführer wie Israel Salinas haben Arbeiter aus Staatsbetrieben zu Tausenden beim Straßenprotest angeführt. Er kündigte Gespräche mit Gewerkschaftsvertretern aus der Privatwirtschaft mit dem Ziel an, einen Generalstreik gegen die Putschregierung zu organisieren. [6]

Anmerkungen:

[1] junge Welt 16.07.2009

[2] http://www.dw-world.de/dw/article/0,,4495015,00.html

[3] http://www.google.com/hostednews/afp/article/ALeqM5gww8dMMIrmcEukFqJ4meahBvvdg

[4] http://www.csmonitor.com/2009/0716/p90s01-usfp.html

[5] New York Times 17.07.09

[6] New York Times 16.07.09

17. Juli 2009