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LATEINAMERIKA/2250: Viele Köche rühren den honduranischen Brei (SB)


Schlachtfeld im Ringen um die Emanzipation Lateinamerikas


Die Nationale Front gegen den Staatsstreich in Honduras hat erneut unterstrichen, daß sie nur eine sofortige, sichere und bedingungslose Wiedereinsetzung des Präsidenten Zelaya in sein Amt akzeptiert. Vorgebliche Verhandlungslösungen unter Vermittlung des Präsidenten von Costa Rica, Oscar Arias, folgten Plänen des US-Außenministeriums, eine gewisse internationale Anerkennung des Diktators Micheletti zu erreichen. Diese Strategie ziele darauf ab, einen Ausweg aus dem Konflikt hinauszuzögern, um die Widerstandsbewegung zu erschöpfen. Zudem solle Präsident Zelaya unannehmbaren Bedingungen für seine eventuelle Wiedereinführung ins Amt unterworfen werden. [1]

Diese Einschätzung trägt dem Umstand Rechnung, daß die Stoßrichtung der Putschisten sowohl der Person Zelayas, als auch der auf ihn fokussierten, aber nicht zwangsläufig an seine verbliebene Amtszeit und seine trotz aller Reformansätze relativ moderaten Positionen hinsichtlich einer tendenziellen gesellschaftlichen Umgestaltung gebundene Bewegung gilt. Das Regime in Tegucigalpa ist bestrebt, Zelaya entweder an der Rückkehr zu hindern oder diese nur unter Konditionen zuzulassen, die ihn weitgehend neutralisieren. Unterdessen sieht sich der Widerstand in Honduras massiver Repression ausgesetzt, die insbesondere in jenen Bereichen und Situationen eskaliert, die in Folge der Medienzensur und Verhinderung kritischer Berichterstattung sowohl vor der einheimischen Bevölkerung, als auch dem Ausland verschleiert werden.

Präsident Zelaya ist inzwischen nach Mexiko gereist, wo er mit seinem Amtskollegen Felipe Calderón zusammentraf. Wie dieser erklärte, habe er sich von Anfang an für die Wiedereinsetzung des honduranischen Staatschefs eingesetzt und werde dies auch weiterhin mit um so größerem Nachdruck tun. Calderón sprach sich für die Annahme des Abkommens von San José aus, das unter Vermittlung von Oscar Arias vorgelegt worden war und die Rückkehr Zelayas an weitreichende Zugeständnisse koppelt. Dieser hatte den Vorschlag dennoch akzeptiert, während ihn die Putschregierung Roberto Michelettis zurückwies. [2]

Der konservative Präsident Mexikos gehört jener Fraktion lateinamerikanischer Staatschefs an, die den Putsch aus prinzipiellen Gründen verurteilen, jedoch keineswegs die Positionen und Bestrebungen Zelayas teilen. Beunruhigt durch dessen Annäherung an den venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez und seine Verbündeten wie auch den Beitritt von Honduras zur Staatengemeinschaft ALBA favorisiert Calderón eine Lösung, die zwei Fliegen mit einer Klappe schlägt, wie sie Arias in Stellung gebracht hat.

Denselben Zweck verfolgt eine Gruppe hochrangiger Diplomaten, die in einer von der Organisation Amerikanischer Staaten zusammengestellten Mission nach Tegucigalpa aufbrechen soll, um mit der Putschregierung über eine Annahme des Vermittlungsvorschlags zu sprechen. Beim letzten Besuch einer Delegation der OAS in Honduras hatte Generalsekretär José Miguel Insulza ein Treffen mit der Regierung Michelettis vermieden, um sie nicht zu legitimieren. Nun will er jedoch gemeinsam mit Oscar Arias und einer Reihe weiterer Gesandter doch mit Micheletti und anderen Vertretern des Regimes zusammentreffen. Deren Verzögerungstaktik scheint insofern aufzugehen, als es ihnen gelingt, die weitgehend ihren Interessen entsprechende Annahme des Abkommens von San José zu verschleppen und weitere Verhandlungen und Gespräche in veränderten Konstellationen herbeizuführen.

In Tegucigalpa sind unterdessen die Militärs in die Offensive gegangen, um sich angesichts des ungewissen Ausgangs dieses Staatsstreichs zu positionieren und keinesfalls geschwächt aus ihm hervorzugehen. Was sich bereits seit Tagen in Gestalt einzelner skeptischer Stellungnahmen in Kreisen der Streitkräfte und insbesondere den Gesprächen zweier honduranischen Oberste mit Abgeordneten des US-Kongresses in Washington angedeutet hatte, nimmt nun als offizielle Einlassung Gestalt an. Fünf Generäle der Armee erläuterten in einem ungewöhnlichen Fernsehauftritt ihre Rolle im Umsturz Ende Juni und wiesen insbesondere den Vorwurf zurück, sie handelten im Interesse der Eliten des Landes.

Wie sie behaupteten, folgten sie ausschließlich dem Gesetz und verträten keine der beiden Seiten in diesem Konflikt, der das Land polarisiere. Im Urteil der Geschichte werde sich erweisen, daß sie als Patrioten gehandelt haben. Generalstabschef Romeo Vásquez Velásquez betonte erneut, daß von einem Putsch keine Rede sein könne, da man weder den Ausnahmezustand verhängt noch alle Unruhestifter eingesperrt habe. Offenbar fürchten die Militärs, daß sie nach einem Friedensschluß der Zivilparteien am Ende als die eigentlichen Schurken dastehen, einen schweren Imageverlust davontragen oder sogar zur Verantwortung gezogen werden. Die Generäle beschrieben sich als Männer einfacher Herkunft, die niemals gegen die Schwächsten vorgehen würden. Sie bedauerten den Tod zweier Demonstranten und bezeichneten zugleich Mordvorwürfe als Versuch, die Streitkräfte zu diskreditieren, die nach der katholischen Kirche die vertrauenswürdigste Institution des Landes seien. [3]

Da die Militärs von Honduras in der Vergangenheit als willige Werkzeuge der repressiven Kampagne Washingtons in Mittelamerika fungierten und nach wie vor enge Verbindungen zu den US-Streitkräften unterhalten, mutet ihre Rechtfertigung des Staatsstreichs, der angeblich gar nicht stattgefunden hat, fast schon wie eine filmreife Farce aus Diktaturzeiten an. Wo sie trotz aller gegenteiligen Beteuerungen nach wie vor stehen, zeigten ihre Einlassungen zu Präsident Zelaya. Seine Amtsenthebung sei unvermeidlich gewesen, da er sich nicht nur wegen seiner Mißachtung gerichtlicher Anordnungen, sondern auch seines Bündnis mit Hugo Chávez als Gefahr für die Demokratie erwiesen habe. Man habe eingreifen müssen, um zu verhindern, daß Chávez den Sozialismus über die gesamte Region verbreite, erklärte General Miguel Angel Garcia Padget. Dabei habe dieser als Demokratie getarnte Kommunismus nicht etwa Mittelamerika im Sinn, sondern ziele geradewegs auf das Herz der Vereinigten Staaten.

Wenngleich die Putschregierung von der Wirtschaft des Landes, Kirchenkreisen und den beiden größten Parteien unterstützt wird, ist sie doch unmittelbar auf die Kumpanei der Militärs angewiesen. Die Armee hat ihre Krallen so tief in Gesellschaft und Institutionen geschlagen, daß gegen ihren Willen ein Staatsstreich unmöglich wäre. Nun ist der Militärführung nur zu bewußt, daß Putschisten in anderen lateinamerikanischen Ländern zwar sehr spät und nie in vollem Umfang, mitunter aber trotz aller Vorkehrungen zur Rechenschaft gezogen wurden und ein Staatsstreich heute in dieser Weltregion auf breite Ablehnung stößt. Schon der Putschversuch gegen Hugo Chávez wurde seinerzeit von allen Regierungen der Hemisphäre außer der US-amerikanischen sofort verurteilt, weshalb insbesondere eine jüngere Generation honduranischer Militärs um ihrer Ambitionen willen kein Interesse an einer nachhaltigen Rufschädigung und einer internationalen Isolation hat, zumal die eingefrorene Militärhilfe bislang das erste und einzige war, was die US-Regierung an spürbaren Sanktionen verhängt hat.

Nach wie vor stehen wichtige Regierungsbehörden, Krankenhäuser und andere öffentliche Einrichtungen unter militärischer Bewachung, hat die Armee Kontrollposten an den Überlandstraßen eingerichtet, gehen Soldaten gemeinsam mit Polizisten gegen den Widerstand vor. Zwar hat der stellvertretende Verteidigungsminister der Putschregierung, Gabo Jalil, die Vorwürfe internationaler Menschenrechtsgruppen, wonach die Armee Todesschwadrone gegen die Opposition einsetzt, als haltlos zurückgewiesen, doch sprechen Berichte aus dem Widerstand eine andere Sprache. Vor allem in der Grenzregion zu Nicaragua, wo Zelaya sein Lager aufgeschlagen hat, herrscht seit Tagen Belagerungszustand, und da es so gut wie keine internationalen Beobachter gibt, gehen die Sicherheitskräfte massiv gegen die Anhänger des Präsidenten vor.

Roberto Micheletti läßt sich seit einigen Wochen von dem früheren Offizier Billy Joya beraten, der in den 1980er Jahren an diversen Greueltaten beteiligt war und sich angesichts drohender Strafverfolgung nach Kanada abgesetzt hatte. Das Klima unverhohlener Morddrohungen, kaum noch kaschierter Repression und offener Angriffe auf Streikende und Demonstranten scheint die Handschrift dieses skrupellosen Experten für die Drangsalierung Oppositioneller und die Zerschlagung einer Widerstandsbewegung zu tragen. Derzeit fehlt es den Putschgegnern oftmals an Mitteln und Möglichkeiten, Verdachtsmomenten nachzugehen und Beweise zu erbringen, doch deuten viele Berichte darauf hin, daß erheblich schlimmere Untaten verübt und mehr Menschen umgebracht werden, als dies allgemein bekannt ist. Wenn die Putschisten eine Generalamnestie fordern und Oscar Arias das prompt in seinen Katalog aufgenommen hat, liegen dem Motive zugrunde, deren Bedeutung man wohl erst lange nach Ende dieses Regimes in vollem Umfang offenlegen wird.

Anmerkungen:

[1] Dringender Aufruf. Honduras' Widerstandsbewegung gegen Putschisten fordert internationalen Boykott. Demonstrationen vor Botschaften (05.08.09)
junge Welt

[2] In Mexico, ousted Honduran leader boosts bid to go home (04.08.09)
http://www.csmonitor.com/2009/0804/p06s15-woam.html

[3] On TV, Honduran Generals Explain Their Role in Coup (05.08.09)
New York Times

5. August 2009