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LATEINAMERIKA/2251: Mexiko profiliert sich als Pufferstaat des Imperiums (SB)


Vorposten hält den USA die Folgen imperialer Raubzüge vom Leib


Die von den Präsidenten George W. Bush und Felipe Calderón auf den Weg gebrachte und unter Barack Obama fortgesetzte Merida-Initiative besiegelt eine Zusammenarbeit der Vereinigten Staaten mit Mexiko auf dem Gebiet der Sicherheitspolitik, die weitreichende Konsequenzen für das Verhältnis der benachbarten Staaten wie auch die gesellschaftliche Entwicklung im Empfängerland der umfangreichen Subventionen hat. Aus dem in die ökonomische Zwangsjacke der NAFTA gesteckten Wirtschaftspartner wird damit ein enger Verbündeter Washingtons auch im militärischen Sinn, da Mexiko an die USA gefesselt und in deren strategisches Konzept eingebunden wird. Wie immer in solchen imperial anmutenden Organisationsformen expansiver Herrschaftssicherung profitieren die Eliten des Vasallenstaats von der Kollaboration zu Lasten ihres eigenes Volkes, wobei sie zugleich eine Pufferfunktion für die Zentralmacht gegenüber der Peripherie ausüben, die aus Sicht der US-Administration in dieser Weltregion bis nach Feuerland reicht.

Vor allem unter den konservativen Präsidenten Vicente Fox und nun Felipe Calderón hat sich Mexiko den Vereinigten Staaten auf eine Weise geöffnet und angedient, die in der Vergangenheit durch eine Reihe ausdrücklich für dieses Verhältnis konzipierter und oftmals sogar in der Verfassung verankerter Schutzmechanismen verhindert worden war. Berücksichtigt man, daß sich die USA im Zuge ihrer Expansion die Hälfte des früheren mexikanischen Staatsgebiets einverleibt und damit das künftige Machtverhältnis entscheidend vorgeprägt haben, definiert dieser Umstand weit über eine bloße historische Episode hinaus einen Bogen der Unterwerfung und Abhängigkeit, die heute mit zukunftsträchtigen Manövern konsolidiert und festgeschrieben wird.

Als Schwellenland träumt Mexiko von der Stärke der USA und hofft, an der Seite des größten Räubers die besten Aussichten auf ökonomische Partizipation und einen eigenen Höhenflug zu haben. Zu einem Verbündeten Washingtons geadelt, glaubt sich die mexikanische Führung überdies auch in künftigen Auseinandersetzungen auf der sicheren Seite. Dies könnten zwischenstaatliche Sourcenkriege sein, welche die US-Regierung mit ihrer forcierten militärischen Präsenz in Südamerika einläutet, nicht minder absehbar jedoch gewaltige Hungerrevolten, in deren Kontext Mexiko eine spezifische Rolle zukommt. Faßt man die tendenziell bestbefestigte Grenze der Welt am südlichen Rand der USA als Demarkationslinie zwischen Regionen des Wohlstand und der Verelendung auf, soll das zu einem Vorposten degradierte Nachbarland die Woge der Hungerleider aufhalten und niedermachen, ohne selbst von einer Grenzöffnung zu profitieren. Daß dies perspektivisch eine beneidenswerte Situation ist, darf bezweifelt werden.

Der Krieg gegen die Kartelle, in den sich die Führung Mexikos verstrickt hat, gleicht unter den genannten Voraussetzungen einem Söldnertum, dessen Stolz sich darin erschöpft, dem fernen Kaiser unter größten Opfern die unerwünschten Folgen der imperialen Raubzüge vom Hals zu halten. Um die Metropole in ihren unermeßlichen Bedürfnissen zu versorgen, bedarf es eines unablässigen Zustroms aller erdenklichen Güter, an deren Produktion und Transport zahllose Existenzen teilhaben. Und weil es sich um einen Prozeß fortgesetzter Ausbeutung und Ausplünderung handelt, trifft man unterwegs mannigfache Stadien der Ausübung von Gewalt und Unterwerfung unter dieselbe an. Genährt vom unersättlichen Schlund des Drogenkonsums in den Industriestaaten und im Verbund mit dessen profitstabilisierender Illegalisierung sind auf diesem Sektor außergewöhnliche Zuwachsraten möglich, welche die Herausbildung mächtiger Kartelle fördern, die jedoch beileibe kein Spezifikum dieses besonderen Erwerbszweigs sind.

So real der mexikanische Antidrogenkampf mit seiner eskalierenden Opferzahl auch sein mag, erfüllt er doch weit über den vordergründigen Konflikt hinaus einen strategischen Entwurf länderübergreifender und überstaatlicher Zugriffsentwicklung wie auch eines repressiven Konzepts der inneren Sicherheit. Vergleichbar dem Konstrukt des "Antiterrorkriegs", dessen historischer und konzeptioneller Vorläufer er ist, liefert er für Mexiko die Schablone einer unabsehbar langen Auseinandersetzung, der alle anderen Interessen und Erwägungen nachgeordnet werden können. Der beispiellose Einsatz der Streitkräfte im eigenen Land und die fortgesetzte Ausweitung militärischer Befugnisse bis hin zur kompletten Übernahme der Polizeifunktionen ganzer Städte, dazu repressive Sicherheitsgesetze und erweiterte staatliche Befugnisse, haben die Verhältnisse binnen kurzer Fristen so dramatisch verändert, wie es unter anderen Umständen undenkbar gewesen wäre.

Eine Bevölkerung, die nach mehr Soldaten und Bundespolizisten ruft, muß der Traum jedes Sicherheitspolitikers an der Heimatfront sein. Ist der Konflikt erst einmal so weit gediehen, daß eine Umkehr angesichts der bereits unternommenen Anstrengungen und gebrachten Opfer einem Eingeständnis der Niederlage gleichkäme, haben Durchhalteparolen Konjunktur. Obgleich die Prognosen zunehmend düsterer ausfallen und immer mehr Mexikaner an Sinn und Erfolgsaussichten der Kampagne zweifeln, finden sich doch weiterhin genügend Stimmen, die dafür plädieren, daß man den einmal begonnenen Konflikt wohl oder übel zu Ende bringen müsse, koste es, was es wolle.

Daß der Krieg gegen die Kartelle ausgerechnet in Mexiko derart verheerende Formen angenommen hat, kommt nicht von ungefähr. Je näher man dem Endkonsumenten kommt, um so größer wird die Profitspanne, was natürlich dazu geführt hat, daß die mächtigsten Drogenbanden auch in den USA tätig sind. Dort verfährt man jedoch nach der Doktrin, daß gewisse Phänomene die Grenze nicht überqueren dürfen, und verfügt über die administrative Gewalt, das auch durchzusetzen. Folglich stauen sich die mexikanischen Kartelle wie vor einem Flaschenhals und wickeln in erbitterter Konkurrenz ihre lukrativen Geschäfte ab, während sie nördlich der Grenze sehr viel zurückhaltender und konspirativer operieren. Bildlich gesprochen strömen die Drogen unablässig über die Grenze, während erhebliche Teile des mit ihrer Bereitstellung verbundenen Apparats wie vor einem Filter in Mexiko verbleiben.

Die Zerschlagung der mächtigsten kolumbianischen Kartelle, die in einem Land von Kriegsherrn verschiedener Coleur enormen Einfluß erlangt hatten, erfolgte unter weltpolizeilicher Regie der US-Administration und Beteiligung einheimischer Machtapparate. Resultat war nicht die Eindämmung des Drogengeschäfts, sondern dessen Neuverteilung zugunsten anderer Akteure, wovon insbesondere die mexikanischen Kartelle profitierten, die zu den mächtigsten der gesamten Produktions- und Transportroute aufstiegen. Die Eskalation der Konflikte zwischen den mexikanischen Drogenbanden ist ebenfalls eine Folge administrativer Intervention, diesmal von seiten Präsident Calderóns, die mit seinem Feldzug das System aufgeteilter Reviere und geschmierter Behördenvertreter derart erschütterte, daß Allianzen zerbrachen, Absprachen ihre Gültigkeit verloren, traditionelle Schranken fielen und die aus dem Chaos resultierenden Machtkämpfe seit Amtsantritt des Staatschefs Ende 2006 mehr als 11.000 Menschenleben gekostet haben.

Hatte einst Pablo Escobar dem kolumbianischen Staat den Krieg erklärt, so nimmt heute im westmexikanischen Bundesstaat Michoacán die Offensive des Kartells La Familia vergleichbare Züge an, was einen Kolumnisten von einer "Tet-Offensive" sprechen ließ. Diese war seinerzeit zwar außerordentlich verlustreich für die nordvietnamesischen Truppen, setzte aber zugleich das Signal, daß die US-amerikanischen Besatzungstruppen diesen Krieg niemals gewinnen würden. Der Vergleich ist insofern nicht ganz abwegig, als die Sicherheitskräfte in diesem Bundesstaat am stärksten Präsenz zeigen, ohne verhindern zu können, daß La Familia zum mächtigsten Kartell des Landes aufgestiegen ist. Als mit Arnoldo Rueda Medina ein hochrangiges Bandenmitglied festgenommen wurde, kam es zu einer Welle koordinierter Angriffe auf Polizeistationen in mehreren Städten sowie einem Massaker an zwölf Bundespolizisten. Damit nicht genug, wandte sich das Kartell in einem Fernsehauftritt direkt an die Regierung und bot ihr ein nationales Bündnis an, was diese natürlich entschieden zurückwies.

Die Lage im Westen und Norden Mexikos läßt darauf schließen, daß ein baldiges Ende des Konflikts nicht abzusehen ist. Präsident Calderón hat weitere Truppen in den am heftigsten umkämpften Bundesstaat entsandt, deren Gesamtstärke im Land bald 50.000 Mann erreicht haben dürfte. Entscheidender als diese Auseinandersetzungen selbst sind indessen die darüber transportierten und installierten Verfügungsmechanismen, die Mexiko für die eingangs angesprochenen Kriege ganz anderer Art zurichten.

6. August 2009