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LATEINAMERIKA/2277: Skandale können Alvaro Uribe nicht erschüttern (SB)


Kolumbiens Präsident läßt seine Kritiker hemmungslos abhören


Wenn sich die Staatsgewalt des Inlandsgeheimdienstes bedient, um die Bevölkerung unter Kontrolle zu halten und oppositionelle Kräfte auszuspionieren, entspricht dies vom Prinzip her dem staatlichen Auftrag, wie er im Sinne der etablierten Herrschaftsverhältnisse in Gesetzesform gegossen ist. Reichen einer Regierung die ihr diesbezüglich zu Gebote stehenden Optionen nicht aus, überschreitet sie unter der Hand die ihr gesetzten Grenzen oder führt eine Änderung der Gesetze herbei, wobei letzteres legalisiert, was zuvor in einer Grauzone praktiziert wurde. Wer als Staatsfeind zu bezeichnen sei, bleibt zwangsläufig umstritten, wobei sich die Kontroverse in erster Linie an aktuellen Verschiebungen der Definition im Zuge repressiver Schübe abarbeitet, um das Grundprinzip um so nachhaltiger zu verschleiern und zu bestätigen.

Wenn daher von einem weiteren Skandal die Rede ist, in den der kolumbianische Präsident Alvaro Uribe verwickelt sei, so postuliert diese Begriffswahl einen Sonderfall der Machtausübung, die man im Kontext üblicher Gepflogenheiten für zu dreist hält, als daß man sie ohne den obligatorischen Tadel durchgehen lassen könnte. Wie nun bekannt wurde, hat die direkt dem Präsidialamt unterstellte Abteilung für administrative Sicherheit (DAS) Bürger und Institutionen mittels illegaler Praktiken überwacht. Mit 6.500 Mitarbeitern nicht nur der wichtigste Geheimdienst des Landes, sondern wohl auch der größte Südamerikas, hat diese Behörde Regierungskritiker wie Journalisten, Menschenrechtler, Oppositionspolitiker und selbst Mitglieder des Obersten Gerichtshofs abgehört. [1]

Aufgeflogen war diese Praxis offenbar dadurch, daß dem namhaften Printmagazin "Semana" der Mitschnitt eines Telefonats zwischen dem Rechtsattaché der US-Botschaft, James Faulkner, und einem Richter am Obersten Gerichtshof zugespielt wurde, der gegen Mitglieder des politischen Umfeld Uribes wegen mutmaßlicher Verbindungen zu Paramilitärs ermitteln läßt. Wie weitere Recherchen ergaben, werden einflußreicher Kritiker Uribes bereits seit Jahren auf diese Weise ausspioniert.

Soweit der Präsident in der gesellschaftlichen Hierarchie niedriger angesiedelte Kräfte rechtswidrig überwachen läßt, kräht in den in- und ausländischen Mainstreammedien kaum ein Hahn danach. Da inzwischen jedoch hochrangige Politiker und Richter wie auch Angehörige der US-amerikanischen Botschaft aufs Korn genommen werden, wächst die Unruhe in etablierten Kreisen, Uribe verbinde mit der von ihm angestrebten dritten Amtszeit diktatorische Ambitionen.

Von den fünf Direktoren der DAS, die den Geheimdienst seit dem ersten Amtsantritt des Präsidenten im Jahr 2002 geleitet haben, mußten vier wegen des Vorwurfs illegaler Überwachung zurücktreten. Bereits vor einigen Monaten hatte "Semana" diverse Beweismittel von aktuellen und früheren Mitarbeitern der DAS erhalten, die Aufschluß über die Praktiken dieser Behörde gaben. Viele Zielpersonen des Geheimdiensts fielen aus allen Wolken, als sie im Zuge der Veröffentlichung derartiger Abhörpraktiken damit konfrontiert wurden, wie lange und umfassend sie und ihre Familie bereits ohne richterliche Anordnung und damit nach kolumbianischem Recht illegal ausspioniert wurden.

Uribes erster DAS-Direktor, Jorge Noguera, steht im Verdacht, den Mord an drei Gewerkschaftern und dem bekannten Soziologen Alfredo Correa d'Andreis veranlaßt zu haben, deren Namen auf einer Todesliste an Paramilitärs weitergegeben wurden. Noguera mußte 2005 zurücktreten, worauf ihn Uribe mit der konsularischen Vertretung Kolumbiens in Mailand betraute. Erst als sich die Schlinge der Ermittlungen um den ehemaligen Geheimdienstdirektor zuzog, hielt es die Regierung für geboten, sich von ihm zu distanzieren. Dieser Vorgang folgte dem sattsam bekannten Muster, daß Recht und Gesetz beliebig dehnbare Grenzen repräsentieren, sofern man sich der schützenden Hand Uribes sicher sein kann. Kommt diese Praxis jedoch ans Licht, können durchaus Köpfe rollen, doch niemals der des Präsidenten.

Der aktuelle Direktor der DAS, Felipe Muñoz, räumt zwar ein, daß es früher Unregelmäßigkeiten gegeben haben könnte, will aber nur zu Vorgängen unter seiner Führung Stellung nehmen, die erst in diesem Jahr begann. Er habe interne Untersuchungen veranlaßt und gehe davon aus, daß hinter möglichen Fehltritten schwarze Schafe stecken, die eingeleitete Reformen der Behörde sabotieren wollen. Gegenwärtig nehme man die tiefgreifendste Umgestaltung des Dienstes seit seiner Gründung in den 1950er Jahren in Angriff, wobei der Personalbestand erheblich reduziert wird und man die Aufgabenbereiche neu definiert.

Was die DAS genau macht, ist nur in Teilen bekannt, zumal sie im Laufe der Zeit immer weiter zu Lasten anderer Institutionen verstärkt wurde. In ihre Zuständigkeit fällt jedenfalls die Registrierung von Ausländern, die Funktion als Hauptquartier des kolumbianischen Zweigs von Interpol und der persönliche Schutz hochrangiger Personen. Indessen gibt es auch Hinweise auf eine mindestens informelle Zusammenarbeit mit Privatarmeen verschiedener Couleur, die ihrerseits den Geheimdienst in unbekanntem Ausmaß unterwandert haben.

Da natürlich auch die Vereinigten Staaten eng mit dem wichtigsten Geheimdienst ihres Verbündeten Kolumbien zusammenarbeiten, hat der jüngste Skandal insofern für Irritationen in Washington gesorgt, als dabei Machenschaften zur Sprache kommen, die man keinesfalls öffentlich verhandelt wissen möchte. Der Sprecher des Außenministeriums Ian C. Kelly sah sich zwar genötigt, illegales Abhören als besorgniserregend und inakzeptabel zu rügen, doch gab er im Rahmen derselben Stellungnahme bekannt, daß Kolumbien in Fragen der Menschenrechte Fortschritte verzeichnen könne. Aus diesem Grund spreche nichts mehr dagegen, der Regierung in Bogotá die diesjährige Militärhilfe im vollen Umfang der vorgesehenen 545 Millionen Dollar auszuzahlen.

Wie diese Reaktion zeigt, ist die Einhaltung der Menschenrechte in Kolumbien für die US-Administration das geringste Problem, auch wenn dieses Thema bisweilen im parteipolitischen Gezänk hochgespielt wird. Präsident Uribe kann jedenfalls trotz des Ärgers, daß man ihm wieder einmal auf die Schliche gekommen ist, durchaus zufrieden sein: Er hat seine Gegner nach Strich und Faden ausspioniert und wird dafür mit den Dollarmillionen aus Washington belohnt, die ihm deutlich signalisieren, daß ihm nichts geschehen kann, solange er seine Funktion als unverzichtbarer Statthalter US-amerikanischer Hegemonialinteressen in Südamerika zu vollen Zufriedenheit erfüllt.

Anmerkungen:

[1] A Scandal Over Spying Intensifies in Colombia (17.09.09)
New York Times

18. September 2009