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LATEINAMERIKA/2279: Honduras als Experimentierfeld überstaatlicher Regulation (SB)


Machiavellistischer Ansatz zur Eindämmung des "Chavismus"


Im Prozeß gesellschaftlicher Umgestaltung ist der Zusammenschluß zwischen dem honduranischen Präsidenten Manuel Zelaya und der Bewegung gegen die Putschisten von essentieller Bedeutung. Während der nach Tegucigalpa zurückgekehrte Staatschef als Symbol und Leitfigur für den Verlauf der aktuellen Entwicklung steht, repräsentiert das breite Spektrum seiner Anhänger den Widerstand gegen die herrschenden Verhältnisse auch nach dem Ende der Amtszeit Zelayas und damit die künftige Wirkmächtigkeit der oppositionellen Kräfte. Weit über die Forderung nach Rückkehr Zelayas ins Präsidentenamt hinaus formulieren radikalere Fraktionen der Bewegung längst Ziele, die der Staatschef allenfalls im Ansatz vorgetragen hat.

Mit der Vertreibung Zelayas aus dem Land hatten die Putschisten seine Verbindung zum Widerstand in der Absicht unterbrochen, den Präsidenten kaltzustellen und seine Anhängerschaft totlaufen zu lassen. Ihr Instinkt, daß dies der Schlüssel zur unmittelbaren Herrschaftssicherung sei, hatte sie nicht getrogen. Die überraschende Rückkehr Zelayas hat ihre Pläne durchkreuzt, weshalb sie nun die brasilianische Botschaft belagern und de facto einen landesweiten Ausnahmezustand verhängt haben. Die gewaltsame Zerstreuung Tausender Anhänger des Präsidenten mit zahlreichen Verletzten und Festnahmen war nur der Auftakt des Versuchs, Zelaya auch unter den dramatisch veränderten Umständen zu isolieren und den von den Putschisten befürchten Anmarsch seiner Anhänger aus allen Landesteilen zu verhindern.

Angesichts der Reformprozesse in vielen anderen Ländern Lateinamerikas ist nachvollziehbar, warum sich die honduranischen Eliten mit Ingrimm in das Vorhaben verbeißen, nicht nur ihre Privilegien zu verteidigen, sondern zugleich die Woge der Umgestaltung in dieser Weltregion erstmals zu brechen. Da sie Statthalter Washingtons sind, steht und fällt ihre Brauchbarkeit mit dem Ausmaß ihres Erfolgs an dieser Front. Unter der neuen Doktrin der US-Regierung, in diesem Sektor ihres Einflußbereichs die Exekution weltadministrativer Zugriffsinteressen vorzugsweise Vasallen zu überlassen, um die eigene Intervention zu verschleiern, können die Putschisten keine unmittelbare Unterstützung ihres mächtigen Zwingherrn erwarten, weshalb sie um so aufmerksamer seine Signale studieren und interpretieren müssen. Diese sind so schwer nicht zu verstehen, da die Obama-Regierung den Umsturz zwar offiziell verurteilt, jedoch mit ihren milden Sanktionen bislang dafür gesorgt hat, daß dem Regime in Tegucigalpa nicht die Luft ausgeht.

Nun kommt Brasilien ins Spiel, das seine an allen Fronten vorgetragenen Ambitionen, im Konzert die führenden Mächte mitzuspielen, bei dieser Gelegenheit hervorragend in Szene setzen kann. Der durchaus begrüßenswerte Ansatz, die Angelegenheiten Lateinamerikas dem hegemonialen Einfluß der USA zu entziehen, kreuzt sich im Falle der größten Volkswirtschaft des Südens mit dem eigenen Führungsanspruch. Wenngleich die Option, Zelaya in der eigenen Botschaft zu beherbergen und zu schützen, nicht frei von Risiken ist, bleibt sie doch aus brasilianischer Sicht eine vorzügliche Gelegenheit, die Regie zu übernehmen und eine Vermittlerrolle durchzusetzen. Washington verliert dabei tendentiell an Einfluß, kann aber keine Einwände erheben, da man offiziell am selben Strang zieht.

Venezuela und seine Verbündeten haben Zelaya rückhaltlos unterstützt und die Vorgehensweise der US-Administration kritisiert. Ob man gemeinsam übereingekommen ist, aus taktischen Erwägungen auf die brasilianische Karte zu setzen, oder Zelaya es im Zweifelsfall doch lieber mit Luis Inácio Lula da Silva hält, sei dahingestellt. Fürs erste gilt es, die Putschisten in die Knie zu zwingen, wofür der honduranische Präsident jede Hilfe gebrauchen kann. Um so wichtiger wird für die oppositionelle Bewegung künftig die Kursbestimmung sein, da sich sozialdemokratische Einfriedung und sozialistische Umgestaltung mit jedem Schritt weiter voneinander entfernen.

Das weitreichende Interesse an der Entwicklung in Honduras gilt nur vordergründig der Frage demokratischer Legitimation, mit der es dieselben Akteure in anderen Teilen der Welt längst nicht so genau nehmen. Das kleine mittelamerikanische Land ist jedoch unversehens zum Experimentierfeld überstaatlicher Einflußnahme avanciert, da man in seiner aktuellen Entwicklung eine Weichenstellung von weitreichender Bedeutung verortet. Auf einen einfachen Nenner gebracht, prüft man in Washington und Brüssel, wie sich die Ausbreitung des unter "Chavismus" subsumierten Phänomens gesellschaftlicher Umgestaltung erfolgreich ausbremsen ließe. Offene Bevormundung und Konfrontation, wie sie in der Bush-Ära praktiziert wurde, ist an ihre Grenzen gestoßen und hat konfrontative Kräfte auf den Plan gerufen, die es im Dienst der Herrschaftssicherung nun zu spalten und zu entschärfen gilt. Unter dieser Maßgabe konnte ein Putsch gegen den demokratisch gewählten Präsidenten Manuel Zelaya weder offen unterstützt, noch nachträglich legitimiert werden. Daher widmete man sich vordringlich der Aufgabe, Zelaya mit Lippenbekenntnissen abzuspeisen und ihn zugleich um so nachhaltiger zu neutralisieren. Wer Machiavellismus nur in seiner brachialen Variante zu erkennen vermag, huldigt ihm bereits aus ganzem Herzen.

23. September 2009