Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → REDAKTION

LATEINAMERIKA/2289: Zelaya ist die Lösung und nicht das Problem (SB)


Klammheimliche Hoffnung auf die Gegenreformation Lateinamerikas


"Ich bin eine Lösung und nicht ein Problem." Mit diesen Worten traf Manuel Zelaya den Nagel auf den Kopf. Wie der honduranische Präsident, der sich seit seiner heimlichen Rückkehr am 21. September in der brasilianischen Botschaft in Tegucigalpa aufhält, hinzufügte, sei er überzeugt, daß es einen Ausweg aus der Krise gebe, der jedoch weit entfernt sei. Es gebe nur eine einzige Lösung, nämlich seine Rückkehr ins Präsidentenamt. [1]

Wenn wie im Falle Zelayas ein demokratisch gewählter Staatschef durch einen Putsch gestürzt wird, kann die vordringlichste Aufgabe nur seine Rückkehr in das angestammte Amt sein. Darüber hinaus stellt sich die Frage, welche Sanktionen gegen die Putschisten zu verhängen sind. Will man in diesem Zusammenhang von einem Kompromiß sprechen, so allenfalls hinsichtlich der Frage, wie mit den maßgeblichen Akteuren des Staatsstreichs zu verfahren sei und ob der wiedereingesetzte Präsident um einer Beilegung des Konfliktes willen im Gespräch mit seinen politischen Gegnern brisante Kontroversen zu entschärfen sucht.

Was sich hingegen in Honduras abspielt, kann nicht als Suche nach einem Kompromiß bezeichnet werden, auch wenn dies seitens internationaler Vermittler zumeist so dargestellt wird. Die Putschisten beharren darauf, daß die gewaltsame Entmachtung Zelayas legitim gewesen sei und als Status quo bei Verhandlungen vorausgesetzt werden müsse. Ihnen geht es darum, seine Wiedereinsetzung ins Amt zu verhindern und dem von ihm eingeleiteten innen- und außenpolitischen Reformprozeß das Wasser abzugraben, um die bestehenden Herrschaftsverhältnisse fortzuschreiben.

Der von Washington favorisierte Vermittler Oscar Arias legte einen Vorschlag auf den Tisch, der nur dem Schein nach ein Kompromiß war, de facto aber Zelaya weitgehend neutralisieren sollte. Dieser würde zwar in sein Amt zurückkehren, jedoch von einer sogenannten Einheitsregierung kontrolliert werden, in der seine Gegner die Mehrheit hätten. Damit wären ihm bis zum näherrückenden Ende seiner Amtszeit praktisch die Hände gebunden. Zudem sollte er auf das Referendum über die Einberufung einer verfassunggebenden Versammlung und damit das wichtigste Instrument zur Fortsetzung des Reformprozesses verzichten. Ferner sah das Abkommen von San José Straffreiheit für beide Seiten vor, was schon für sich genommen eine Farce war, da man dabei den Straftatbestand des Putsches und der daraus resultierenden Repression mit den fingierten Vorwürfen gegen Zelaya, die als Vorwände für den Staatsstreich konstruiert worden waren, abgleichen wollte. Obgleich dieser angebliche Kompromiß massiv zu Lasten Zelayas ging, stimmte dieser zunächst dem Vorschlag des costaricanischen Präsidenten zu. Hingegen wiesen die Putschisten diese goldene Brücke, die für sie maßgeschneidert war, rigoros zurück.

Was immer seither an Vorschlägen ins Gespräch gebracht worden ist, erreicht allenfalls das schon für sich genommen inakzeptable Niveau des San-José-Abkommens oder liegt noch weit darunter. Die Putschisten um Roberto Micheletti spielen nach wie vor auf Zeit und versuchen unterdessen, eine mögliche Verhandlungslösung immer weiter zu ihren Gunsten zu verschieben. Daher kann es kaum überraschen, daß auch der jüngste Vermittlungsversuch einer Delegation der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) in Tegucigalpa gescheitert ist.

"Sie kennen die Wahrheit nicht oder Sie wollen sie nicht kennen", herrschte Roberto Micheletti die Vertreter der OAS an. Wie der sogenannte Interimspräsident unterstrich, werde er erst dann zurücktreten, wenn Zelaya auf eine Wiedereinsetzung verzichtet. Damit wiederholte er lediglich eine alte Forderung, die er bereits kurz nach dem Staatsstreich aufgetischt hatte. Der nun von OAS-Generalsekretär José Miguel Insulza unterbreitete Vorschlag sah vor, Zelaya bis zum Ende seiner regulären Amtszeit im Januar als Präsident einer Einheitsregierung einzusetzen. Zudem sollte beiden Konfliktparteien Straffreiheit gewährt werden. Damit wiederholte Insulza im wesentlichen das Angebot, mit dem Arias Anfang August gescheitert war.

Micheletti beharrte darauf, daß die einzige mögliche Lösung des Konflikts darin bestehe, die Präsidentschaftswahlen am 29. November wie geplant abzuhalten. Da Zelaya der Verfassung entsprechend nicht wieder kandidieren darf, hofften die Putschisten von Anfang an, mit der erfolgten Wahl eines Nachfolgers aus dem herrschaftskonformen Lager das Problem Zelaya endgültig aus der Welt zu schaffen. Dieser forderte zuletzt seine Wiedereinsetzung ins Präsidentenamt bis zum 15. Oktober, da er andernfalls die Präsidentschaftswahl nicht anerkennen werde.

Der Delegation der OAS, die von den Putschisten brüsk abgebügelt wurde, gehörten auch mehrere lateinamerikanische Außenminister an. Zudem waren Vertreter der UNO und der EU zur Beobachtung angereist. Bislang hat die OAS die Auffassung vertreten, daß die Wiedereinsetzung Zelayas unverzichtbar und daher nicht verhandelbar sei. Andernfalls spreche man den im November angesetzten Präsidentenwahlen jede Legitimität ab. Will die sogenannte internationale Gemeinschaft hinsichtlich ihrer vorgehaltenen Position, Zelaya sei der rechtmäßige Staatschef von Honduras, nicht vollends ihre Glaubwürdigkeit verlieren, müßte sie der Wahl eines Nachfolgers ihre Zustimmung verweigern.

Micheletti entgegnete den Delegationsteilnehmern, zu denen auch der US-Gesandte Thomas Shannon gehörte, nur eine Invasion könne die Wahlen verhindern. Zelaya solle sich für einen Kandidaten entscheiden, den er unterstützen wolle, doch dürfe er selbst nicht ins Amt zurückkehren. [2] Diese markigen Worte gehen insofern gezielt an der Sache vorbei, da bislang niemand vorgeschlagen hat, den Urnengang notfalls gewaltsam zu verhindern. Allerdings stünde zu erwarten, daß die Anhänger Zelayas der Wahl massenhaft fernblieben und der gewählte Kandidat international keine Anerkennung fände, sofern diese angedrohte Maßnahme tatsächlich umgesetzt wird.

Während die Vertreter der Putschregierung mit der Delegation verhandelten, kam es zu schweren Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften. Als die versammelte Menschenmenge den Rücktritt Roberto Micheletti forderte und die OAS lautstark um Hilfe bat, gingen Polizisten mit Schlagstöcken und automatischen Waffen gegen die Anhänger Zelayas vor. Dabei trugen nach Augenzeugenberichten und Angaben von Krankenhäusern mehrere Menschen Verletzungen davon.

In der Botschaft Guatemalas haben zwölf Indígenas Zuflucht gesucht, die als Mitglieder des "Bürgerkongresses der indígenen und Volksorganisationen" in der Widerstandsbewegung gegen den Putsch aktiv sind. Sie haben politisches Asyl beantragt, da sie von den Sicherheitskräften mit dem Tod bedroht werden. Das Außenministerium Guatemalas will ihre Anträge prüfen und hat die honduranischen De-facto-Behörden aufgefordert, die Menschenrechte uneingeschränkt zu respektieren und die Repression gegen die Bürger zu beenden. [3]

Die Toten, Verletzten, Verhafteten oder auf andere Weise Drangsalierten weisen den Staatsstreich zweifelsfrei als Zwangsregime aus, das beendet und zur Verantwortung gezogen werden muß. Obgleich die meisten Regierungen den Putsch verurteilt haben, fällt die Dokumentation der Repression in Honduras im Mainstream der Medien eher verhalten aus. Man ist der Uneinsichtigkeit der Umstürzler überdrüssig, will aber auch mit Zelaya nichts zu tun haben, dessen Bestrebungen man keineswegs billigt. Wenn eine Verhandlungslösung angemahnt wird, so impliziert diese zumeist einen Verzicht Zelayas auf die Fortführung des Umgestaltungsprozesses. Das sind die Signale, von denen die Putschisten zehren, da sie nach wie vor davon ausgehen können, daß man sie zwar der Form halber abmahnt, insgeheim jedoch dafür lobt, daß sie in Honduras das Vordringen tiefgreifender Gesellschaftreformen in Lateinamerika aufgehalten, ja womöglich sogar die Gegenreformation eingeläutet haben, die auf der Agenda der Strategen in Washington und Brüssel steht.

Anmerkungen:

[1] Honduras: Internationale Vermittlung ohne Lösung (08.10.09)
http://diepresse.com/home/politik/aussenpolitik/513674/index.do?_vl_backlink=/home/politik/index.do

[2] Gespräche brachten keine Lösung. Polizei und Militär lösen Demonstration in Tegucigalpa mit Gewalt auf (08.10.09)
http://derstandard.at/fs/1254310859969/Gespraeche-brachten-keine- Loesung

[3] Honduras: Flucht vor Putschisten (08.10.09)

junge Welt

10. Oktober 2009