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LATEINAMERIKA/2331: Kolumbianischer Gouverneur bei Entführung getötet (SB)


Verfolgungsdruck der Regierung Uribe gefährdet das Leben Gefangener


Wie Präsident Alvaro Uribe bestätigt hat, ist der Gouverneur der südkolumbianischen Provinz Caquetá, Luis Francisco Cuéllar, einen Tag nach seiner Entführung tot aufgefunden worden. Der parteiunabhängige Politiker, der seit 1987 schon viermal von der marxistischen Rebellengruppe "Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens" (FARC) verschleppt worden war, wäre am Dienstag 69 Jahre alt geworden. Die Behörden beschuldigten sofort die FARC, die sich jedoch selbst zunächst nicht geäußert hat.

Ein schwerbewaffnetes Überfallkommando hatte Cuéllar am Vorabend aus seiner Residenz in der Provinzhauptstadt Florencia entführt. Die Angreifer fuhren getarnt in Uniformen einer Sondereinheit der Streitkräfte vor dem Haus des Gouverneurs vor, sprengten die Eingangstür, erschossen einen der Leibwächter und verschleppten den Politiker. Dessen enthaupteter Körper, der mehrere Schußwunden aufwies, wurde später unweit der Stadt aufgefunden. [1] Medienberichten zufolge entdeckten Landarbeiter die Leiche des Gouverneurs neben einem ausgebrannten Wagen etwa 15 Kilometer südlich von Florencia. [2] Nach Angaben des Regierungssekretärs der Provinz, Edilberto Ramon Endo, konnte die Leiche wegen heftiger Kämpfe des Militärs mit FARC-Rebellen erst spät geborgen und in eine Kaserne gebracht werden.

Den Worten der Politikerin Olga Patricia Vega zufolge, die zwischenzeitlich das Amt Cuéllars übernommen hatte, habe man gehofft, daß der Gouverneur wieder freigelassen werde, und verstehe einfach nicht, warum er umgebracht worden ist. Cuéllar habe allem Anschein nach Schwierigkeiten gehabt, mit seinen Entführern Schritt zu halten, und sei womöglich deshalb ermordet worden. "In tiefer Trauer bleibt uns nichts anderes übrig, als diese schmerzhafte Tatsache zu akzeptieren. Es ist ein schwerer Schlag für unsere staatliche Verfassung."

Uribe hatte sofort eine Belohnung für Hinweise auf den Verbleib Cuéllars in Höhe von umgerechnet 345.000 Euro ausgesetzt und eine großangelegte Suchaktion angeordnet, bei der mehr als 2.000 Soldaten und Polizisten das Dschungelhochland durchkämmten. [3] Im Zuge dieser Verfolgung kam es zu heftigen Gefechten in der Nähe der Stadt Florencia. Die FARC hatte des öfteren gedroht, daß sie Entführte bei gewaltsamen Befreiungsversuchen umbringen würde. So wurde 2003 der Gouverneur der Provinz Antioquia, Guillermo Gaviria, während eines Befreiungsversuchs durch die Sicherheitskräfte getötet.

Die FARC hatte schon seit Jahren keine Politiker mehr entführt und alle von ihr festgehaltenen hochrangigen Gefangenen ohne Gegenleistung freigelassen, sofern sie nicht vom Militär befreit worden waren wie zuletzt 2008 die frühere Präsidentschaftskandidatin Ingrid Betancourt. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) teilte unterdessen mit, daß die Bedingungen für eine seit längerem erhoffte Freilassung mehrerer FARC-Geiseln derzeit nicht gegeben seien. Man gehe davon aus, daß dieser Zustand vorübergehend ist und der Prozeß der Annäherung zwischen Regierung und Rebellen in eine erfolgreiche Freilassung von Gefangenen münden wird, sagte der IKRK-Delegierte für Kolumbien, Pascal Jequier.

Präsident Uribe hatte bei seinem Amtsantritt im Jahr 2002 der Guerilla den Krieg angesagt und eine "sichere Demokratie" in Kolumbien versprochen. Er weigert sich, mit den Rebellen zu verhandeln, die die Freilassung von 500 inhaftierten FARC-Mitgliedern im Austausch für ihre Geiseln verlangen. Der Staatschef hat die militärische Befreiung aller FARC-Geiseln angeordnet, was die Angehörigen der insgesamt noch 23 Polizisten und Militärs in der Gewalt der Guerilla mit tiefer Sorge erfüllt.

Das Leben der Gefangenen ist vor allem dann in höchster Gefahr, wenn man die Entführer sofort verfolgt oder deren Lager angegriffen wird. So wurden am 18. Juni 2007 elf Regionalpolitiker bei einem Angriff Uniformierter auf ein Lager der Guerilla getötet, wobei es sich um eine mißglückte Befreiungsaktion der Armee oder auch ein eher zufälliges Feuergefecht gehandelt haben könnte. Nachdem die FARC dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) die Koordinaten übermittelt hatte, wurden die sterblichen Überreste der Opfer im Dschungel aufgefunden.

Seit Jahren haben Diplomaten aus Spanien, Frankreich und der Schweiz ebenso vergeblich versucht, einen Gefangenenaustausch zu vermitteln, wie Kirchenleute und andere Vertreter der kolumbianischen Zivilgesellschaft. Während die Rebellen immer wieder Gespräche über einen Austausch vorschlugen, verhinderte Präsident Alvaro Uribe durch seine harte Haltung jede Annäherung. Er lehnte es ab, die Guerilla als Kriegspartei anzuerkennen, und bezeichnete sie als "Terroristen", mit denen man nicht verhandle. Während sein sozialdemokratischer Vorgänger Andrés Pastrana der FARC zeitweise eine demilitarisierte Schutzzone von der Größe der Schweiz gewährt hatte, in der Gespräche geführt wurden, erklärte Uribe zu Beginn seiner ersten Amtszeit, er werde die Rebellen militärisch besiegen und ihnen keinen einzigen Quadratmeter kolumbianischen Bodens freiwillig überlassen.

Nach anfänglichen militärischen Erfolgen blieb die große Offensive der mit US-amerikanischer Hilfe massiv aufgerüsteten Streitkräfte stecken, und so galt dieser Vorstoß bereits Ende der ersten Amtszeit Uribes 2006 als gescheitert. Um so mehr machte dem Präsidenten die Forderung der Angehörigen zu schaffen, die immer drängender einen Austausch verlangten und internationale Unterstützung bekamen. Uribe setzt mit seiner Weigerung, Gespräche mit der Guerilla zu führen, nicht nur das Leben der Entführten aufs Spiel, sondern hat auch die Vermittlung des venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez sabotiert, in deren Verlauf die FARC namhafte Gefangene ohne Gegenleistung freiließ.

Die kolumbianische Regierung ist weder an der Freilassung der Gefangenen, noch an Friedensverhandlungen mit der Guerilla ernsthaft interessiert. Für sie zählt ausschließlich die Vernichtung der Insurgenten und die Ausmerzung jeglicher Potentiale und Bestrebungen, die gesellschaftlichen Verhältnisse im Land zu verändern. Zu diesem Zweck läßt sie sich von ihrer Schutzmacht USA alimentieren und aufrüsten, der sie überdies die Nutzung zahlreicher Militärstützpunkte überlassen hat.

Anmerkungen:

[1] Verschleppter Gouverneur getötet (23.12.09)
http://derstandard.at/1259282547570/Verschleppter-Gouverneur-getoetet

[2] Kolumbianischer Gouverneur enthauptet (23.12.09)
http://www.sueddeutsche.de/politik/189/498483/text/

[3] Kolumbianischer Gouverneur ermordet (23.12.09)

http://www.dw-world.de/dw/article/0,,5047752,00.html

24. Dezember 2009