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LATEINAMERIKA/2363: Neue Runde haltloser Bezichtigung Venezuelas (SB)


Spanischer Richter unterstellt Verbindung zu ETA und FARC


Die Bolivarische Republik Venezuela mit dem Vorwurf zu traktieren, ihre Regierung unterhalte Beziehungen zum "internationalen Terrorismus", zählt zu den gefährlichsten Instrumenten im Arsenal der Vereinigten Staaten und ihrer Verbündeten, die gegen ihren schärfsten Kritiker in Lateinamerika in Stellung gebracht werden. Regierungen der Unterstützung von "Terrororganisationen" zu bezichtigen, dient dem Zweck, sie nicht nur in ihren legitimen Anliegen und Positionen zu diskreditieren, sondern darüber hinaus mit Sanktionen zu belegen und in letzter Konsequenz Angriffskriege gegen sie zu rechtfertigen. Präsident Hugo Chávez, der in vorderster Front für ein Ende US-amerikanischer Hegemonialmacht und eine eigenständige Entwicklung der lateinamerikanischen Völker auf Grundlage vertiefter Zusammenarbeit eintritt, wird von Washington seit Jahren mit Vorwürfen aller Art drangsaliert, wobei der aggressive Drang, ihn seines Einflusses zu berauben, bislang im gescheiterten Putsch des Jahres 2002 gipfelte.

Als der venezolanische Staatschef erfolgreich im kolumbianischen Konflikt zu vermitteln begann und die Freilassung von Gefangenen der FARC-Guerilla erwirkte, strafte er die Doktrin der Führung in Bogotá Lügen, mit "Terroristen" könne und dürfe man nicht verhandeln. Binnen weniger Monate schien ein umfassender Gefangenenaustausch und darüber hinaus ein substantieller Ansatz zu Friedensgesprächen in greifbare Nähe zu rücken. Für eine kurze Frist wich die obligatorische Diskreditierung des Präsidenten von Venezuela anerkennenden Worten für den erzielten Durchbruch, und selbst seine Forderung, man solle das Terrorverdikt gegen die Rebellen aufheben und sie als Verhandlungspartner auf gleicher Augenhöhe akzeptieren, wurde international nicht mehr rundweg verworfen.

Der Konter der verbündeten Regierungen in Washington und Bogotá folgte auf dem Fuß: Weder wollte man Chávez als erfolgreichen Vermittler hinnehmen, noch ernsthafte Gespräche mit der Guerilla führen, bei denen deren jahrzehntelang erhobenen politischen und sozialen Forderungen zur Sprache gekommen wären. Nachdem man zuvor gründlich daran gearbeitet hatte, den Rebellen alle nachvollziehbaren Gründe für den bewaffneten Kampf abzusprechen, sie zu kriminellen Drogenhändlern ohne weitergehende Ziele zu erklären und schließlich als "Terroristen" auszugrenzen, die man vernichten müsse und dürfe, war jedes Mittel recht, ein Scheitern dieser langfristig angelegten Strategie zu verhindern.

Der Angriff der US-amerikanischen und kolumbianischen Streitkräfte auf das Lager der FARC in Ecuador im Frühjahr 2008, bei dem alle Rebellen und deren Gäste umgebracht wurden, beendete mit einem Schlag die Vermittlungsbemühungen des venezolanischen Staatschefs und das Tauwetter im Umgang mit der Guerilla. Indem man den Sprecher und designierten Nachfolger in der Führerschaft der FARC, Raúl Reyes, liquidierte, eröffnete man ein Szenario erneuter und um so schärferer Bezichtigung. Angeblich erbeutete Laptops und andere Datenträger des getöteten Kommandanten wurden in der Folge zu einer wahren Wundertüte aufgebläht, aus der man immer neue Vorwurfslagen zauberte. Ein damals vielzitierter, aber inhaltlich kaum beachteter Untersuchungsbericht von Interpol kam zu dem entscheidenden Schluß, daß diese Datenträger internationalen Standards im Umgang mit elektronischen Beweismitteln nicht genügten. Da sie zunächst von kolumbianischen und zweifellos auch US-amerikanischen Geheimdiensten gesichtet und nachweislich auch manipuliert worden waren, gibt es keinerlei Gewähr, daß sie überhaupt von Reyes stammen und inhaltlich aussagekräftig sind.

Schon aus diesem Grund ist jeder Bezug auf angebliche Beweise, die der Auswertung dieser Datenträger entnommen wurden, völlig haltlos. Dennoch füttert die kolumbianische Führung die Welt seither mit immer neuen Beschuldigungen aus dieser abstrusen Quelle, die dank der Ignoranz der sie bedenkenlos kolportierenden Medien ihre Verbreitung finden. Jüngstes Produkt dieser Hexenjagd ist die Initiative des spanischen Sondergerichts für Terror- und Drogendelikte, das die venezolanische Regierung beschuldigt, mit der Untergrundorganisation Euskadi Ta Askatasuna (Baskenland und Freiheit) und den Revolutionären Streitkräften Kolumbiens zusammenzuarbeiten. Eloy Velasco, Ermittlungsrichter der Audiencia Nacional, hat in Madrid eine entsprechende Anklageschrift vorgelegt.

Darin legt Velasco sechs mutmaßlichen ETA-Mitgliedern und sieben Angehörigen der FARC zur Last, in Spanien Attentate gegen kolumbianische Amtsträger aus Politik und Militär geplant zu haben. Bei Reisen durch Venezuela soll der dortige Militärgeheimdienst DIM für die erforderliche Abdeckung gesorgt haben. Als Verbindungsglied bezeichnet der Ermittlungsrichter den Basken Arturo Cubillas, der seit 2005 im venezolanischen Landwirtschaftsministerium tätig ist. Im Jahr 2006 hatten bereits spanische Medien Vorwürfe gegen die Ehefrau des Basken erhoben, nachdem sie Kabinettsdirektorin bei Chávez geworden war. [1]

Wie es in dem 26 Seiten umfassenden Bericht hieß, hätten ETA und FARC seit 1993 in Kuba und Venezuela zusammengearbeitet, um ihre Kenntnisse im Bombenbau, in der Anwendung von Boden-Luft-Raketen sowie der Kriegsführung in Stadt und Land auszutauschen. Auch habe die FARC logistische Hilfe der ETA bei geplanten Anschlägen gegen Präsident Álvaro Uribe, Expräsident Andrés Pastrana, Vizepräsident Francisco Santos und die Präsidentschaftskandidatin Noemí Sanín erbeten. Für die Vermittlung zwischen den beiden Gruppierungen habe Arturo Cubillas gesorgt. Im Jahr 2007 hätten Angehörige der venezolanischen Streitkräfte und Geheimdienste Mitglieder der ETA und FARC zu einem Ausbildungskurs in Bombenbau und urbaner Kriegsführung in den Dschungel nahe der Grenze zu Kolumbien eskortiert. Cubillas habe gemeinsam mit zwei hochrangigen Kommandanten der FARC daran teilgenommen. [2]

Beweise für diese Vorwürfe will Richter Velasco Informationen kolumbianischer Behörden, Aussagen übergelaufener FARC-Rebellen sowie insbesondere dem angeblichen Laptop des ermordeten Raúl Reyes entnommen haben. Von unabhängigen und glaubwürdigen Zeugen und Quellen kann folglich kaum die Rede sein.

Daß aus der baskischen Herkunft des 46jährigen Arturo Cubillas und seiner Tätigkeit als Abteilungsleiter in der venezolanischen Administration haltlose Schlüsse einer Verschwörung gezogen werden, legt schon der Umstand nahe, daß Cubillas bereits vor über 20 Jahren nach Venezuela geflüchtet ist, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt. Erst seit Chávez regiert, wird der Baske als "Kopf des ETA-Kollektivs" bezichtigt, wobei Spanien niemals Anklage gegen ihn erhoben, geschweige denn seine Auslieferung gefordert hat.

Die ETA, so heißt es im Bericht Velascos, arbeite bereits seit den achtziger Jahren mit der FARC zusammen und sei in Venezuela zeitweise mit bis zu 40 Mitgliedern präsent gewesen. Spanischen Medienberichten zufolge leben von den sechs gesuchten mutmaßlichen ETA-Mitgliedern gegenwärtig drei in Kuba und je einer in Mexiko und Venezuela, während bei einem weiteren der Aufenthaltsort unbekannt ist. Nach spanischem Recht ist ein Prozeß in Abwesenheit nicht möglich, und von den dreizehn Beschuldigten befindet sich derzeit nur einer in Spanien in Haft. Madrid hat die Regierung Venezuelas schon in der Vergangenheit ohne Erfolg aufgefordert, mutmaßliche ETA-Mitglieder auszuliefern. Der Untersuchungsrichter ersucht das spanische Außenministerium nun, internationale Haftbefehle gegen die Verdächtigen zu erlassen, was den Beziehungen zwischen Spanien und Venezuela nicht gerade zuträglich sein wird. [3]

Dies ist zweifellos Zweck der Initiative, welche die spanische Regierung munitionieren soll, Caracas unter Druck zu setzen und keinesfalls einer Annäherung Raum zu geben, welche die angestrebte Isolierung Venezuelas obsolet machen würde. Premierminister José Luis Rodríguez Zapatero (PSOE) hat die Regierung Venezuelas aufgefordert, umgehend zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen. Präsident Chávez erklärte daraufhin, seine Regierung unterstütze weder die baskische Untergrundorganisation ETA noch die kolumbianische FARC-Guerilla.

Die Berliner Botschaft der Bolivarischen Republik Venezuela hat ein Kommuniqué des venezolanischen Außenministeriums veröffentlicht, in dem dieses im Namen der Bolivarischen Regierung den Richterspruch der Real Audiencia Española als inakzeptabel und befangen zurückweist. Wie es unter anderem heißt, habe die Regierung Venezuelas durch die Presse Kenntnis von der Anklageerhebung erhalten, in der inakzeptable Behauptungen politischer Art und Motivation über die venezolanische Regierung aufgestellt werden:

In der genannten Anklageerhebung wird auf einen Bürger Bezug genommen, der seit Mai 1989 im Ergebnis der damals durch Carlos Andrés Pérez und Felipe González erzielten Vereinbarungen in Venezuela lebt. Es überrascht, dass zu keinem Zeitpunkt die Namen der Urheber dieser Vereinbarung erwähnt werden, während der Richter sich aber die Mühe macht, wiederholt und respektlos auf den Präsidenten der Venezolaner, Hugo Chávez, Bezug zu nehmen, wobei er gleichermaßen befangene wie leere Behauptungen über die Bolivarische Regierung aufstellt.

Die gesamten von diesem Richter formulierten Befragungen sind das Ergebnis der Verwendung von Dateien aus dem Computer, der angeblich bei Raúl Reyes während der Militäroperation sichergestellt wurde, die die illegale Bombardierung des ecuadorianischen Territoriums beinhaltete und bei der Dutzende Personen massakriert wurden. Überraschend ist auch, dass der Richter die abgedroschene Farce des Computers wiederbelebt, die schon Teil der kolumbianischen politischen Folklore geworden ist.

Der Außenminister der Bolivarischen Republik Venezuela erinnerte in einer Kommunikation mit dem Außenminister des Königreiches Spanien an die Vereinbarung von 1989, in deren Ergebnis der betreffende Bürger auf Ersuchen des spanischen Staates in Venezuela lebt, und er wies die infamen Behauptungen dieses spanischen Richters zurück und bekräftigte erneut die tiefe Verbundenheit mit den demokratischen und humanistischen Werten, die die bolivarische Regierung von Venezuela auszeichnet. [4]

Anmerkungen:

[1] Absurde Unterstellung. Madrider Gericht zieht eine Verbindung zwischen der Regierung Chávez, ETA und der FARC (03.03.10)
junge Welt

[2] Spanish Judge Accuses Venezuela of Aiding Basque and Colombian Militants (01.03.10)
New York Times

[3] Spanien wirft Venezuela Mordkomplott vor. Unterstützung von Terrorplänen gegen kolumbianischen Staatschef (01.03.10)
NZZ Online

[4] Kommuniqué des venezolanischen Außenministeriums (02.03.10)
Veröffentlicht von der Botschaft der Bolivarischen Republik Venezuela in Berlin

4. März 2010