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LATEINAMERIKA/2365: Außenwirtschaftsminister Westerwelle bereist vier Staaten Lateinamerikas (SB)


Hofberichterstattung vom Troß Westerwelles blendet Inhalte aus


Im Rahmen der Hofberichterstattung über die knapp einwöchige Reise Guido Westerwelles nach Südamerika verdrängt die Debatte deutscher Befindlichkeiten hinsichtlich der Inszenierung des Außenministers die Interessen und Belange der Stationen Chile, Argentinien, Uruguay und Brasilien in den Rang wechselnder Kulissen einer Seifenoper. Generalthema der hiesigen Medien ist die scheinheilige Kontroverse um die Frage, ob Westerwelle sein Amt beschädigt, sofern es ihm nicht gelingt, Staats- und Privatgeschäfte sauber zu trennen. Daß vorzugsweise Geschäftsleute, die vor der Wahl für die FDP gespendet haben, den Außenminister auf Regierungsreisen begleiten und als Türöffner nutzen dürfen, erhitzt die Gemüter der Opposition, womit sich die grundsätzliche Verschränkung von staatlicher Herrschaftssicherung und kapitalistischer Wirtschaftsordnung aufs beste ausblenden läßt.

Wenn sich überdies der Lebenspartner Westerwelles gegen den Vorwurf verwahren muß, er nutze Auslandsreisen mit dem Minister zur Anbahnung privater Geschäfte, mischt sich kaum kaschierte Homophobie mit einer Bezichtigungskultur, die nur dem Schein nach auf einige Große eindrischt, um alle Kleinen Mores zu lehren. Diese systematische Verödung analytischen Denkens flankiert den Übergang von einer Gesellschaft, in der jeder Bürger angesichts der Wechselfälle seines Daseins den Anspruch auf einen gewissen Schutz seitens der Gemeinschaft geltend machen kann, zu einem Bezichtigungsregime, das den Menschen für Arbeitsplatzverlust, Armut und Krankheit persönlich verantwortlich macht und ihn als potentiellen Betrüger an der Gemeinschaft diskreditiert.

Bezeichnenderweise bewertet man die Qualitäten des Außenministers im Kontext seiner Reise in eine gemessen an hiesigen Verhältnissen arme Weltregion keineswegs an seiner jüngsten Kampagne gegen die ausgegrenzten und verelendeten Teile der deutschen Bevölkerung. Ebensowenig thematisiert man die Rolle der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung in Mittelamerika, die den Putsch in Honduras befürwortet hat und weiterhin Stimmung gegen Regimegegner macht. Der Regionalvertreter der Stiftung, Christian Lüth, griff jüngst zwei hochrangige Vertreter der honduranischen Demokratiebewegung, die mit Angehörigen mehrerer Ausschüsse des deutschen Bundestages über die Lage der Menschenrechte in dem mittelamerikanischen Land gesprochen haben, in der den Putschisten nahestehenden Tageszeitung "El Heraldo" massiv an. Beide reisten "durch die Welt, um die eigene Regierung der doppelten Moral zu bezichtigen und das Land so weiter zu spalten, anstatt es zu einen", schrieb der Stiftungsvertreter. Die beiden machten sich somit "ethischer Verbrechen" schuldig, gab Lüth sie nicht nur im übertragenen Sinn in ihrer Heimat zum Abschuß frei. [1]

Offenbar verfolgt die Bundesregierung die Strategie, Honduras eine Rückkehr zur Normalität zu attestieren und die Regierung Porfirio Lobos anzuerkennen. So hatten sich die Vertreter Deutschlands in den Brüsseler Entscheidungsgremien dafür starkgemacht, Vertreter der EU-Mitgliedsstaaten zur Amtseinführung des neuen Staatschefs nach Tegucigalpa zu entsenden. Auch wenn man die gewaltsame Entmachtung und Verschleppung Präsident Zelayas aus prinzipiellen Erwägungen verurteilt hat, kam sie doch sehr gelegen, um Honduras auf den traditionellen Kurs zurückzuholen und damit den Einfluß jener Kräfte zurückzudrängen, die ein Lateinamerika ohne die hegemoniale Dominanz der USA und anderen fremden Mächte anstreben. Zwar profitieren Deutschland und die EU zunächst von einem schwindenden Ansehen und Einfluß der USA in dieser Weltregion, doch ist natürlich abzusehen, daß sich die emanzipatorischen Bestrebungen im nächsten Schritt gegen Ausbeutung und Bevormundung durch die Europäer wenden.

Der deutsche Außenminister reist als Repräsentant hiesiger Eliten in Politik und Wirtschaft nach Südamerika, die diese Weltregion in jüngerer Zeit regelrecht vernachlässigt haben. Man sagt Bundeskanzlerin Merkel nach, sie habe kein Interesse an Lateinamerika, was angesichts der wachsenden Bedeutung von Ländern wie Brasilien nachgerade seltsam anmutet. Dabei geben ausländische Staatschefs und andere hochrangigen Politiker einander in Brasília die Klinke in die Hand. Nicolas Sarkozy hat Präsident Luiz Inácio Lula da Silva bereits mehrfach besucht, vor wenigen Tagen machte US-Außenministerin Hillary Clinton dort Station und für September hat sich Präsident Obama angekündigt. Als der brasilianische Staatschef jedoch im letzten August persönlich zum deutsch-brasilianischen Wirtschaftstreffen in die Hafenstadt Vitoria kam, war kein deutscher Minister oder Botschafter anwesend, ja selbst der Präsident des Industrieverbandes BDI bereits abgereist. [2]

Das wird man in Brasília nicht vergessen haben, wenn Westerwelle dieser Tage verlorenen Boden gutzumachen versucht. Die Südamerikatour ist mit sechs Tagen die bislang längste Auslandsreise des Außenministers. Wie dieser erklärte, werde es ein Kernanliegen seiner Außenpolitik sein, Türen für deutsche Unternehmungen zu öffnen. Er wolle den Ausbau der Beziehungen zu Südamerika, das seines Erachtens in Europa immer noch sehr unterschätzt werde, zu einem Schwerpunkt seiner Amtszeit machen. Deutschland habe an dem Kontinent nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen ein "strategisches Interesse". Man teile mit Lateinamerika gemeinsame kulturelle und historische Wurzeln und "sehr oft ähnliche Werte". Deshalb plane man, Lateinamerika zur Schwerpunktregion der diesjährigen Botschafterkonferenz des Auswärtigen Amtes im September zu machen. Wie Westerwelle hinzufügte, habe er sich vor Antritt der Reise auch mit seiner US-amerikanischen Amtskollegin ausgetauscht, zu der er ein sehr gutes Verhältnis pflege.

Wenn der deutsche Außenminister hervorhebt, er habe sich des Segens der USA versichert, entspricht dies zweifellos der grundsätzlichen Position der Bundesregierung zur Führungsmacht USA. Ob man in Südamerika erfreut ist, mit einem Vasallen Washingtons zu sprechen, der dessen Anspruch auf die uneingeschränkte Vorherrschaft in dieser Weltregion nicht bestreitet, sondern ausdrücklich bestätigt, steht jedoch auf einem andern Blatt. Überdies ist der Verweis auf gemeinsame kulturelle und historische Wurzeln wie auch ähnliche Werte ohne jede Kritik an der Kolonialherrschaft und imperialistischen Drangsalierung geradezu ein Schulterschluß mit den lokalen Nutznießern und Kollaborateuren fremder Mächte in Gestalt der zumeist europäischstämmigen und hellhäutigen nationalen Eliten.

Chile hatte bis zum Erdbeben gar nicht auf dem Programm Westerwelles gestanden, doch wie sich in Funktionalisierung der Katastrophe zeigte, war das Land unter diesen Umständen der ideale Ort, um eine Südamerikareise zu beginnen. Eine Woche nach dem verheerenden Beben als erster europäischer Spitzenpolitiker einzutreffen, insgesamt 630.000 Euro Soforthilfe zuzusagen und zu betonen, man wolle zeigen, daß man die Freunde in der Stunde der Not nicht vergessen habe und einen kleinen Beitrag zur Linderung der Not leiste, machte sich ausgesprochen gut.

Bei dem dreistündigen Besuch übergab Westerwelle auf dem Flughafen der chilenischen Hauptstadt seinem Amtskollegen Mariano Fernández Hilfsgüter wie Zelte, Satellitentelefone und Decken. Danach traf er mit dem designierten Präsidenten Sebastián Piñera zusammen, der am 11. März das Amt übernimmt. Westerwelle dürfte sich wohlgefühlt haben, als ihn der designierte Staatschef auf seinem riesigen Privatanwesen im noblen Stadtteil Las Condes empfing. Der 60 Jahre alte konservative Multimillionär zählt zu den reichsten Männern des Landes und verkörpert zweifellos eine Klientel, für die sich der FDP-Vorsitzende besonders zuständig fühlt.

Zudem pflegt Chile seit Generationen recht gute Beziehungen zu Deutschland, das der wichtigste Handelspartner des Landes in der EU ist. Dieses gehört aus europäischer Sicht zu den Vorzeigestaaten des Kontinents und wird in Kürze als erster südamerikanischer Staat Vollmitglied der OECD. Natürlich denkt man auch an Pinochet und die "Chicago Boys" um Milton Friedman, die das Land in ein neoliberales Experimentierfeld verwandelt haben, was die hiesigen Eliten zwar keinesfalls offiziell loben, aber insgeheim noch heute abfeiern dürften.

Anschließend reiste Westerwelle weiter nach Buenos Aires, wo eine Unterredung mit der argentinischen Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner auf dem Programm stand. Der Außenminister appellierte verhalten an die Staatschefin, die hohen Auslandsschulden zu begleichen, zumal eine Einigung auch deutschen Unternehmen weitere Investitionen in Argentinien erleichtern würde. Was den wieder aufgeflammten Streit zwischen Buenos Aires und London um die Inselgruppe der Malvinas im Südatlantik betraf, hatte Westerwelle schon vorab unterstrichen, daß eine gemeinsame und kooperative Lösung gesucht werden müsse. Er hob die "Wertegemeinschaft" mit Argentinien hervor und strebt eigenen Worten zufolge eine "strategische Partnerschaft" mit Buenos Aires an, ohne daß so recht klar geworden wäre, was darunter zu verstehen ist.

Wie schon in Buenos Aires wurde Westerwelle auch in Uruguay von einer großen Delegation deutscher Wirtschaftsführer und Unternehmer begleitet. Am Dienstag machte der Außenminister Station in Montevideo, wo er unter anderem den früheren Guerillakämpfer José Mujica traf, der vor wenigen Tagen als neuer Präsident vereidigt worden ist.

Der wichtigste Teil der Reise begann heute mit dem Aufenthalt in Brasilien, das für Westerwelle längst kein Entwicklungsland mehr ist, sondern "ein spannender Partner" für deutsche Firmen. Differenzen gebe es allerdings in der Beurteilung des Iran, die Westerwelle offen ansprechen wollte. Brasilien ist Deutschlands wichtigster Handelspartner in Lateinamerika. Dort sind 1200 deutsche Unternehmen aktiv, die 250.000 Menschen beschäftigen und rund 10 Prozent zum industriellen Bruttoinlandsprodukt beitragen. Am Donnerstag hält Westerwelle in Sao Paulo eine Rede vor deutschen und brasilianischen Unternehmern. Zudem steht der Besuch in einem Siemens-Werk auf dem Programm. Zum Abschluß seiner sechstägigen Reise fliegt Westerwelle am Freitag nach Rio de Janeiro, wo er sich über die anstehenden sportlichen Großereignisse informieren will: Brasilien richtet 2014 die Fußballweltmeisterschaft und 2016 die Olympischen Spiele in Rio aus. [3]

"Es ist das klare Ziel unserer Außenpolitik, der deutschen Wirtschaft mit solchen Reisen Türen zu öffnen - das dient auch dem Erhalt unserer Arbeitsplätze. Und das mache ich nicht mit spitzen Fingern, sondern das ist Teil meiner Arbeitsweise", hatte Westerwelle in einer Ansprache vor der argentinisch-deutschen Handelskammer erklärt. "Das wird dem einen oder anderen noch eine gewisse Gewöhnung abverlangen, aber ich halte das in diesem Fall für herausragend." [4] Sollte sich die deutsche Außenpolitik unter Westerwelle gegenüber der seiner Vorgänger Steinmeier und Fischer geändert haben, so vor allem in der Präsentation, die deutsche Wirtschaftsinteressen unverhohlen in den Vordergrund stellt, ohne sich lange mit weltpolitischem Kauderwelsch aufzuhalten.

Anmerkungen:

[1] "Ethische Verbrechen" in Honduras (08.03.10)

Telepolis

[2] Westerwelles Südamerika-Reise. Steakhaus, Steakhaus, Stadion (08.03.10)
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,682463,00.html

[3] "Das mache ich nicht mit spitzen Fingern" (09.03.10)
http://www.welt.de/die-welt/politik/article6697935/Das-mache-ich-nicht-mit-spitzen-Fingern.html

[4] Wirtschaftsdelegation. Westerwelle fühlt sich im Recht (08.03.10)
http://www.focus.de/politik/deutschland/wirtschaftsdelegation-westerwelle-fuehlt-sich-im-recht_aid_487836.html

10. März 2010