Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → REDAKTION

LATEINAMERIKA/2366: Mexikaner Carlos Slim erstmals reichster Mensch der Welt (SB)


Krösus in Zeiten der weltweiten Systemkrise des Kapitalismus


Nach den Berechnungen des US-Wirtschaftsmagazins "Forbes" ist der 70 Jahre alte mexikanische Telekom-Magnat Carlos Slim Helú in diesem Jahr erstmals der reichste Mensch der Welt. Mit einem Vermögen von 53,5 Milliarden Dollar verdrängte er Microsoft-Gründer Bill Gates, der auf 53 Milliarden veranschlagt wird, von der Spitze auf Platz zwei, gefolgt von Investor Warren Buffett, der 2008 noch ganz oben stand und nun mit 47 Milliarden Dollar an dritter Stelle rangiert. Während es die zehn Führenden der "Forbes"-Liste im vergangenen Jahr zusammen auf 254 Milliarden brachten, stieg deren Vermögen nun auf insgesamt 342 Milliarden Dollar. [1]

Die immanente Krise des kapitalistischen Raubsystems, dessen Zwang zur Expansion seine eigenen Grundlagen zu verschlingen droht, veranlaßte auch Carlos Slim, sein Wirtschaftsimperium gegen Angriffe abzusichern. Dies betraf einerseits dessen ökonomische Fundamente, da der mexikanische Multimilliardär auf dem Höhepunkt der Krise mehr als die Hälfte seines früherem Reichtums durch verfallende Aktienkurse eingebüßt hatte. Während es ihm gelang, diese Verluste nicht nur zu kompensieren, sondern zum weltweit erfolgreichsten Gewinner des Desasters aufzusteigen, trug er zugleich dem tendentiellen Wandel des politischen Klimas Rechnung. In Lateinamerika wurden in jüngerer Zeit immer häufiger Stimmen laut, die das Elend der Massen mit dem aberwitzigen Reichtum kleiner Eliten in Verbindung bringen. Carlos Slim, der vordem als unangreifbarer Gigant galt, der ein aufwendig geschaffenes Beziehungsgeflecht von Politikern und anderen einflußreichen Kräften steuerte, sah sich veranlaßt, sein Image von Grund auf umzufrisieren. Heute tritt er mit Worten für soziale Verantwortung des Unternehmertums und größere wirtschaftliche Gleichheit der Bevölkerungsschichten ein.

Schon vor zehn Jahren übergab Carlos Slim nach einer Herzoperation das Tagesgeschäft seinen Kindern, um sich auf strategische Entscheidungen zu konzentrieren. Zugleich brach er in gewissem Umfang mit seiner jahrzehntelangen Praxis, seine Geschäfte vorzugsweise im Stillen abzuwickeln und öffentliches Aufsehen tunlichst zu meiden. So trat er in jüngerer Zeit als Kunstsammler und Mäzen in Erscheinung, der mit ausgesuchten prominenten und einflußreichen Personen wie Bill Clinton befreundeten Umgang pflegt. Er rief das "Abkommen von Chapultepec" ins Leben, das Partnerschaften von Staat und Privatwirtschaft bei der Finanzierung von Schulen und Krankenhäusern anmahnt und Tausenden Politikern, Geschäftsleuten und Intellektuellen Gelegenheit bot, sich als Mitunterzeichner einen wohlfeilen sozialen Deckmantel umzuhängen. Ebenso wie seine diversen Spenden und Stipendien, Interviews und Auftritte vor dem Kongreß blieb dieses Abkommen funktionaler Natur, da es Angriffsflächen abzubauen und zugleich eigene Zukunftsoptionen zu schaffen versprach.

Wie Slim aus eigener Erfahrung weiß, kann Geldbesitz für sich genommen fast von heute auf morgen verschwinden, während sich tatsächlicher Einfluß aus anderen Quellen speist. Er warnte im Oktober 2008, das Ausmaß der aktuellen Wirtschaftskrise übertreffe das der großen Depression von 1929. Kein einziges Land werde sich vor der globalen Krise schützen können. "Jetzt müssen Bankiers, Inhaber von Hypothekenfonds und deren Aktionäre leiden, wenn aber die Finanzkrise Industrie und Landwirtschaft erfaßt, werden alle leiden müssen", stellte der Multimilliardär damals fest. Die Abfolge der von ihm postulierten Leidenskette unterstreicht, daß er in Verkehrung der tatsächlichen Krisenfolgen die Wirtschaftseliten an vorderste Stelle rückt und die Drohung funktionalisiert, deren Rettung müsse im Angesicht des Verhängnisses aller Menschen absolute Priorität genießen. Ob sich Carlos Slim darüber hinaus bewußt ist, daß das Ende des Kapitalismus, wie wir ihn kennen, ein innovatives Regime der Herrschaftssicherung einläutet, das die schwindenden Sourcen des Überlebens unumkehrbar unter den Zugriff einer elitären Minderheit bringt, kann man nur mutmaßen.

Der nunmehr reichste Mensch der Welt gilt als klassischer Selfmademan, wobei dieser Begriff irreführender nicht sein könnte. Zwar kontrastiert er den Typus des neuzeitlichen Unternehmertums mit den über Generationen gehorteten Besitztümern von Dynastien, doch verschleiert er mit dem ideologischen Entwurf, es hande sich um die bewundernswerte persönliche Lebensleistung mutiger und entschlossener Individuen, um so mehr die damit untrennbar verbundene Ausbeutung und Verelendung zahlloser Proletarier. Während Slims Vater ein libanesischer Einwanderer und Ladenbesitzer war, betrieb sein Sohn nach einer Ausbildung zum Bauingenieur bald das lukrative Kerngeschäft, angeschlagene und staatliche Unternehmen billig aufzukaufen, um sie zu rationalisieren und mit enormem Gewinn wieder abzustoßen.

Von entscheidender Bedeutung waren dabei seine guten Beziehungen zur mexikanischen Regierung, die es ihm schließlich gestatteten, sich die lukrativsten Brocken unter den Nagel zu reißen. Im Zuge der Privatisierungswelle in den neunziger Jahren erwarb er die antiquierte staatliche Telefongesellschaft, wobei er ausländische Konkurrenten aus dem Feld schlug. Slim rationalisierte und modernisierte den Konzern mit Millionenaufwand und kontrolliert heute 90 Prozent des Festnetzes, während die Mobilfunktochter Telcel für fast 80 Prozent aller Handys verantwortlich zeichnet. Dies erlaubte es ihm wiederum, auch im Ausland zu investieren, so daß América Móvil inzwischen mit mehr als 100 Millionen Kunden der größte Mobilfunkbetreiber Lateinamerikas ist.

Der Multimilliardär besitzt zudem eine Industrieholding mit einer außerordentlich breit gestreuten Palette, die von Zementproduzenten, Minen und Baufirmen über Zigarettenhersteller, Eisenbahngesellschaften und Ausrüster der Ölindustrie bis hin zu Kaufhäusern und Supermärkten, Versicherungen und Immobilien reicht. Er ist an der Bank Inbursa beteiligt und besitzt Schätzungen zufolge mehr als 40 Prozent aller börsennotierten Unternehmen des Landes. Aus dieser unermüdlichen Expansion ging ein Wirtschaftsimperium hervor, das sich von Nord- bis Südamerika erstreckt.

Im Herbst 2008 stieg Carlos Slim bei der New York Times ein, wobei er den Verlag als ein attraktives Unternehmen bezeichnete, für das er einen guten Preis geboten habe. Er brachte damit zunächst 6,9 Prozent der Aktien in seinen Besitz und wendete Anfang 2009 mit einer Investition von 250 Millionen Dollar eine drohende Liquiditätskrise des schwer angeschlagenen Traditionsunternehmens ab, dem er damit Handlungsspielraum für die nächsten Monate verschaffte. Dabei ließ er sich den Kredit mit einer Laufzeit bis 2015 mit sagenhaften 14,1 Prozent verzinsen, und da diese Finanzspritze mit einem Bezugsrecht für Aktien verbunden war, stand es dem Mexikaner frei, seinen Anteil an der Times weiter aufzustocken und mit der Verlegerfamilie Ochs-Sulzberger nahezu gleichzuziehen. Damals machten Spekulationen die Runde, es gehe Slim nicht nur kurzfristig darum, eigene Verluste mit den Aktien in Grenzen zu halten, sondern darüber hinaus die Notlage des Konzerns zu nutzen, um dessen Kontrolle anzustreben. Künftig Einfluß auf dieses US-amerikanische Leitmedium zu nehmen, könnte eines Tages im Dienst der eigenen Imagepflege Gold wert sein.

Dies gilt um so mehr, als mit Carlos Slim der ominöse Titel des reichsten Menschen der Welt erstmals seit 1994 nicht an einen Bürger der USA oder besser gesagt Bill Gates und Warren Buffett geht. Vor 16 Jahren hatte der japanische Immobilientycoon Yoshiaki Tsutsumi das Rennen gemacht. Zwar leben laut "Forbes" mit 403 Milliardären nicht weniger als 40 Prozent der Superreichen in den Vereinigten Staaten, doch beschert die prominente Führungsposition dem Mexikaner einen Grad an Aufmerksamkeit, auf die er offensichtlich keinen Wert legt. Man lasse deswegen keine Sektkorken knallen, denn das sei doch nur eine Zahl, von einem Magazin verkündet, spielte sein Schwiegersohn Elias Ayub, der häufig als Sprecher des Milliardärs auftritt, die aktuelle Meldung herunter: "Das geht uns nichts an, macht uns aber auch keine Sorgen." [2]

Der reichste Mann der Welt habe die Bodenhaftung nie verloren und sei bescheiden geblieben, kann man dieser Tage lesen, als sei die Comicfigur Dagobert Duck mit ihrem exzentrischen und misanthropischen Charakter diesbezüglich das Maß aller Dinge. Carlos Slim trage preisgünstige Anzüge und steuere sein Wirtschaftsimperium von einem altbackenen Büro im Stil der siebziger Jahre, ist da zu erfahren. Er sei ein stiller Genießer, der leidenschaftlich gerne Baseballspiele verfolge, Zigarren nicht abgeneigt sei und allenfalls insofern zu einem gewissen Luxus neige, als seine Kunstsammlung unter anderem Werke des französischen Bildhauers Auguste Rodin enthält. So zieht man die Figur des Carlos Slim endgültig auf Boulevardniveau herab, das sich an den Schräglagen der Superreichen ergötzt, als sei deren unermeßlicher Reichtum ein amüsanter Witz, der mit dem Elend von Millionen nicht das geringste zu tun hat.

Anmerkungen:

[1] Mexikaner Slim laut "Forbes"-Liste reichster Mensch der Welt (11.03.10)
http://de.news.yahoo.com/2/20100311/ten-mexikaner-slim-laut-forbes-liste-rei-1dc2b55.html

[2] Der reichste Mann der Welt ist bescheiden geblieben (11.03.10)
http://de.news.yahoo.com/1/20100311/twl-der-reichste-mann-der-welt-ist-besch-1be00ca.html

11. März 2010