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LATEINAMERIKA/2369: Mexikos Hauptproblem sind nicht die Kartelle (SB)


"Antidrogenkampf" aus der strategischen Giftküche Washingtons


Beim "Antidrogenkampf" der US-Administration handelt es sich um einen vor Jahrzehnten in Stellung gebrachten und seither vervollkommneten strategischen Entwurf der Intervention, der als ideologischer Vorläufer des "Antiterrorkriegs" letzteren vor allem in Lateinamerika ersetzt oder flankiert. Die Bekämpfung des internationalen Drogenhandels mit staatsübergreifenden und überstaatlichen Instrumenten militärischer, polizeilicher und geheimdienstlicher Provenienz liefert dabei den Vorwand, unter Mißachtung und Aushebelung der Souveränitätsrechte und -ansprüche der betreffenden Länder massiv Einfluß auf deren politische Entwicklung und die daraus resultierenden Widersprüche und Konflikte zu nehmen.

Mit Blick auf die künftige Herrschaftssicherung, die mangels ausreichender Sourcen für die gesamte Menschheit das Überleben der Eliten zu Lasten von Milliarden verdurstender, verhungernder und Krankheiten erliegender Bewohner einer rasant wachsenden inneren und äußeren Peripherie sichern soll, werden Vorkehrungen getroffen, die ausbrechende Hungerrevolte im Keim zu ersticken, einzudämmen oder fernzuhalten. Mexiko kommt dabei aus Perspektive der Vereinigten Staaten die Pufferfunktion zu, als vorgelagerte Bastion die näherrückenden Auseinandersetzungen aufzuhalten, indem die Insurgenz niedergeschlagen oder notfalls zur Explosion gebracht wird, bevor sie auf die USA übergreifen kann.

Insbesondere der Norden Mexikos ist heute ein soziales und zunehmend auch militärisches Kriegsgebiet, das sowohl unter historischen Gesichtspunkten als auch hinsichtlich aktueller Entwicklungen als latentes Pulverfaß charakterisiert werden kann, in dem Ausbeutung und Unterdrückung immer wieder zu Konflikten und Aufstandsbewegungen führten. Vor hundert Jahren bildeten landlose Tagelöhner und vertriebene Kleinbauern den Kern von Pancho Villas Revolutionsarmee, der ebenso wie Francisco Madero, Venustiano Carranza und Alvaro Obregon seine Truppen nach Süden führte, um die Macht zu übernehmen. Im Jahr 1965 besetzte Arturo Gamiz mit zwölf weiteren Rebellen eine Armeekaserne in Ciudad Madero, Chihuahua, wobei alle dreizehn getötet wurden. Unter den fünfzehn bewaffneten Gruppen, die in den siebziger Jahren in Mexiko aktiv waren, galt die Kommunistische Liga des 23. September in Monterrey, deren Name sich vom Datum des Angriffs der Gruppe um Arturo Gamiz herleitete, als die bedeutendste. Aus den ebenfalls in Monterrey beheimateten Nationalen Befreiungsstreitkräften (FLN) ging später die EZLN in Chiapas hervor. [1]

Im Zuge seiner Mitgliedschaft als weitaus schwächster Partner in der Nordamerikanischen Freihandelszone (NAFTA) bezahlte Mexiko die erhoffte Teilhaberschaft in Kumpanei mit dem größten Räuber insbesondere mit dem millionenfachen Ruin kleinbäuerlicher Existenzen, der auch den kargen Norden heimsuchte und die dort herrschende Not vertiefte. Das Versprechen massenhafter neuer Arbeitsplätze in der Maquila erwies sich binnen weniger Jahre als kurzlebige Scheinblüte, als der Niedriglohnsektor der Fertigungsindustrie von mittelamerikanischen Ausbeutungsstätten und insbesondere chinesischen Minimalentgelten unterboten wurde. Hinzu kam in jüngerer Zeit die weltweite Systemkrise des Kapitalismus, die Mexiko angesichts seiner extremen Exportabhängigkeit von den USA in eine tiefe Rezession stürzte.

Da sich zahllose Menschen namentlich im Norden Mexikos weder als Kleinbauern, noch als Lohnarbeiter über Wasser halten können, bleibt vielfach nur eine Beteiligung am Drogengeschäft als einzig nachhaltige Erwerbsmöglichkeit. Schätzungen zufolge verdient inzwischen eine halbe Million Mexikaner ihren Lebensunterhalt in dieser Branche, die sich daher weniger denn je auf mehr oder minder eindeutig umschriebene Kartelle eingrenzen läßt. Seitdem sich die brutalen Übergriffe der von der Regierung entsandten Truppen häufen, wächst zudem in den nördlichen Bundesstaaten die Aversion gegen die Streitkräfte und Administration Präsident Felipe Calderóns, weshalb eine Insurgenz, die sich aus dieser Gemengelage entwickelt, keineswegs auszuschließen ist.

Daß Drogenkartelle und Guerillagruppen in dieser Region Verbindungen eingehen und die Grenze in nördlicher Richtung überqueren könnten, ist mithin eine seit Jahren von der US-Heimatschutzbehörde konstruierte Gefahrenlage und Bezichtigung, die eines Tages Realität werden könnte. Die Präsidenten George W. Bush und Felipe Calderón unterzeichneten 2007 die Merida-Initiative, die angesichts ihrer Parallelen zum Kolumbienplan der US-Regierung häufig auch als Plan Mexiko bezeichnet wird. Washington finanziert die innere Kriegsführung beider Länder gegen Drogenhandel und Insurgenz - wobei letztere stets das eigentliche Ziel bleibt - und macht die Administrationen in Bogotá und Mexiko-Stadt zu ihren engsten Verbündeten in Lateinamerika.

Das ist zwangsläufig mit einer wachsenden US-Präsenz verbunden, die in Kolumbien in der Nutzung von sieben Militärstützpunkten durch die US-Streitkräfte ihren vorläufigen Höhepunkt fand, während die mexikanische Regierung mit Rücksicht auf den Sturm der Entrüstung, der andernfalls losbrechen würde, nicht offiziell zugibt, daß diverse US-Behörden mit Agenten in wachsender Zahl im Land tätig sind. Eine Situationsanalyse des Pentagons und des US-Generalstabs von 2008 stufte Mexiko als potentiell gescheiterten Narcostaat ein, womit der präventiven Infiltration des Nachbarlands endgültig Tür und Tor geöffnet wurde.

Schon seit den Anschlägen des 11. September 2001 in New York und Washington ist die Zahl der Agenten von FBI und Drug Enforcement Administration (DEA) in Mexiko dramatisch gestiegen, wobei Art und Umfang ihrer Tätigkeit nie Gegenstand offizieller Verlautbarungen war. Auf Grundlage weitreichender Abkommen wie der Merida-Initiative oder des North American Security & Prosperity Agreement ist eine enge Zusammenarbeit der Behörden beider Länder möglich, wobei die Regierung Calderón zwar eine Kooperation bei der Bekämpfung des Drogenhandels einräumt, jedoch jede unmittelbare Beteiligung US-amerikanischer Agenten etwa an der vor kurzem erfolgten Festnahme hochrangiger Bosse in Mexiko vehement bestreitet.

Seit dem Amtsantritt des konservativen Präsidenten Felipe Calderón im Jahr 2006 hat sich der Kampf gegen die Drogenkartelle zu einem Krieg ausgeweitet, dem bislang geschätzte 19.000 Menschen zum Opfer gefallen sind. Der Staatschef hat gerade die nördliche Grenzstadt Ciudad Juárez besucht, die mit 4.600 Morden in zwei Jahren zu den gefährlichsten Mexikos zählt. [2] Für die Mehrheit der Mexikaner, deren Land in der Vergangenheit so oft von Truppen des nördlichen Nachbarn besetzt und portionsweise annektiert worden ist, scheint es dennoch unannehmbar zu sein, immer neue Verletzungen der nationalen Souveränität widerspruchslos hinzunehmen. Dies als falschen Nationalstolz zu diskreditieren, hieße die Augen vor der Genese der verheerenden Probleme Mexikos zu verschließen.

Anmerkungen:

[1] Drugs, Guns and Money. Phantom of Mexican Narco-Guerrillas Haunts U.S. Security Chiefs (12.-14.03.10)
Counterpunch

[2] Mexiko: USA im Visier der Rauschgiftkartelle (15.03.10)
http://diepresse.com/home/panorama/welt/546464/index.do?_vl_backlink=/home/panorama/welt/index.do

16. März 2010