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LATEINAMERIKA/2377: Bogotá verweigert humanitäres Abkommen mit den Rebellen (SB)


FARC-Guerilla läßt langjährigen Gefangenen Moncayo frei


Warum sich die kolumbianische Regierung notorisch weigert, ein humanitäres Abkommen mit der Guerillaorganisation FARC zu unterzeichnen, liegt auf der Hand. Dies würde bedeuten, die Rebellen gemäß dem Kriegsrecht anzuerkennen, worauf die inhaftierten Gegner auf beiden Seiten als Kriegsgefangene behandelt werden müßten. Da Bogotá im Gleichschritt mit Washington die Guerilla als "Terrororganisation" diskreditiert und darauf besteht, den sozialen und bewaffneten Konflikt allein mit militärischen Mitteln zu beenden, ist der Verhandlungsweg für Präsident Álvaro Uribe und dessen Administration eine Option, die mit allen Mitteln ausgeschlossen werden muß.

Im Mai wird in Kolumbien ein neuer Präsident gewählt, wobei der Uribe-Vertraute und ehemalige Verteidigungsminister Juan Manuel Santos als aussichtsreichster Kandidat gilt. Er erteilte einer Verhandlungslösung bereits eine Absage indem er erklärte, er werde auf keinem Fall Geiseln gegen Gefangene austauschen. Während aus dieser weithin geteilten Perspektive inhaftierte Rebellen als "terroristische" Straftäter klassifiziert werden, besteht man darauf, die Gefangenen in Händen der Guerilla als "entführte" oder "verschleppte" Personen zu bezeichnen, die den Rebellen als "Geiseln" dienen. Die Leugnung des Bürgerkriegs dient dem Zweck, den Rebellen jegliches soziale oder politische Anliegen abzusprechen und ihren jahrzehntelangen Kampf als verbrecherisch zu diffamieren.

Die Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC) haben binnen weniger Tage auch den zweiten Soldaten ohne Gegenleistung des Staates freigelassen. Pablo Emilio Moncayo, der bei einem Überfall auf seinen Stützpunkt am 21. Dezember 1997 im Alter von 19 Jahren gefangengenommen worden war und sich damit mehr als zwölf Jahre in der Gewalt der Rebellen befunden hatte, wurde an einem geheimen Ort Vertretern des Roten Kreuzes und Vermittlern des Parlaments übergeben. Wenige Stunden später sah der 32jährige seine Familie wieder, als er auf dem Flughafen seiner Heimatstadt Florencia, 580 Kilometer südlich der Hauptstadt Bogotá, von seinen Eltern und vier Schwestern empfangen wurde. [1]

Die Delegation mit der oppositionellen Senatorin und Vermittlerin Piedad Córdoba sowie Vertretern des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) und der katholischen Kirche hatte Moncayo mit einem von der brasilianischen Armee bereitgestellten Hubschrauber abgeholt. Durch das schlechte Wetter und verwirrende Angaben der FARC zum Übergabeort hatte sich die Aktion verzögert, so daß die Vermittler befürchteten, mit leeren Händen zurückkehren zu müssen. [2]

In der Vergangenheit hatte die Armee des öfteren ein Scheitern der Übergabe von Gefangenen provoziert, indem sie Sicherheitsgarantien nicht einhielt und in unmittelbarer Nähe Militärbewegungen durchführte oder Kampfjets in geringer Höhe über das Gebiet fliegen ließ. Daher mußten die Rebellen auch im aktuellen Fall zunächst einem Sicherheitsprotokoll zustimmen, in dem der Ablauf der Übergabe genau festgelegt war. [3]

Moncayos Fall erhielt vor allem wegen des unermüdlichen Einsatzes seines Vaters internationale Aufmerksamkeit. Gustavo Moncayo hatte sich als "Wanderer für den Frieden" symbolische Ketten um Hals und Handgelenke angelegt, mit denen er Tausende Kilometer zu Fuß zurücklegte, um für die Freilassung der Gefangenen und Verhandlungen zwischen der FARC und der Regierung zu demonstrieren. Er durchquerte neben Kolumbien auch Ecuador und Venezuela, war in Frankreich, Spanien und Deutschland unterwegs und wurde 2007 sogar von Papst Benedikt XVI. in Rom empfangen.

Nach seiner Freilassung dankte Moncayo Gott und seinem Vater, der "mit seiner titanischen und unermüdlichen Arbeit" die Erinnerung an seine Geiselhaft wachgehalten habe. Er sprach auch den Präsidenten von Ecuador, Venezuela und Brasilien seinen Dank für ihre Mithilfe bei seiner Freilassung aus. "Ich muß euch sagen, daß der Empfang sehr schön war, daß es mir eine Ehre war, euch alle zu sehen. Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie schön es ist, wieder die Zivilisation zu sehen", fügte er hinzu.

Moncayo sagte weiter: "Das ist es, was wir wollen, kämpfen, diesen Raum nutzen. Hoffentlich hört das auch der Präsident, um ihn einzuladen, hoffentlich hören das die Guerilleros, die wir ebenfalls einladen möchten, um innezuhalten und nachzudenken über alle Probleme, die der Krieg in Kolumbien geschaffen hat, die Schmerzen und die Leiden der Entführten, um für sie zu kämpfen, einen Ehrenpakt zu schließen, damit sie wieder in Freiheit kommen." Nach seiner kurzen Ansprache nahm Emilio Moncayo, der einen gesunden und stabilen Eindruck machte, seinem Vater demonstrativ die Ketten ab. [4]

Zuvor hatten die FARC-Rebellen bereits den im vergangenen April gefangengenommenen 22jährigen Soldaten Josué Daniel Calvo freigelassen. Zudem erhielt Senatorin Córdoba die Koordinaten für eine dritte Operation, bei der die sterblichen Überreste des 2006 in Gefangenschaft gestorbenen Majors Julian Guevara übergeben werden sollen. Nun hat die Guerillaorganisation noch 21 Soldaten oder Polizisten in ihrer Gewalt, darunter den 33 Jahre alten Unteroffizier Libio José Martinez, der 1997 gemeinsam mit Moncayo in ihre Hände gefallen war. Diese Gefangenen will die FARC gegen rund 500 inhaftierte Rebellen austauschen.

Wie viele Gefangene sich derzeit in der Gewalt der Guerilla befinden, variiert je nach Quelle erheblich. Nach Angaben der Nationalstiftung für persönliche Freiheitsrechte sind es bei der FARC neben den 21 Angehörigen der Sicherheitskräfte noch 27 Zivilisten. Hinzu kommen Entführte in Händen des kleineren Nationalen Befreiungsheers sowie krimineller Organisationen. Hingegen geht die NGO Pais Libre von mindestens 136 Gefangenen aus. [5]

Der Friedensbeauftragte der kolumbianischen Regierung, Frank Pearl, kritisierte den Fernsehsender Telesur mit Sitz in Caracas wegen der Veröffentlichung von Bildern und Videomaterial, die Moncayo zusammen mit Senatorin Córdoba zeigen. Pearl berief sich dabei auf eine Übereinkunft, der zufolge die Übergabe diskret erfolgen sollte, und erklärte, die Regierung verurteile es, daß sich Medien wie Telesur in den Dienst der Propaganda für eine "Terrororganisation" stellten. Telesur wies diesen Vorwurf in einer Stellungnahme zurück und teilte mit, das fragliche Material sei nicht von eigenen Journalisten aufgenommen, sondern dem Sender und anderen Medien elektronisch zugesandt worden. Zugleich bezeichnete Telesur die Reaktion der kolumbianischen Regierung als "unverantwortlich".

Der Kommandeur der FARC, Alfonso Cano, ließ bei der Übergabe Moncayos die Botschaft übermitteln, man sehe durch die unilateralen Freilassungen nun den Weg zu einem Gefangenenaustausch geebnet. Zugleich machten die Rebellen deutlich, daß sie ohne Entgegenkommen der Regierung keine Gefangenen mehr freilassen werden. Senatorin Piedad Córdoba teilte mit, daß sie bei der Übergabe den Kommandanten nach Interessen und Bestreben der FARC befragt habe. Die Rebellen seien daran interessiert, weiter mit der Regierung zusammenzuarbeiten. Daraufhin habe sie selbst betont, daß es in der Regierung der Präsident sei, der dies tun müsse. "Und so denke ich, daß wir vor Ablauf seiner Amtszeit über den Austausch von Gefangenen reden können", schloß Córdoba.

Präsident Álvaro Uribe, der einen Austausch seit Jahren abgelehnt und auf eine militärische Befreiung gesetzt hat, gab sich hocherfreut über die Freilassung Moncayos. Vor Studenten in der nordöstlichen Stadt Cúcuta dankte er Brasilien, dem Roten Kreuz und der katholischen Kirche - nicht jedoch Venezuela und Ecuador - für ihre Kooperation und erklärte, Kolumbien empfange alle freigelassenen Geiseln mit offenen Armen und verurteile die Entführer.

Uribe erklärte sich offensichtlich aus taktischen Erwägungen zu einem Austausch bereit, doch stellte er zugleich Bedingungen, die für die Rebellen unerfüllbar sind: Inhaftierte Guerilleros sollen nur dann freikommen, wenn sie der FARC abschwören und das Land verlassen. Daß es noch vor dem nahen Ende seiner zweiten Amtszeit im August zu einem Austausch der beiderseitigen Gefangenen kommt, ist daher ebenso unwahrscheinlich wie ein baldiger Durchbruch unter seinem Nachfolger, selbst wenn es sich beim Wahlsieger nicht um Uribes Wunschkandidaten Manuel Santos handeln sollte. Die über Jahrzehnte systematisch betriebene Verteufelung der Guerilla läßt sich nicht über Nacht rückgängig machen, weshalb auch der künftige Präsident Kolumbiens entweder keine Neigung verspüren oder davor zurückschrecken dürfte, das Rad der Bezichtigung zurückzudrehen.

Anmerkungen:

[1] Kolumbien. Geisel nach 12 Jahren freigelassen http://www.focus.de/panorama/vermischtes/kolumbien-geisel-nach-12-jahren-freigelassen_aid_494778.html

[2] Kolumbien. Farc-Geisel Moncayo kommt nach 12 Jahren frei (31.03.10)
http://www.welt.de/politik/ausland/article6997939/Farc-Geisel-Moncayo-kommt-nach-12-Jahren-frei.html

[3] Countdown für die Freiheit (31.03.10)

Neues Deutschland

[4] FARC lässt entführten Unteroffizier frei. Freiheit nach zwölf Jahren Geiselhaft (31.03.10)
http://www.tagesschau.de/ausland/kolumbienfarc100.html

[5] Colombian Rebels Free Soldier Held for 12 Years (30.03.10)
New York Times

1. April 2010