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LATEINAMERIKA/2413: Uribes fatales Abschiedsgeschenk - Haltlose Bezichtigung Venezuelas (SB)


Scheidender kolumbianischer Staatschef tritt noch einmal nach


Zu den wichtigsten außenpolitischen Zielen des scheidenden kolumbianischen Staatschefs Alvaro Uribe gehörte die Diskreditierung und Schwächung des venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez, womit er sich auch in dieser Hinsicht als bestmöglicher Statthalter der Vereinigten Staaten in seinem Land erwies, das Washington als Brückenkopf in Südamerika dient. Welche Anstrengungen Uribe unternimmt, um über das Ende seiner Amtszeit hinaus Einfluß auf die Regierungspolitik seines Landes zu nehmen und seinen Intimfeind in Caracas zu schädigen, unterstreicht die jüngste Bezichtigungskampagne. Sie bedient sich des seit Jahren erhobenen Vorwurfs, Chávez finanziere und beherberge kolumbianische Guerillaorganisationen, womit er sich der Unterstützung des "internationalen Terrorismus" schuldig mache. Diese durch keinerlei stichhaltige Beweise unterfütterte Propaganda zielt letzten Endes darauf ab, die Position der venezolanischen Führung zu erschüttern, das Nachbarland zu isolieren und den USA eine Vorlage für die Verhängung von Sanktionen zu liefern.

Auf Antrag der kolumbianischen Regierung soll sich die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) morgen mit der von Bogotá unterstellten Präsenz führender Aktivisten der Guerillaorganisationen FARC und ELN in Venezuela befassen. Angeblich wurden dort hochrangige Kämpfer geortet, darunter auch Iván Márquez, der mutmaßliche Befehlshaber des Nordwest- und Karibikblocks der FARC, sowie der im vergangenen Jahr aus kolumbianischer Haft entflohene ELN-Kommandeur "Pablito". Vor einigen Tagen hatte die kolumbianische Regierung auf einer Pressekonferenz behauptet, sie verfüge über Beweise für die Anwesenheit der Rebellen in Venezuela. Der OAS will Bogotá ein Dossier vorlegen, das zehn Videos, die Aussagen von zwölf ehemaligen Guerilleros, rund 20 Fotoaufnahmen und Koordinaten von angeblichen Stützpunkten auf venezolanischem Staatsgebiet enthält. [1]

Daß es sich um einen konstruierten Vorwurf mit absehbarer Intention handelt, unterstreicht das Eingeständnis der kolumbianischen Regierung, die Dokumente seien schon bis zu vier Jahre alt. Wie dieser Umstand belegt, handelt es sich um eine haltlose Bezichtigung, für die das Material offenbar fabriziert wurde. Anders ist kaum zu erklären, warum Uribe nicht schon damals Gebrauch davon gemacht hat und erst wenige Tage vor dem Ende seiner Präsidentschaft damit herausrückt. Er wolle nicht aus dem Amt scheiden, ohne dieses Problem deutlich gemacht zu haben, lautete die unglaubwürdige Erklärung, die er kürzlich bei einer ersten Präsentation des Materials vortrug.

Er hatte seinen Verteidigungsminister Gabriel Silva angewiesen, Medienvertretern die Videoaufnahmen vorzulegen. Angeblich stammen die Bilder aus der Sotaima-Schneise im venezolanischen Bundesstaat Táchira, rund zwei Dutzend Kilometer vor der kolumbianischen Grenze. Daß sich mehrere hochrangige Mitglieder der Guerillaorganisationen FARC und ELN in Venezuela aufhalten, erschloß sich daraus jedoch nicht, zumal die Videos, die seit 2007 vom kolumbianischen Geheimdienst zusammengetragen worden sein sollen, nicht öffentlich gemacht, sondern nur ausgewählten Medienvertretern vorgeführt wurden.

Obgleich es kolumbianischen Regierungen seit Jahrzehnten nicht gelungen ist, den genauen Aufenthaltsort von hochrangigen Kommandanten der Guerilla im eigenen Land zu ermitteln, will der aktuellen Führung in Bogotá das im Nachbarland Venezuela gelungen sein. Wie der ehemalige venezolanische Verteidigungsminister und Vizepräsident José Vicente Rangel im Interview mit dem lateinamerikanischen Fernsehsender Telesur sagte, habe Kolumbien bereits zu seiner Zeit ähnliche Anschuldigungen erhoben. Bogotá habe sogar die Koordinaten angeblicher Guerillacamps genannt, was sich bei Überprüfung jedoch stets als Fehlinformation herausgestellt habe. Seines Erachtens gehe es Uribe darum, Dialogangebote der designierten Außenministerin María Angela Holguín an Venezuela zu torpedieren. [2]

Auch in Kolumbien selbst löst Uribes fatales Abschiedsgeschenk Bedenken aus. Der designierte Staatschef JuanðManuel Santos hatte soeben erste Schritte unternommen, um die angespannten Beziehungen zum Nachbarland zu normalisieren, und Hugo Chávez zu seiner Amtseinführung am 7. August eingeladen. Santos vermied es zwar, die amtierende Regierung offen zu kritisieren, doch erklärte sein künftiger Vizepräsident Angelino Garzón, man werde nach Wegen suchen, den direkten Kontakt zum Nachbarland wiederherzustellen, um die Beziehungen mit Venezuela zu verbessern.

Expräsident Ernesto Samper sagte im Rundfunksender Caracol, es gebe offenbar ein Interesse daran, den von Santos angestoßenen Prozeß einer Entspannung zu behindern. Sampers Nachfolger Andrés Pastrana machte seinem Unverständnis Luft, warum die Regierung weniger als drei Wochen vor ihrem Ausscheiden Beweise vorlegt, die sie angeblich seit Jahren besitzt, jedoch bislang nicht einmal dem Beratenden Regierungsausschuß für auswärtige Beziehungen vorgelegt hat.

Obgleich Santos als Verteidigungsminister Uribes dessen Kurs bruchlos mitgetragen hat und für zahlreiche Untaten politisch verantwortlich ist, gilt er doch im Unterschied zu seinem Vorgänger nicht als machthungriger Kriegsherr mit Verbindungen zu Paramilitärs und anderen einflußreichen Fraktionen der kolumbianischen Eliten. Der neue Staatschef favorisiert offenbar einen weniger fanatischen und dafür pragmatischen Kurs konservativer Politik, die nicht zuletzt darauf Rücksicht nimmt, daß die Krise mit Venezuela auch die kolumbianische Wirtschaft in Mitleidenschaft zieht. Diese verzeichnete in den letzten Monaten Exportausfälle in Höhe von rund sechs Milliarden US-Dollar im Handel mit dem Nachbarland.

Die Provokation Uribes führte dazu, daß Venezuela seinen Botschafter zu Konsultationen zurückrief. Auch ein völliger Abbruch der diplomatischen Beziehungen zum Nachbarland wurde in Caracas nicht ausgeschlossen. Die venezolanische Regierung hatte Ende Juli vergangenen Jahres schon einmal den Botschafter aus Kolumbien zurückbeordert und mit dem völligen Abbruch der Beziehungen gedroht. Dem war damals die Behauptung Uribes vorangegangen, Venezuela unterstütze die FARC-Rebellen mit Waffen. Im aktuellen Fall erklärte das venezolanische Außenministerium, man reagiere mit dieser Maßnahme auf die "Lügen und Unwahrheiten", welche die kolumbianische Regierung unter Präsident Alvaro Uribe verbreitet habe. [3]

Außenminister Nicolás Maduro übergab der kolumbianischen Botschafterin in Caracas, María Luisa Chiappe, eine Protestnote. Eine Überprüfung habe die Vorwürfe nicht bestätigt, sagte Maduro, der zugleich auf eine Reihe vergleichbarer Fehlinformationen in der Vergangenheit verwies. Die Regierung Uribes habe schon einmal behauptet, daß Venezuela Mitglieder der FARC beherberge und Uran weiterverarbeite, was sich beides als haltlos erwies. [4]

Präsident Hugo Chávez erklärte am Sonntag in seiner wöchentlichen Radio- und Fernsehsendung "Aló Presidente", der scheidende kolumbianische Staatschef Alvaro Uribe versuche offenbar, die bilateralen Beziehungen kurz vor Ende seiner Amtszeit am 7. August irreparabel zu beschädigen. Venezuela befinde sich derzeit "in Alarmzustand" und werde eine Verletzung seiner territorialen Souveränität durch Kolumbien unter keinen Umständen zulassen. Chávez erinnerte daran, daß man im Nachbarland Pedro Carmona Schutz gewährt, der an der Spitze des Putschversuchs vom April 2002 stand und nach Kolumbien geflüchtet war. Auch verwies er auf die Verbalattacken des Lateinamerikabeauftragten der US-Regierung, Arturo Valenzuela, und zog eine Verbindung zu den sieben US-Militärstützpunkten, die im vergangenen Jahr auf kolumbianischem Territorium eingerichtet wurden. Die Aussage des venezolanischen Präsidenten, Uribes Vermächtnis lasse sich nur im Kontext der Interessen Washingtons angemessen entschlüsseln, kann man nur unterstreichen.

Anmerkungen:

[1] Schweres Erbe. Wenige Wochen vor ihrem Abtritt verschärft Kolumbiens Regierung ihre Angriffe auf Venezuela (21.07.10)
junge Welt

[2] Vorbehalte gegen Uribes "Guerillavideos". Scheidender Präsident unterstellt venezolanischer Führung Duldung von Rebellengruppen. Herkunft und Beweiskraft der Aufnahmen unklar (16.07.10)
amerika21.de

[3] Venezuela zieht wieder Botschafter aus Kolumbien ab. Reaktion auf "Lügen und Unwahrheiten" Bogotás (16.07.10)
NZZ Online

[4] Venezuela warnt vor Eskalation. Regierung in Caracas befürchtet Zuspitzung in letzten Tagen der Uribe-Führung. Warnung vor Verletzung der Grenze an Bogota (19.07.10)
amerika21.de

21. Juli 2010