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LATEINAMERIKA/2415: Uribe will Speerspitze des Hegemons bleiben (SB)


Bezichtigung Venezuelas im Kontext der Kumpanei mit Washington


Kolumbiens scheidender Präsident Alvaro Uribe hat sein Land tiefer denn je in das Bündnis mit den Vereinigten Staaten geführt und zu einem Brückenkopf Washingtons in Südamerika ausgebaut. Finanziell abhängig von der milliardenschweren Militärhilfe im Rahmen des "Plan Colombia" - eines strategischen Entwurfs zur Unterwerfung der Guerillabewegungen und Liquidierung aller Ansätze einer tiefgreifenden gesellschaftlichen Umgestaltung - bekannte er sich rückhaltlos zur Doktrin des "Antiterrorkriegs". Damit beteiligte er sich nicht nur aktiv am globalen Feldzug der USA und ihrer Verbündeten, sondern bettete den Kampf gegen die kolumbianischen Rebellen in diese Kriegsführung ein, die er damit nach Lateinamerika holte.

Uribe profitierte in hohem Maße von dieser Kumpanei, die ihn maßgeblich davor bewahrte, jemals wegen seiner früheren Kontakte zu dem Drogenbaron Pablo Escobar und seiner bis heute anhaltenden Zusammenarbeit mit Paramilitärs zur Rechenschaft gezogen zu werden. Selbst als sein engstes persönliches und politisches Umfeld durch Festnahmen, Anklageerhebungen und Verurteilungen wegen der Kooperation mit Todesschwadronen dutzendfach dezimiert wurde, perlten Vorwürfe gegen ihn selbst ab wie Regen von einer Ölhaut. Er verfügt über sorgsam ausgebaute Beziehungen zu verschiedenen einflußreichen Machtgruppen in seinem Land, die ihn hinter der Maske des modernen Politikers zu einem gefürchteten und nahezu unangreifbaren Kriegsherrn machen. Diese Kombination aus einer weit über formale politische Legitimationsprozesse hinausgehenden Stärke und der Umsetzung US-amerikanischer Hegemonialinteressen in vorderster Front ist seine eigene Lebensversicherung wie auch die Gewähr für Washington, in dem von Uribe zugerichteten Kolumbien über eine Speerspitze in dieser Weltregion zu verfügen.

Die Vereinigten Staaten machen im Namen ihrer nationalen Sicherheit massive Zugriffsinteressen in Lateinamerika geltend, dessen Bodenschätze, Wasserreichtum, Nahrungsreserven und biologische Vielfalt in einer Welt dramatisch schwindender Ressourcen für ihre Überlebenssicherung auf höchstem Niveau unverzichtbar sind. Regierungen und Bewegungen, die sich gegen die Dominanz der USA stemmen und eine eigenständige Entwicklung auf Grundlage einer selbstbestimmten Bündnispolitik anstreben, nimmt Washington als potentielle Ziele eines Angriffs ins Visier, der mit einer breiten Palette interventionistischer Werkzeuge vorgetragen wird.

Wenn der venezolanische Präsident Hugo Chávez nicht müde wird, auf die Aggression der USA hinzuweisen und vor einer militärischen Intervention zu warnen, schätzt er die Bedrohungslage durchaus realistisch ein. Ihn als Hitzkopf und Unruhestifter zu diskreditieren, der nur von den Problemen im eigenen Land ablenken wolle und deswegen alle Konflikte gefährlich aufbausche, ist Bestandteil einer unablässig vorgetragenen Diffamierungskampagne, die ihn in die Defensive zwingen und seinen Einfluß im regionalen Umfeld beschneiden soll.

Uribes Abschiedsgeschenk an Chávez in Gestalt der fabrizierten und gezielt lancierten Bezichtigung, der venezolanische Staatschef beherberge Führungskader der kolumbianischen Guerilla in seinem Land, ist weit mehr als ein letztes Nachtreten unter alten Feinden. Der Präsident Kolumbiens muß nach zwei Amtszeiten seinen Posten räumen, doch heißt das keineswegs, daß seine Ära damit zwangsläufig beendet wäre. Offenbar ist er entschlossen, sein Werk mit anderen Mittel fortzusetzen und womöglich in vier Jahren in den Präsidentenpalast zurückzukehren. Daher muß ihm daran gelegen sein, seinen Nachfolger zu einem Platzhalter zu degradieren, der den alten Kurs fortsetzt.

Manuel Santos, der am 7. August das Präsidentenamt antritt, war in der Vergangenheit als Verteidigungsminister Uribes dessen getreuer Bluthund, der keine Handbreit von der Seite seines Herrn wich. Als Wunschnachfolger Uribes machte er problemlos das Rennen, schlug aber als designierter Staatschef überraschend moderate Töne in Hinblick auf Venezuela an, mit dessen Regierung er eine Entspannung herbeiführen wollte. Uribes Initiative ist nicht zuletzt ein Schuß vor den Bug seines Nachfolgers, dem er die Versöhnungsgesten zumindest fürs erste austreiben will. Auf wessen Mist der jüngste Komplott im einzelnen gewachsen ist, läßt sich natürlich nicht mit Sicherheit sagen. Ihn bedenkenlos als Alleingang Uribes auszulegen, könnte sich als trügerisch erweisen. Die kolumbianische Führung hat bei entscheidenden Operationen in der Vergangenheit wie dem Angriff auf das Lager der FARC in Ecuador im März 2008 eng mit US-amerikanischen Militärs und Geheimdiensten zusammengearbeitet. Nichts spricht dafür, daß sich das seither geändert haben sollte.

Venezuelas Präsident Hugo Chávez hat seine eindringliche Warnung vor einem möglichen Krieg mit dem Nachbarland Kolumbien erneuert. Wie er in Caracas unter Verweis auf Geheimdienstinformationen sagte, sei die Gefahr eines bewaffneten Angriffs auf Venezuela so hoch wie noch nie in den vergangenen Jahren. "Wir sind bereit, die Souveränität und den Stolz unseres Landes zu verteidigen, koste es, was es wolle", erklärte Chávez in einer Fernsehansprache. Die USA seien allein schuld an der angespannten Situation, da die kolumbianische Regierung schon seit langem ihre Souveränität verloren habe, sagte er in Anspielung auf das 2009 zwischen Kolumbien und den USA geschlossene Militärabkommen. Sollte es zu einem Angriff auf sein Land kommen, werde man sämtliche Öllieferungen in die Vereinigten Staaten einstellen: "Selbst wenn wir hier Steine essen müssen, würden wir keinen Tropfen Öl mehr liefern!" [1]

Die Provokationen aus Bogotá dienten seines Erachtens dazu, die internationale Gemeinschaft auf eine direkte militärische Intervention der USA mit dem Ziel seiner Entführung oder Ermordung und des Sturzes der venezolanischen Regierung vorzubereiten. Chávez verwies in diesem Zusammenhang auf die Entsendung von 46 US-Kriegsschiffen mit Hubschraubern, Kampfflugzeugen und 7.000 US-Marines nach Costa Rica, dessen Parlament am 1. Juli die Stationierung dieser Truppen genehmigt hat. Die offizielle Version, es gehe dabei um den Kampf gegen den Drogenhandel, ist angesichts der Art und Größe dieser Streitmacht völlig unglaubwürdig. Offensichtlich bringt Washington militärische Kapazitäten in Stellung, die einem Angriffskrieg gegen als feindlich eingestufte Staaten oder deren Regierungen dienen sollen. [2]

Am vergangenen Donnerstag hatte Chávez die diplomatischen Beziehungen zu Kolumbien abgebrochen und die Truppen entlang der gut 2.200 Kilometer langen Grenze in Alarmbereitschaft versetzt. Damit reagierte die venezolanische Regierung auf Vorwürfe Uribes, wonach sich bis zu 1.500 Rebellen der kolumbianischen Guerillaorganisationen, darunter vier Kommandanten der FARC und ein ranghoher Vertreter der ELN, auf venezolanischem Territorium aufhalten sollen. Die Führung in Bogotá legte der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) Bilddokumente vor, deren Glaubwürdigkeit und Beweiskraft jedoch grundsätzlich in Zweifel gezogen werden müssen. Luftaufnahmen von angeblichen Lagern der Rebellen im grenznahen Gebiet Venezuelas hängen in ihrer Interpretation vollkommen von der Quelle ab. Zudem mußte die kolumbianische Regierung bereits bei der vorangegangenen Präsentation der Dokumente vor wenigen ausgewählten Pressevertretern einräumen, daß es sich um teilweise mehrere Jahre altes Material handle.

Der Vertreter Venezuelas in der OAS wies die Dokumente als unglaubwürdig zurück. Auch die meisten anderen Regierungen Südamerikas äußerten sich skeptisch hinsichtlich der Positionierung der US-nahen Organisation zugunsten Kolumbiens. Die deutsche Bundesregierung setzt bezeichnenderweise auf die OAS, die nach den Worten des Sprechers des Auswärtigen Amtes, Dirk Augustin, in Berlin als "zuständige Regionalorganisation (...) zur Entschärfung dieses Konflikts und zum Abbau von Spannungen beitragen kann." [3]

Unterdessen zeigt sich die Union Südamerikanischer Nationen fest entschlossen, schlichtend in den Konflikt einzugreifen. Der frühere argentinische Präsident und amtierende Generalsekretär der UNASUR, Néstor Kirchner, traf in Buenos Aires mit dem künftigen kolumbianischen Staatschef Manuel Santos zusammen. Die Außenminister des Bündnisses werden auf Antrag Venezuelas im Verlauf dieser Woche in der ecuadorianischen Hauptstadt Quito zu einer Sondersitzung zusammenkommen, um nach einem diplomatischen Ausweg aus der Krise zu suchen. Der venezolanische Außenminister Nicolás Maduro reist bereits durch mehrere Staaten der Region, um vor einer drohenden Kriegsgefahr durch die Politik Kolumbiens zu warnen. [4]

Das massive Störmanöver Uribes stößt in Südamerika weithin auf Ablehnung. Mehrere Staatschefs der Region, darunter Argentiniens Präsidentin Cristina Fernández und Brasiliens Staatschef Luis Inácio Lula da Silva äußerten sich in Telefonaten mit Hugo Chávez besorgt über die Zuspitzung durch Kolumbien. In Havanna versicherte Präsident Raúl Castro zum Abschluß eines kubanisch-venezolanischen Regierungstreffens am Montag, Kuba unterstütze das Recht Venezuelas, sich gegen Drohungen und Provokationen zu verteidigen: "Wir kämpfen für Frieden und Harmonie zwischen unseren Brudervölkern. Unsere Handlungen werden immer dieses Ziel haben. Aber im Falle jedweden Problems sollte niemand den geringsten Zweifel haben, an wessen Seite Kuba stehen wird." [5] Chávez hatte angesichts der Krise eine geplante Reise ins befreundete Kuba kurzfristig abgesagt. Er wollte dort ursprünglich an den Feierlichkeiten zum 57. Jahrestag des fehlgeschlagenen Angriffs auf die Moncada-Kaserne teilnehmen, der als Geburtsstunde für die sozialistische Revolution auf der Karibikinsel gilt.

Kolumbiens designierter Präsident Manuel Santos befindet sich derzeit auf einer Rundreise durch mehrere südamerikanische Hauptstädte. Am 5. August will sich Néstor Kirchner mit Chávez in Caracas und anschließend am Rande der Feierlichkeiten zur Amtsübernahme von Santos am 7. August mit der Regierung in Bogotá treffen. "Es schmerzt, daß es zwischen zwei lateinamerikanischen Ländern einen derartigen Konflikt gibt", zitierte die staatliche Nachrichtenagentur Telam den Generalsekretär der UNASUR. Er hoffe, daß Juan Manuel Santos als künftiger kolumbianischer Präsident "klare Signale" für eine Verbesserung der Beziehungen aussenden werde, fügte Chávez hinzu. Uribe hinterlasse "verbrannte Erde und habe alle Brücken abgebrochen".

Anmerkungen:

[1] Chávez warnt vor Krieg (27.07.10)
http://www.morgenweb.de/nachrichten/politik/20100727_mmm0000000331280.html

[2] Eskalation droht (26.07.10)

junge Welt

[3] Südamerika besorgt über Kolumbien-Krise (25.07.10)
http://amerika21.de/nachrichten/2010/07/6083/suedamerika-kolumbien- krise

[4] Weiter Spannungen durch Kolumbien-Krise (26.07.10)
http://amerika21.de/nachrichten/2010/07/6361/spannungen-kolumbien- venezuela

[5] Kuba steht Venezuela im Konflikt mit Bogotá bei (27.07.10)
http://www.focus.de/politik/ausland/venezuela-kuba-steht-venezuela-im- konflikt-mit-bogot-bei_aid_534837.html

27. Juli 2010