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LATEINAMERIKA/2451: Wahlen in Haiti bar jeder Legitimität (SB)


Wesentliche Teile der Opposition ausgeschlossen


Haiti war ein armer, aber durchaus funktionsfähiger Staat mit einer demokratisch gewählten Regierung, die allerdings aus Perspektive der Hegemonialmacht USA ein entscheidendes Manko aufwies: Präsident Jean-Bertrand Aristide beugte sich nicht uneingeschränkt der Willkür Washingtons und verfügte in der notleidenden Bevölkerungsmehrheit über eine nicht zu unterschätzende Anhängerschaft. In einem lateinamerikanischen Umfeld, das sich in beträchtlichen Teilen von der Dominanz der Vereinigten Staaten emanzipiert, in regionalen Bündnissen enger zusammenschließt und im weltweiten Zusammenhang neue Partnerschaften eingeht, war die politische Führung Haitis nach den strategischen Maßgaben der USA ein so unsicherer Kantonist, daß man ihren Sturz betrieb und dessen Durchführung in Gestalt eines verdeckten Putsches inszenierte.

Das Bezichtigungskonzept des "gescheiteren Staats" ist auch im Falle Haitis ein Instrument der Verschleierung imperialistischer Intervention zum Zweck der Entmachtung unerwünschter Regierungen und Bewegungen in der Gesellschaft. Auf die Vertreibung Aristides ins Exil, die sofortige Besetzung des Landes durch US-Marines und die nachfolgende Okkupation durch die UN-Mission MINUSTAH folgte nach der Erdbebenkatastrophe unter dem Vorwand humanitärer Hilfe beim Wiederaufbau die Degradierung Haitis zu einem Protektorat. Maßgebliche Entscheidungen werden von äußeren Kräften diktiert, wobei in erster Linie die USA, Frankreich und Kanada zu nennen sind, die mit erheblichen Teilen der über tausend im Land präsenten NGOs eine unheilige administrative Allianz schmieden.

Als nach dem Erdbeben das Hirngespinst in die Welt gesetzt wurde, die Katastrophe sei zugleich eine Chance, das Land von Grund auf neu zu errichten, ernteten die Haitianer damit zu ihrer Not auch noch Hohn. Wenn die Herbeiführung demokratischer Verhältnisse als Voraussetzung einer besseren Zukunft im Munde geführt und dabei eine Wahlfarce durchgetragen wird, könnte die Erniedrigung und Kujonierung kaum größer sein. Mit der Fanmi Lavallas wurde jene Partei unter fadenscheinigen Vorwänden von der Teilnahme an den Wahlen ausgeschlossen, die gute Aussichten gehabt hätte, an die Regierung zu kommen und den nächsten Präsidenten zu stellen. Die Besatzungsmächte wie auch die einheimischen Eliten sehen ihre wesentliche Aufgabe darin, die Anhänger Aristides wie auch alle anderen potentiell widerständigen Bewegungen unter Kontrolle zu halten, um die Hungerrevolte im Keim zu ersticken und einen politischen Kurswechsel Haitis auszuschließen.

Während die Verwaltung des Landes gut ein Jahr nach dem Erdbeben nach wie vor einem Regime über Trümmer, Notlager, Elend und Krankheit gleicht, wird mit Millionenaufwand ein Urnengang veranstaltet, der angesichts des Ausschlusses oppositioneller Kräfte und einer außerordentlich geringen Beteiligung nicht als demokratische Wahl, in der der Willen des Volkes auch nur annähernd zum Ausdruck käme, bezeichnet werden kann. Dennoch drängt man darauf, vollendete Tatsachen zu schaffen und eine Regierung zu installieren, die der kleinen nationalen Elite und insbesondere den Besatzungsmächten zu Diensten ist. Die grundsätzliche Willkür dieses Akts besteht in der vorab erzwungenen Festlegung auf einen Wahlausgang, der den Fortbestand von Ausbeutung und Unterwerfung der haitianischen Bevölkerungsmehrheit sicherstellt.

Demgegenüber gleichen die Manipulationsmanöver des scheidenden Präsidenten René Préval, der an seinem Sessel klebt und seinem Schwiegersohn Jude Célestin die Nachfolge zuschanzen wollte, dem nachrangigen Intrigenspiel eines Vasallen. Familiäre und parteipolitische Pfründe zu sichern, war noch immer das Mittel der Wahl lokaler Führerschaft von Gnaden eines Okkupationsregimes. Préval und Konsorten üble Machenschaften vorzuwerfen, dient in diesem Zusammenhang einem doppelten Zweck: Erstens gilt es die aufbrandende Empörung in der Bevölkerung angesichts mutmaßlichen Wahlbetrugs zu kanalisieren und zu befrieden. Zweitens geriert man sich als Recht und Demokratie verpflichtete Aufsicht, ohne die Haiti an seinen inneren Unzulänglichkeiten und Konflikten scheitern müßte. Vor allem aber macht man im Gezänk um das richtige Wahlergebnis vergessen, daß es sich zu keinem Zeitpunkt um eine legitime Abstimmung gehandelt hat.

Nach der ersten Runde der Wahl am 28. November, deren offizielles Ergebnis freilich erst jetzt bekanntgegeben wurde, war heftiger Streit entbrannt. Wie es damals hieß, lägen Mirlande Manigat und der Regierungskandidat Jude Célestin in Front, während Michel Martelly knapp auf dem dritten Rang gelandet sei und damit den Einzug in die Stichwahl verfehlt habe. Die Opposition warf der Regierung daraufhin Wahlbetrug vor, den die Organisation Amerikanischer Staaten später bestätigte. Die umstrittenen Resultate des ersten Durchgangs hatten teils gewalttätige Proteste ausgelöst, bei denen mindestens fünf Menschen starben.

Erst auf massiven internationalem Druck erklärte sich die Regierungspartei Inité bereit, Célestin aus dem Rennen zu nehmen. Sie erkannte zuletzt die Entscheidung der Wahlkommission an, wonach die frühere First Lady Mirlande Manigat und der populäre Sänger Michel Martelly in die für den 20. März angesetzte Stichwahl einziehen. Nach den Worten eines führenden Parteivertreters herrsche zwar die Meinung vor, daß Célestin in der Stichwahl antreten müsse. Um Wirtschaftssanktionen zu vermeiden und den sozialen Frieden zu stärken, ziehe er sich aber zurück. [1]

Bereits am Wahltag im November hatten sich die Gefolgsleute des 49jährigen Kompa-Musikers Michel "Sweet Micky" Martelly, der enge Kontakte zu haitianischen Exmilitärs und anderen reaktionären Kräften pflegt, schwere Straßenschlachten mit Anhängern der Regierungspartei geliefert. Da die Drohung Martellys im Raum stand, seine Anhänger würden erneut auf die Straße gehen, falls er nicht für die Stichwahl nominiert werde, patrouillierten schwerbewaffnete UN-Blauhelmsoldaten. [2]

Offenbar hatte selbst im Wahlrat (CEP) keine Einigkeit geherrscht, wie das vertrackte Problem am günstigsten zu lösen sei. Angaben lokaler Medien zufolge war es zu Auseinandersetzungen unter den Mitgliedern des Gremiums gekommen, da einige mit dem Ergebnis nicht einverstanden gewesen seien, wie Haiti Press Network berichtete. [3] Die letztendliche Mehrheitsentscheidung, wonach Célestin einige Stimmen weniger als Martelly erhalten und deshalb die Stichwahl verfehlt habe, war offenbar geeignet, die Lage zu entspannen.

Indessen zieht sich eine Spur willkürlicher Entscheidungen durch den gesamten Ablauf der Wahlen, deren fragwürdiger Charakter offen zutage tritt. Schon am ersten Wahltag hatte man nach Angaben der Opposition zahlreiche Unregelmäßigkeiten wie manipulierte Wählerverzeichnisse, verspätet geöffnete Wahllokale und Einschüchterungsversuche gegenüber Wählern registriert. In den nordhaitianischen Städten Acul du Nord und Trou du Nord mußte der Wahlgang nach Unruhen sogar komplett abgesagt werden. Auch aus der Hauptstadt Port-au-Prince wurde die Erstürmung eines Wahllokals gemeldet. Dennoch erklärten Wahlbeobachter der CARICOM, daß die Wahlen trotz "ernsthafter Unregelmäßigkeiten" gültig seien.

Nachdem man zunächst versucht hatte, die von massiven Unregelmäßigkeiten begleiteten Wahlen auf Teufel komm raus für gültig zu erklären, schwenkten OAS und US-Regierung später um, als die Manipulation beim Urnengang nicht mehr zu verschleiern war und die grundsätzliche Fragwürdigkeit des Verfahrens auf die Tagesordnung zu setzen drohte. Nun hat man eine Situation herbeigeführt, welche die aufgeheizte Stimmung abkühlt und den Weg zur Stichwahl ebnet. Wenngleich dies wie eine pragmatische Deeskalation anmuten mag, macht sie die Posse doch um keinen Deut glaubwürdiger und legitimer.

Anmerkungen:

[1] Präsidentenwahl auf Haiti: Stichwahl zwischen Manigat und Martelly (03.02.11)
http://www.stern.de/news2/aktuell/praesidentenwahl-auf-haiti-stichwahl-zwischen-manigat-und-martelly-1650264.html

[2] Präsidentschaftswahl in Haiti. Juristin und Musiker in Stichwahl (03.02.11)
http://www.taz.de/1/politik/amerika/artikel/1/juristin-und-musiker-in-stichwahl/

[3] Präsidentschaftswahl. Kommission legt Kandidaten für Haitis Stichwahl fest (03.02.11)
http://www.zeit.de/politik/ausland/2011-02/haiti-praesident-stichwahl

6. Februar 2011