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LATEINAMERIKA/2474: Frieden in Kolumbien? (SB)



Regierung und FARC schließen historisches Abkommen

Die kolumbianische Regierung und die Rebellengruppe FARC haben ein historisches Friedensabkommen geschlossen, mit dem ein 52 Jahre währender Konflikt beigelegt werden soll. In den Auseinandersetzungen zwischen staatlichen Sicherheitskräften, rechten Paramilitärs und linken Rebellen waren seit den 1960er Jahren über 220.000 Menschen getötet worden. Nach fast vier Jahren zäher Verhandlungen in Havanna konnten sich die Parteien am 24. August 2016 in Kuba auf einen "endgültigen, integralen und definitiven" Friedensvertrag einigen. Dieser soll am 2. Oktober in einem Referendum zur Abstimmung kommen. Die getroffene Vereinbarung soll "ein definitives Ende des über 50 Jahre dauernden bewaffneten Konflikts bringen", heißt es in dem von den Verhandlungspartnern unterzeichneten Text. [1]

In den Verhandlungen einigten sich die Unterhändler der Regierung und der FARC auf eine Landreform, die künftige politische Teilhabe der Rebellen, neue Ansätze im Kampf gegen den Drogenhandel und eine Entschädigung der Opfer. Innerhalb von sechs Monaten sollen die Rebellen nun unter Aufsicht der Vereinten Nationen ihre Waffen niederlegen. Die Guerilla will künftig als politische Partei für ihre Ziele eintreten, ab 2018 soll sie für zwei Wahlperioden zehn garantierte Sitze im Kongreß erhalten. Außerdem vereinbarten beide Seiten ein eigenes Justizwesen zur Aufarbeitung der Verbrechen des Konflikts. Für politische Straftaten wird eine weitreichende Amnestie gewährt. Wer seine Beteiligung an schweren Verbrechen einräumt, muß mit einer Freiheitsstrafe von höchstens acht Jahren rechnen. [2]

Ob die Bevölkerung dem Abkommen zustimmen wird, ist völlig offen. Die Mehrheiten sind knapp und wechseln von Umfrage zu Umfrage. Der unpopuläre Präsident Juan Manuel Santos wirbt für das Referendum, da der Frieden mehr Bildung, Tourismus, Arbeitsplätze und Wohlstand bringen werde. Sein Amtsvorgänger Álvaro Uribe (2002-2010) gehört hingegen zu den schärfsten Kritikern des Friedensprozesses, die sich insbesondere vehement dagegen aussprechen, daß die Guerillakämpfer mit relativ milden Strafen davonkommen dürften. [3]

Während die Führung der FARC zugesagt hat, die Waffen niederzulegen, war die kleinere Guerilla der ELN nicht an den Verhandlungen auf Kuba beteiligt. Zudem hatten am 6. Juli Angehörige der "Frente Primero 'Armando Ríos'" (Erste Front 'Armando Ríos') der Bewaffneten revolutionären Streitkräfte Kolumbiens - Volksarmee (FARC-EP) ihren Ausstieg aus den Friedensverhandlungen mit der Regierung bekanntgegeben. Wie die Gruppe in einem Kommuniqué mitteilte, beteilige sie sich nicht an der Demobilisierung und werde "den Kampf für die Übernahme der Macht für das Volk und durch das Volk weiterführen". Zur Begründung hieß es, der Regierung und ihren Verbündeten gehe es ausschließlich um die Entwaffnung der Guerilla und die Weiterführung ihres bisherigen Wirtschaftsmodells. Die vereinbarten Zonen, in denen sich die Guerilleros sammeln und die Waffen abgeben sollen, seien nur mehr "Gefängnisse unter offenem Himmel". [4] Davon abgesehen werden diverse Paramilitärs, kriminelle Gruppen und Drogenbanden ihre Interessen weiterhin mit Waffengewalt durchsetzen.

Friedensverhandlungen fanden in Kolumbien schon unter der Regierung des Konservativen Belisario Betancur (1982-1986) wie auch der folgenden Präsidenten César Gaviria (1990-1994) und Andrés Pastrana (1998-2002) statt. In keinem Fall war die politische Führung des Landes bereit, auf die sozialen Forderungen der Rebellen einzugehen. In einem Konflikt, der tiefgreifende historische und gesellschaftpolitische Ursachen hatte, ausschließlich über dessen Demilitarisierung zu verhandeln, ohne im mindesten an den Herrschaftsstrukturen zu rühren, kam für die Guerilla einer Preisgabe all dessen gleich, wofür zu kämpfen sie einst angetreten war.

Während der Sozialdemokrat Andrés Pastrana der FARC zeitweise eine demilitarisierte Schutzzone von der Größe der Schweiz gewährt hatte, in der Gespräche geführt wurden, erklärte sein Nachfolger Uribe kategorisch, er werde den Rebellen keinen einzigen Quadratmeter kolumbianischen Bodens freiwillig überlassen und sie militärisch besiegen. Er lehnte es insbesondere ab, die Guerilla als Kriegspartei anzuerkennen, und bezeichnet sie als "Terroristen", mit denen man nicht verhandle. Die große Offensive der mit US-amerikanischer Hilfe massiv aufgerüsteten Streitkräfte blieb jedoch nach anfänglichen militärischen Erfolgen stecken, und so galt dieser Vorstoß bereits Ende der ersten Amtszeit Uribes 2006 als gescheitert.

Präsident Juan Manuel Santos kündigte bei seinem Amtsantritt 2010 eine harte Linie gegen die Rebellen an und verkündete in seiner ersten Weihnachtsbotschaft: "Die Schlange sitzt in der Falle, 2011 werden wir sie besiegen." Im November 2011 feierte er die Tötung des damaligen Anführers der FARC, Alfonso Cano, in einer Fernsehansprache als den bislang schwersten Schlag gegen die FARC in der Geschichte des Landes: "Ich möchte eine klare Botschaft an jedes einzelne Mitglied dieser Organisation senden: Legt die Waffen nieder, sonst endet ihr im Gefängnis oder im Grab!"

Während Regierung und rechtsgerichtete Kreise triumphierten, sprach die kolumbianische Linke von einem schweren Schlag gegen den Friedensprozeß, für den sich Cano zuletzt in mehreren Erklärungen ausgesprochen hatte. Die frühere Senatorin Piedad Córdoba wies darauf hin, daß nun eine weitere Freilassung von Gefangenen der Guerilla bis auf weiteres unmöglich gemacht worden sei. Präsident Santos räume der militärischen Konfrontation offensichtlich Vorrang gegenüber Dialog und Verhandlungen ein. Die Regierung wolle durch den Krieg ihre Privilegien und Gewinne bewahren, während sie keine glaubwürdige Friedenspolitik erkennen lasse.

Im Sommer 2011 hatte die FARC ein Dialogangebot unterbreitet, in dem sie ihre Bereitschaft zu einer politischen Lösung des sozialen und bewaffneten Konflikts durch einen "zivilisierten Ausweg, der zu Frieden für das Land führt" erklärte. Während die kolumbianische Oligarchie den Konflikt seit Jahrzehnten immer weiter vertiefe, strebe die Guerilla einen Frieden mit sozialer Gerechtigkeit an. In diesem Zusammenhang nannte die FARC unter anderem würdigen Wohnraum, kostenlose Bildung auf allen Ebenen sowie ein vorsorgendes Gesundheitssystem für die gesamte Bevölkerung. Diesen Vorschlag wies die Regierung umgehend mit der Begründung zurück, man werde den Rebellen keine nutzlose Bühne errichten. Im August 2011 bekräftigte der Zentralstab der FARC noch einmal seine Bereitschaft, so schnell wie möglich die Voraussetzungen für einen Dialog zu schaffen. Ein Friedensprozeß müsse jedoch mit konkreten sozialpolitischen Reformen einhergehen. Schließlich habe sich an den Problemen, die Mitte der 1960er Jahre zur Gründung der FARC geführt hatten, nichts geändert.

Heute ist in manchen ländlichen Regionen die Hälfte der Bevölkerung offiziell als Kriegsopfer registriert. So sehr die Menschen den Frieden ersehnen, machen sie sich doch keine Illusionen. Daß ein unterschriebenes Stück Papier allein nicht für bessere Lebensverhältnisse sorgt, dürfte allen klar sein. Stimmt eine Mehrheit beim Referendum für das Abkommen, muß dieses erst noch mit Leben gefüllt werden. Der Bürgerkrieg entsprang einst der extremen sozialen Ungleichheit der kolumbianischen Gesellschaft, an der sich bis heute nichts geändert hat. Eine Elite aus Bogotá und Medellín, die in wohlhabenden Verhältnissen lebt, beherrscht das Land. In den Armenvierteln und außerhalb der Städte fehlt es hingegen oftmals an den grundlegenden Voraussetzungen wie Trinkwasser, Gesundheitsversorgung und Bildung, von der stets präsenten Gewalt bewaffneter staatlicher und nichtstaatlicher Akteure ganz zu schweigen. Wie Frieden und ein Leben in Würde für die Mehrheit der Menschen in Kolumbien durchgesetzt werden können, ist eine Frage, die durch das Abkommen von Havanna erneut auf die Tagesordnung gesetzt, aber keiensfalls beantwortet worden ist.


Fußnoten:

[1] http://www.swissinfo.ch/ger/jean-pierre-gontard-erinnert-sich_wie-die-schweiz-in-kolumbien-den-frieden-foerderte/42397868

[2] http://www.welt.de/newsticker/dpa_nt/infoline_nt/brennpunkte_nt/article157851053/Friedensabkommen-fuer-Kolumbien.html

[3] http://www.zeit.de/politik/ausland/2016-08/kolumbien-frieden-vertrag-regierung-farc-rebellen

[4] https://amerika21.de/dokument/156206/farc-frente-primero

25. August 2016


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