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MEDIEN/448: Asia-Times-Online-Korrespondent in Pakistan ermordet (SB)


Asia-Times-Online-Korrespondent in Pakistan ermordet

Syed Saleem Shahzad tot aufgefunden - Pakistans ISI unter Verdacht


Fast zehn Jahre lang lieferte Syed Saleem Shahzad, der Leiter des Hauptstadtbüros der Asia Times Online in Pakistan, mitunter die ausführlichsten und erhellendsten Berichte, die man in englischer Sprache zum Thema des "Antiterrorkrieges" der USA und ihrer Verbündeten beiderseits der afghanisch-pakistanischen Grenze überhaupt lesen konnte. Seine Artikel boten stets einen hochinformativen Einblick in das moderne "Great Game" am Hindukusch zwischen den rivalisierenden Mächten USA, Indien, China, Pakistan, Saudi-Arabien, Rußland, Iran und Afghanistan, deren Armeen und Geheimdiensten und den von ihnen instrumentalisierten, nicht-staatlichen Akteuren wie dem Al-Kaida-"Netzwerk", den afghanischen und pakistanischen Taliban, Gulbuddin Hekmatyars Hisb-i-Islami, dem Hakkani-Netzwerk und der Lashkar-e-Taiba (L-e-T).

So berichtete Shahzad am 2. April als erster Journalist der englischsprachigen Welt davon, daß in den davorliegenden Tagen im Rahmen einer Geheimabsprache zwischen Islamabad und Riad mehr als 1000 ehemalige pakistanische Soldaten sunnitischen Glaubens zu Mitgliedern der Nationalgarde in Bahrain geworden waren, um im Sinne der dortigen Khalifa-Monarchie die von der schiitischen Bevölkerungsmehrheit getragene Demokratiebewegung niederzuschlagen, und daß Pakistans Armeeführung zwei Divisionen bereithielte, um bei einem ähnlichen Aufbegehren in Saudi-Arabien mit voller Härte durchgreifen zu können. Leider wird es künftig keine solchen Enthüllungen mehr aus der Feder Shahzads geben, denn unbekannte Täter haben ihn ermordet. Am Abend des 31. Mai meldete die Nachrichtenagentur Agence France Presse, die pakistanische Polizei habe seine Leiche in seinem Auto rund 150 Kilometer südöstlich der Hauptstadt Islamabad gefunden.

Zwei Tage lang galt Shahzad als vermißt. Am Abend des 29. Mai war der 40jährige Korrespondent auf dem Weg in die Studios des pakistanischen Fernsehsenders Dunya in Islamabad, um ein Interview zu geben, ist aber dort nicht angekommen. Bemühungen, den dreifachen Familienvater über sein Mobiltelefon zu erreichen, blieben erfolglos. Shahzads Kollegen in Islamabad gingen davon aus bzw. verfügten über Hinweise, daß der Autor des neuen Buchs "Inside al-Qaeda and the Taliban: Beyond Bin Laden and 9/11" vorübergehend von Angehörigen des pakistanischen Geheimdienstes Inter-Services Intelligence Directorate (ISI) in Gewahrsam genommen worden war, jedoch "innerhalb der nächsten 48 Stunden freigelassen" würde. Gleichwohl machte man sich um seine Sicherheit Sorgen, weshalb am 30. Mai die International Federation of Journalists an die Regierung in Islamabad formell appelliert hat, sämtliche Sicherheitsorgane mit der Suche nach dem verschwundenen Reporter zu beauftragen.

Wegen brisanter Angaben über die heimliche Zusammenarbeit zwischen dem pakistanischen Sicherheitsapparat und verschiedenen Akteuren im "terroristischen" Untergrund ist Shahzad in der Vergangenheit mehrmals von ISI-Angehörigen verwarnt bzw. bedroht worden. In dem Artikel, der am 31. Mai bei der Asia Times Online über sein Verschwinden erschienen ist, hieß es, Shahzad könnte Elemente des ISI mit seiner Berichterstatung über den spektakulären Überfall am 22. Mai auf den Fliegerhorst Mehran der pakistanischen Marine nahe Karachi verärgert haben. In dem am 27. Mai erschienenen Artikel mit der Überschrift "Al-Qaeda had warned of Pakistan strike" hatte Shahzad behauptet, der Anschlag auf Mehran, bei dem zehn Militärangehörige getötet und zwei hochmoderne, mehr als 30 Millionen Dollar teure Spionageflugzeuge vom Typ P3-C Orion zerstört wurden, sei von Elias Kashmiris 313. Brigade durchgeführt worden, und zwar als Vergeltung dafür, daß sich die pakistanische Armeeführung weigerte, mehrere Marineangehörige, die unter dem Verdacht der Zusammenarbeit mit Al Kaida festgenommen worden waren, freizulassen.

2006 war Shahzad im Grenzgebiet zu Afghanistan von pakistanischen Taliban als mutmaßlicher Spion entführt, jedoch nach einer Woche wieder auf freiem Fuß gesetzt worden. Warum seine Entführer ihn diesmal töteten, ist nicht ganz klar, auch wenn die Annahme im Raum steht, der Mord hänge irgendwie mit der AToL-Berichterstattung über den Überfall von Mehran, der in der pakistanischen Öffentlichkeit allgemein als das Werk von Insidern gilt, zusammen. Doch es kommen nicht nur das ISI und Al Kaida als Auftraggeber der Ermordung Shahzads in Betracht. In Verbindung mit der angeblichen Liquidierung Osama Bin Ladens am 2. Mai in Abbottabad hatte der umtriebige Journalist einige Einzelheiten öffentlich gemacht, die im Widerspruch zur Version der Regierung von US-Präsident Barack Obama stehen.

Erstens hat er - wie übrigens Marc Ambinder im National Journal auch - geschrieben, daß die an der Operation beteiligten Hubschrauber nicht unbemerkt von den pakistanischen Streitkräften von Jalalabad nach Abbottabad und zurück geflogen sind, sondern zum Angriff auf das Versteck Bin Ladens vom Stützpunkt des Joint Special Operations Command (JSOC) der US-Streitkräfte im pakistanischen Tarbela Ghazi aus starteten. Zweitens hatte er bereits am 25. April berichtet, daß Bin Laden in den Wochen davor im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet an mehreren Treffen mit den wichtigsten Kommandeuren der Anti-NATO-Front teilgenommen hatte, um sich mit ihnen über die diesjährige Offensive gegen die ausländischen Streitkräfte zu beraten. Man hatte gehofft, daß Shahzad irgendwann die Diskrepanz zwischen seiner Darstellung der angeblich letzten Wochen im Leben Bin Ladens und der Narrative Washingtons aufklären würde, der Al-Kaida-Chef hätte seit Jahren das Anwesen in Abbottabad nicht mehr verlassen und mit der Außenwelt lediglich über E-Mails, die seine Kuriere für ihn von irgendwelchen Internetcafés losschickten, kommuniziert. Die Ermordung Shahzads macht diese Hoffnungen nun zunichte.

31. Mai 2011