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MEDIEN/458: Skandal ums Ausspionieren von AP durch Obama-Regierung (SB)


Skandal ums Ausspionieren von AP durch Obama-Regierung

Ex-Juraprofessor Obama tritt Pressefreiheit mit Füßen



In den USA tobt ein schwerer Skandal, nachdem am 13. Mai bekannt geworden ist, daß sich FBI und Justizministerium im vergangenen Frühjahr heimlich die Verbindungsdaten aus einem zweimonatigen Zeitraum von 100 Telefonen der Redaktionsräume von Associated Press in New York, der Hauptstadt Washington und Hartford, Connecticut, von Mobiltelefonen mehrerer einzelner Reporter und einem Redakteur von AP sowie von der Sammelnummer derjenigen Journalisten, die für die Nachrichtenagentur über den Kongreß berichten, angeeignet haben, um ein Leck im Regierungsapparat ausfindig zu machen. Der Vorfall spricht Hohn über die vollmundigen Wahlversprechen des Demokraten Barack Obama von 2008, er würde als US-Präsident nach den zahlreichen Gesetzesübertretungen während der acht Jahre des Republikaners George W. Bush im Weißen Haus dafür sorgen, daß in Washington die Verfassung wieder beachtet werde und Transparenz in den Angelegenheiten der Exekutive herrsche.

Noch vor der eigentlichen Wahl hatte Obama die Haltlosigkeit des Versprechens demonstriert, als er im Sommer 2008 zusammen mit einer Mehrheit der Mitglieder des Senats und des Repräsentantenhauses für das hochumstrittene FISA Amendment Act stimmte. Das ursprüngliche Foreign Intelligence Surveillance Act war 1978 vor dem Hintergrund des Watergate-Skandals verabschiedet worden und legte strenge Kriterien fest, welche die Regierung erfüllen mußte, um vom geheimtagenden, gleichnamigen FISA-Gericht die Erlaubnis zum Abhören der Telefone mutmaßlicher ausländischer Spione zu bekommen. Ende 2005 hatte jedoch die New York Times enthüllt, daß die Bush-Administration seit 2001 am FISA-Gericht vorbei - und damit illegal - eine ganze Reihe von Telefonen nicht nur mutmaßlicher "Terroristen" im Ausland, sondern auch von Bürgern der Vereinigten Staaten hatte abhören lassen.

Der Skandal war besonders brisant, erstens, weil die New York Times bereits im Sommer 2004 von der umstrittenen Praxis erfahren und - in Absprache mit dem Oval Office - mit der Veröffentlichung eines entsprechenden Berichts extra gewartet hatte, um die Wiederwahl von Bush jun. nicht zu gefährden, und zweitens, weil das Ausmaß der Aktion sehr viel größer gewesen zu sein schien, als jemals bekannt wurde. Für letzteren Umstand haben Republikaner und Demokraten im Kongreß gesorgt, die zweieinhalb Jahre lang um den heißen Brei herumgeredet haben, um dann rechtzeitig vor dem Ausscheiden Bushs aus dem Amt die ganze Angelegenheit durch die Verabschiedung der FISA-Novellierung unter den Teppich zu kehren.

Im vorliegenden Fall geht es um einen Artikel, den AP am 7. Mai 2012 veröffentlichte und in dessen Mittelpunkt die kurz zuvor erfolgte Vereitelung eines angeblich geplanten Bombenanschlags der Al Kaida auf der Arabischen Halbinsel (Al Qaeda in the Arabian Peninsula - AQAP) auf eine in die USA fliegende Passagiermaschine durch die CIA stand. Die Sprengladung soll sich in der Unterhose eines Selbstmordattentäters befunden haben, den die CIA noch rechtzeitig vor seiner Abreise aus Jemen aus dem Verkehr ziehen könnte. Die Obama-Regierung soll über die frühzeitige Veröffentlichung des Berichts verärgert gewesen sein, weil ihr die AP mit dem Bekanntgeben der erfolgreichen Operation zuvorgekommen ist. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, daß der Selbstmordattentäter ein Doppelagent war, dessen Leben durch den AP-Artikel in Gefahr geriet.

Jedenfalls hat Justizminister Eric Holder am 14. Mai auf einer Pressekonferenz in Washington das Ausspionieren von AP und die laufende Fahndung nach der Identität der Quellen - weswegen offenbar seit Monaten auch eine Grand Jury hinter verschlossenen Türen tagt - mit einer angeblich beispiellosen Gefährdung der "nationalen Sicherheit" begründet. Wohlkalkulierend, daß irgend jemand eventuell die politischen Konsequenzen für den in der Tat in diesem Ausmaß - jedenfalls soweit bekannt - noch niemals dagewesenen Spionageangriff auf ein US-Medienunternehmen wird tragen müssen, behauptete Holder, Präsident Obama habe von der ganzen Geschichte nichts gewußt.

Das eigene Ansehen als progressiver Politiker hat es Obama erlaubt, seit Anfang 2009 eine gnadenlose Jagd auf Whistleblower im Staatsapparat zu veranstalten. Ohne daß die liberale Presse Amerikas allzu viel Kritik daran geübt hat, haben unter Obama die Justizbehörden doppelt soviele Klagen wegen des Verstoßes gegen das 1917 verabschiedete Spionagegesetz - nämlich sechs - erhoben als unter allen früheren US-Präsidenten zusammen - drei. Zu den Opfern der juristischen Einschüchterungskampagne gehören unter anderem der Gefreite Bradley Manning, der sich wegen der Wikileaks-Affäre seit zwei Jahren in Isolationshaft befindet und dem eine lebenslange Freiheitsstrafe droht, und James Risen. Der Investigativreporter hat nicht nur mit dem NYT-Kollegen Eric Lichtblau Bushs gigantisches Telefonüberwachungsprogramm aufgedeckt, sondern auch in seinem 2005 erschienenen Buch "State of War" für die hochpeinliche Enthüllung gesorgt, daß die CIA dem Iran durch eigene Ungeschicklichkeit sowohl die Blaupause für eine funktionierende Atombombe als auch die Identität zahlreicher Doppelagenten des Westens in der Islamischen Republik hat zukommen lassen. Bis heute muß sich Risen vor Gericht verantworten. Trotz Strafandrohung weigert er sich unter Berufung auf den journalistischen Quellenschutz noch immer hartnäckig, seinen mutmaßlichen Informanten, den ehemaligen CIA-Mitarbeiter Jeffrey Alexander Sterling, zu belasten.

In der US-Medienlandschaft ist die Empörung über die FBI-Ermittlung gegen AP groß. In Leitartikeln und Kommentaren haben alle großen Zeitungen wie die New York Times, die Washington Post, das Wall Street Journal und USA Today sowie die wichtigsten Radio- und Fernsehsender wie ABC, CNN, CBS, NBC, Fox News und NPR die Maßnahme als einen schweren Angriff auf die Pressefreiheit verurteilt. Auch im Kongreß sind Politiker beider großer Parteien entsetzt, aber in erster Linie deshalb, weil auch die AP-Leitung in der dortigen Presseloge von den Ermittlern ins Visier genommen wurde.

In den letzten Jahren haben die mächtigsten Politiker auf dem Kapitol wie beispielsweise die demokratische Senatorin Dianne Feinstein aus Kalifornien und der republikanische Senator John McCain aus Arizona die Bemühungen des Weißen Hauses, herauszufinden, wer im Regierungsapparat die New York Times über die tödlichen CIA-Drohnenoperationen gegen islamistische "Terroristen" im Ausland sowie über die Hackerangriffe des US-Militärs mittels der Stuxnet-Software gegen das iranische Atomprogramm informierte, tatkräftig unterstützt. Aus den Geheimdienstausschüssen in Repräsentantenhaus und Senat ist deshalb für die AP kaum Hilfe zu erwarten.

Im Gegenteil muß man davon ausgehen, daß die politische Kaste wie einst beim Verstoß Bushs gegen FISA-Gesetz und Verfassung einfach die Reihen schließen und es bei symbolischer Kritik belassen wird. Für die Geschlossenheit von Exekutive und Legislative in Fragen der "nationalen Sicherheit" gibt es eine einfache Erklärung. Seit einigen Jahren mehren sich die Hinweise, daß der elektronische Nachrichtendienst der USA, die National Security Agency (NSA), großflächig alle Telekommunikationen erfaßt und punktuell auswertet. Es besteht deshalb der begründete Verdacht, daß es die Justizbehörden im Fall AP nicht nur bei den Verbindungsdaten beließen, sondern mit Hilfe der NSA eventuell den Inhalt der verschiedenen Telefonate und E-Mail-Korrespondenzen kontrolliert haben - illegal, versteht sich.

15. Mai 2013