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MEDIEN/470: Al-Jazeera-Reporter bekommen in Ägypten 7 Jahre Haft (SB)


Al-Jazeera-Reporter bekommen in Ägypten 7 Jahre Haft (SB)

US-Außenminister Kerry erteilt Ägyptens neuem Diktator seinen Segen



In Ägypten regiert das Militär wieder mit harter Hand. Das kurze demokratische Intermezzo, das mit dem Rücktritt des langjährigen Diktators Hosni Mubarak im Februar 2011 infolge wochenlanger, landesweiter Proteste begann und im Juli 2013 mit dem gewaltsamen Sturz des ersten frei gewählten Präsidenten Mohammed Mursi zu Ende ging, rückt immer weiter in die Vergangenheit. Ende Mai wurde der Leiter der Militärjunta, Generalstabschef und Verteidigungsminister a. D. Abdel Fatah Al Sisi, zum neuen Staatsoberhaupt gewählt. Doch die beabsichtige demokratische Legitimation fiel mager aus. Al Sisi hat 97 Prozent der abgegebenen Stimmen erhalten; allderings nahmen nur 47 Prozent der Wahlberechtigten an dem Urnengang teil.

Am 8. Juni hat Al Sisi sein neues Amt angetreten. Den ersten ausländischen Staatsbesuch erhielt er am 20. Juni. Bei einem Heimflug aus Marokko machte Saudi-Arabiens König Abdullah eine Zwischenlandung auf dem Kairoer Flughafen, wo er Al Sisi in seinem Privatjet zu einer halbstündigen Unterredung empfing. Daß der absolutistische Monarch aus Mekka den neuen starken Mann am Nil zum Botengänger im eigenen Land degradieren durfte, liegt daran, daß Saudi-Arabien, Bahrain und die Vereinigten Arabischen Emirate das nordafrikanische Land finanziell über Wasser halten. Seit dem Sturz Mursis und dem Verbot der ägyptischen Moslembruderschaft im vergangenen Jahr haben die Saudis und ihre Verbündeten am Persischen Golf dem Finanzministerium in Kairo rund 20 Milliarden Dollar überwiesen und der neuen Diktatur somit das Überleben gesichert.

Gleich am Tag nach dem Treffen Al Sisis mit Abdullah hat ein Gericht in der südägyptischen Stadt Minya die Todesurteile gegen Mohamed Badie, den geistigen Anführer der von den Saudis verhaßten, weil anti-feudalen Moslembruderschaft, und 182 weitere Mitglieder der Organisation bestätigt. Sie waren vor einigen Monaten im Schnellverfahren schuldig gesprochen worden, in Minya im Juli 2013 an Protesten gegen die illegale Entmachtung Mursis teilgenommen zu haben, bei denen ein Mann ums Leben kam. Für die Tatsache, daß das ägyptische Militär im August vergangenen Jahres bei der Räumung mehrerer Protestlager in Kairo über tausend Menschen getötet hat, interessiert sich die Justiz in Al Sisis Ägypten nicht im geringsten. Statt dessen arbeiten Richterschaft und Polizei mit den Militärs Hand in Hand.

Seit der Verhaftung Mursis sind in Ägypten rund 16.000 Moslembrüder, säkulare Aktivisten, Anwälte und Gewerkschafter zu politischen Gefangenen geworden. Wie die britische Tageszeitung Guardian am 21. Juni berichtete, wurden rund 400 Kritiker und Gegner des Al-Sisi-Regimes in ein geheimes Sondergefängnis namens Azouli verschleppt, das sich auf dem Gelände des Hauptquartiers der 2. Ägyptischen Armee nahe der 120 nördlich von Kairo am Suezkanal liegenden Stadt Isma'ilia befindet. Die von diesem schweren Schicksal betroffenen Menschen werden nicht formell angeklagt und befinden sich somit außerhalb des Justizsystems. Sie werden unter anderem mit Stromschlägen gefoltert und schwer mißhandelt, indem man sie stunden- oder tagelang an Ketten von der Decke hängen läßt. Mittels Tortur sollen sie gezwungen werden, belastende Aussagen über sich selbst oder andere zu machen. Einige von ihnen sind später freigelassen oder einfach ermordet worden. Nicht umsonst reden Amnesty International und Human Rights Watch (HRW) von "Repression in einem Ausmaß, das in der modernen Geschichte Ägyptens beispiellos ist".

Das vernichtende Urteil zwei der renommiertesten westlichen Menschenrechtsorganisationen hat US-Außenminister John Kerry nicht daran gehindert, Al Sisi am 22. Juni seine Aufwartung zu machen. Letztes Jahr hatte die Regierung Barack Obamas die Entmachtung Mursis zwar zunächst kritisiert, sich aber aus Rücksicht auf eventuelle politische Verwicklungen geweigert, den Vorgang offiziell als "Putsch" zu bezeichnen. Nach der Wahl Al Sisis zum neuen Präsidenten Ägyptens will Washington die Beziehungen zu Kairo nun offenbar normalisieren.

Also hat Kerry nach dem Treffen mit Al Sisi auf der gemeinsamen Pressekonferenz zwar Lippenbekenntnisse zu Rechtsstaat und Demokratie abgegeben, sich vor allem aber für eine Fortsetzung der "wichtigen Partnerschaft" zwischen Ägypten und den USA ausgesprochen. In diesem Zusammenhang ließ das State Department verlauten, daß zwischen der Amtseinführung Al Sisis und dem Besuch Kerrys Washington fast die halbe Tranche der jährlichen 1,3 Milliarden Dollar schweren Finanz- und Militärhilfe für Kairo - 575 Millionen von geplanten 650 Millionen Dollar - bereits an das ägyptische Finanzministerium überwiesen habe. Seinerseits sicherte Kerry seinen Gastgebern in Kairo in aller Öffentlichkeit zu, daß die Auslieferung von zehn Apache-Hubschraubern an das ägyptische Militär, die im vergangenen Oktober wegen der politischen Instabilität im bevölkerungsreichsten arabischen Staat ausgesetzt worden war, "sehr, sehr bald" vollzogen werden sollte.

Kerrys angeblicher Einsatz für demokratische Werte wie Presse- und Meinungsfreiheit bei seinem Treffen mit Al Sisi scheint nicht besonders gefruchtet zu haben. Gleich am 23. Juni - da war Obamas Chefdiplomat bereits in den krisengeplagten Irak weitergereist - verurteilte ein Gericht in Kairo drei Reporter des englischsprachigen Kanals des arabischen Nachrichtensenders Al Jazeera zu sieben Jahren Freiheitsstrafe. Aufgrund von Beweismitteln, die an Fadenscheinigkeit und Dürftigkeit nicht zu überbieten waren, wurden die drei Männer - der Australier Peter Greste, Adel Fahmy, der die ägyptische und kanadische Staatsbürgerschaft besitzt, und der Ägypter Baher Mohamed - für schuldig befunden, Berichte über die Unruhen in Ägypten im vergangenen Jahr gefälscht zu haben, um die neue Militärregierung in Verruf zu bringen.

Al Jazeera gehört Katars Herrscherhaus Al Thani, das sich im Gegensatz zu den Saudis seit Beginn des "Arabischen Frühlings" 2011 für die Moslembruderschaft in Ägypten und anderswo stark gemacht hat. So gesehen ist das Skandalurteil gegen Greste, Fahmy und Mohamed eine Retourkutsche Kairos an die Adresse Dohas. Um die drei Reporter wieder freizubekommen, dürfte der Emir von Katar, Scheich Tamim bin Hamad Al Thani, Al Sisi und der Führungsclique in Ägypten vermutlich eine wohlgesonnene, weniger kritische Berichterstattung seitens Al Jazeera versprechen müssen. Ob er dazu bereit ist, muß sich noch zeigen.

24. Juni 2014