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MEDIEN/484: Wikileaks - gleiches Recht nicht für alle ... (SB)


Wikileaks - gleiches Recht nicht für alle ...


Als Pamela Anderson am 7. Mai nach dem Besuch ihres Freundes Julian Assange im britischen Hochsicherheitstrakt Belmarsh sichtbar erschüttert ihre Sorge zum Ausdruck brachte, das Leben des Wikileaks-Gründers sei "in Gefahr", hat fast niemand die Einschätzung der Hollywood-Schauspielerin und Bürgerrechtlerin ernst genommen. Das gleiche gilt für die drastische Aussage Assanges, die sich in einem privaten Brief an seinen Freund Thomas Gordon Dimmack befand. In der kurzen Schrift, die Dimmack aus Sorge um Assange am 11. Mai veröffentlichte, beschwert sich der 47jährige australische Verleger und Journalist über seine Isolationshaftbedingungen und den extrem stark eingeschränkten Zugang zu seinen Anwälten, um resümierend festzustellen:

Eine Supermacht bereitet seit 9 Jahren mit Hunderten von Leuten und Geldern in Millionenhöhe meinen Fall vor. Ich bin wehrlos und zähle auf Dich und andere anständige Menschen, daß ihr mein Leben rettet.

Die Sorgen der Freunde und Unterstützer Assanges um dessen Unversehrtheit erweisen sich immer mehr als berechtigt. Nach einem zweistündigen Besuch in Belmarsh am 24. Mai erklärte der Anwalt Per Samuelson, der Assange vor der möglichen Auslieferung nach Schweden wegen des fadenscheinigen Vorwurfs der sexuellen Nötigung im Jahr 2010 in Stockholm bewahren will, der Gesundheitszustand des ehemaligen Wikileaks-Chefs sei so schlecht, "daß es nicht möglich war, mit ihm ein normales Gespräch zu führen". Obwohl Assange deshalb aus gesundheitlichen Gründen an der geplanten gerichtlichen Anhörung per Video-Liveschaltung am 3. Juni nicht wird teilnehmen können und obwohl er eine Übersetzung der entsprechenden Dokumente nicht vor dem 11. Juni erhalten wird, hat die Staatsanwaltschaft von Uppsala Samuelsons Antrag um eine Verschiebung des Termins abgelehnt.

Inzwischen stellt sich heraus, daß sich der Gesundheitszustand von Assange, der nach acht Jahren in der ecuadorianischen Botschaft in London ohnehin nicht besonders gut war, seit der Verschleppung von dort durch die britische Polizei und die Einweisung nach Belmarsh am 11. April dramatisch verschlechtert hat. Am 29. Mai wurde bekannt, daß in den Tagen zuvor die Gefängnisleitung die Unterbringung von Assange in der Krankenabteilung veranlaßt hatte. In einer Erklärung zeigte sich Wikileaks alarmiert über die jüngste Entwicklung. Die Entscheidung der Belmarsh-Verantwortlichen "spricht für sich"; "während der sieben Wochen" im Gefängnis habe Assange "dramatisch an Gewicht verloren", sein Gesundheitszustand habe "sich verschlechtert", so die Enthüllungsplattform.

Am 31. Mai veröffentlichte der Londoner Guardian Auszüge aus dem Bericht, den der UN-Sonderberichterstatter zum Thema Folter, Nils Melzer, zur Lage Assanges am selben Tag der britischen Regierung vorlegen sollte. Melzer hatte bereits vor einigen Tagen in Begleitung mehrerer medizinischer Experten Assange ebenfalls in Belmarsh besucht. Der ehemalige Rechtsberater des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes erklärte, er habe in mehr als 20 Jahren Arbeit mit Opfern von Gewalt, Krieg und politischer Verfolgung noch niemals einen Fall erlebt, wo eine Person "von einer Gruppe demokratischer Staaten" - gemeint sind Großbritannien, Schweden und die USA - "über eine so lange Zeit und mit so wenig Rücksicht auf die Menschenwürde und rechtstaatliche Normen mit Absicht isoliert, dämonisiert und mißhandelt worden" sei. Melzer fügte hinzu:

Auf der physischen Seite liegen Beschwerden vor, aber darum kümmert sich das Gesundheitspersonal des Gefängnisses. Folglich ist in dieser Hinsicht nichts Dringendes oder Gefährliches zu verzeichnen. Besorgniserregend ist dagegen der psychologische Aspekt, speziell seine Dauerangst. Es war spürbar, daß er sich von allen bedroht fühlt. Er hat verstanden, worin meine Funktion bestand, aber gleichwohl war er extrem aufgeregt und mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt. Es war schwierig, mit ihm ein strukturiertes Gespräch zu führen.

In einem Beitrag für seinen Blog äußerte am 31. Mai Craig Murray den Verdacht, daß Assange in Belmarsh gefoltert wird. Murray kennt sich aus auf diesem Feld. 2004 wurde er von der Regierung Tony Blairs als britischer Botschafter in Usbekistan entlassen, weil er über die Folter und Ermordung vermeintlicher "Islamisten" durch die Behörden in Taschkent nicht einfach hinwegsehen wollte, sondern dagegen immer wieder laut protestierte. Nach eigenen Angaben hat Murray 2016 im Auftrag von Wikileaks "gestohlene" Emails der demokratischen Partei über den Atlantik transportiert. Sie sollen von unzufriedenen Mitarbeitern der Partei Hillary Clintons stammen. Hartnäckig behaupten dagegen die Mainstream-Medien bis heute, Assange hätte besagte Emails, die mittels eines Hackerangriffs des russischen Geheimdienstes entwendet worden wären, vom Kreml erhalten. Assange hat dies stets bestritten.

Wie dem auch sei, Murrays Verdacht der laufenden physischen und psychologischen Vernichtung Assanges scheint nicht einfach aus der Luft gegriffen zu sein. Der Tod des früheren Wikileaks-Chefs oder die Herbeiführung eines Dauerzustands geistiger Umnachtung bei ihm würde der Regierung Donald Trumps und den USA einen schwierigen Prozeß um Pressefreiheit und Spionage ersparen und dennoch das erwünschte Abschreckungssignal setzen. Schließlich hat die frühere Pentagon-Whistleblowerin Karen Kwiatkowski bereits am 7. Mai auf der Website LewRockwell.com behauptet, Assange werde in Belmarsh von der CIA "vernommen", besser gesagt "gefoltert".

31. Mai 2019


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