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MILITÄR/832: US-Raketenabwehrtest über den Pazifik gescheitert (SB)


US-Raketenabwehrtest über den Pazifik gescheitert

Rüstungsfetischisten halten am "Krieg der Sterne" eisern fest


Angesichts explodierender Staatsschulden der USA ist die Regierung von Präsident Barack Obama auf der verzweifelten Suche nach Möglichkeiten der Ausgabenkürzung. Für den Ernst der Lage spricht die Tatsache, daß man sogar Einschnitte beim Wehretat erwägt, von dem das Wohl der amerikanischen Rüstungsindustrie und Washingtons Macht im Ausland abhängen und der 2011 mehr als 700 Milliarden Dollar beträgt. Zu diesem Zweck hat der US-Verteidigungsminister Robert Gates Einsparungen bei den Pentagonausgaben von 100 Milliarden Dollar - verteilt auf die nächsten fünf Jahren - angekündigt. Um das verhältnismäßig bescheidene Ziel zu erreichen, will der Ex-CIA-Chef vor allem die Kosten der medizinischen Betreuung von Millionen von pensionierten Soldaten und kriegsversehrten Veteranen radikal verringern.

Angeblich spielt Gates auch mit dem Gedanken, überflüssige Rüstungsprojekte zu streichen. Wenn das so ist, sollte er mit dem Raketenabwehrsystem beginnen, das seit Ronald Reagans Verkündung seiner Strategic Defense Initiative (SDI) 1983 unzählige Milliarden Dollar verschlungen hat, ohne dafür auch nur in die Nähe der Verwirklichung der Vision von einem Schutzschirm für die USA vor feindlichen Interkontinentalraketen zu gelangen. Anlaß zum Nachdenken über das Projekt böte der jüngste Test, der am 15. Dezember unter der Projektleitung des Rüstungsunternehmens Boeing grandios gescheitert ist.

Wie die Nachrichtenagentur Reuters am selben Tag unter Verweis auf Angaben der pentagoneigenen Missile Defense Agency (MDA) berichtete, lief zunächst alles wie am Schnürchen. Von dem zu den Marshallinseln gehörenden Atoll Kwajalein im Südwestpazifik hob die "feindliche" Rakete ab, worauf kurz danach vom US-Luftwaffenstützpunkt Vandenberg in Kalifornien die Mittelstreckenabfangrakete in den Himmel stieg und ihr entgegenraste. Die seegestützten X-Band-Radare und die Satellitenüberwachung funktionierten einwandfrei und erlaubten die zeitgleiche Beobachtung der Annäherung der beiden Flugobjekte. Auch das Kill-Vehicle der Abfangrakete konnte zum Schluß abgesetzt werden und schoß mit eigenem Antrieb dem Ziel entgegen. Lediglich der Einschlag des Kill-Vehicles in die "feindliche" Rakete blieb aus. Es erfolgte keine Kollision, was die ganze Mission zum Mißerfolg machte. Das besonders Verheerende am Scheitern des jüngsten Tests ist, daß die Projektbeteiligten nicht einmal wissen, was schiefgegangen ist. Der Fehler muß erst "identifiziert", werden, ließ die MDA verlauten.

In der Reuters-Meldung wurde Riki Ellison, der Leiter der Missile Defense Advocacy Alliance, einer Lobbygruppe der am Projekt beteiligten Firmen, dahingehend zitiert, daß der Vorfall einen "gewaltiger Rückschlag für das Testen dieses komplizierten Systems" darstelle, der beunruhigende Fragen hinsichtlich der Verläßlichkeit der rund 30 während der Ära George W. Bushs als US-Präsident und Donald Rumsfelds als US-Verteidigungsminister in Silos in Alaska und Kalifornien stationierten Abfangraketen aufwerfe. Das sind ungewohnt selbstkritische Töne aus den Reihen der Raketenabwehranhänger.

Auch wenn es eventuell nichts ändert, steht die Raketenabwehr dieser Tage unter keinem guten Stern. Zu dem gescheiteren Test der Amerikaner im Pazifik am 15. Dezember kommen die spektakulären Äußerungen, mit denen Generalmajor Gadi Eisenkot, Kommandeur der israelischen Streitkräfte an der Grenze zum Libanon und zu Syrien, seine Landsleute auf den Boden der militärischen Tatsachen zurückgeholt hat. Bei einer Rede an der Universität von Haifa am 12. Dezember erklärte Eisenkot, "die Israelis sollten sich nicht der Illusion hingeben, daß jemand" - im Falle eines massiven Raketenangriffs seitens der libanesischen Hisb-Allah-Miliz oder des Irans - "einen Schirm über ihren Köpfen aufspannen wird". Die mit enormen Aufwand errichtete, dreistufige israelische Raketenabwehr - bestehend aus den Systemen "Eiserne Kuppel", "Davids Schleuder" und "Pfeil" - sei "dazu konzipiert, die Militärbasen zu schützen, selbst wenn dies bedeutet, daß die Bürger während der Zeit der Kämpfe Leid ertragen müssen", so der General.

In der entsprechenden Meldung der Nachrichtenagentur United Press International vom 14. Dezember hieß es, in Israel sei die "Enthüllung" Eisenkots, das Raketenabwehrsystem sei dazu da, "die Militärinstallationen des Landes und nicht seine Städte oder Bevölkerung zu schützen", "wie eine Bombe eingeschlagen". Man könnte weitergehen und behaupten, der israelische Militär habe endlich das Argument, mit dem vom Anfang an die Raketenabwehrapologeten ihr zweifelhaftes Projekt gegen allen politischen Widerstand und alle wissenschaftliche Vernunft durchgedrückt haben, das ganze Konstrukt diene nur dem Schutz der Bevölkerung zuerst in den USA vor Raketen der Sowjetunion, zuletzt auch in Europa vor solchen des Iran bzw. auch in Japan und Südkorea vor denen Nordkoreas, als Volksverdummung der Spitzenklasse bloßgelegt.

17. Dezember 2010