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MILITÄR/833: Obamas Raketenabwehrpläne als unrealistisch kritisiert (SB)


Obamas Raketenabwehrpläne als unrealistisch kritisiert

GAO weist auf Mängel beim Lieblingsprojekt der US-Militaristen hin


In Washington tobt derzeit zwischen der republikanischen Opposition, welche die Mehrheit im Repräsentantenhaus stellt, und der Regierung des demokratischen Präsidenten Barack Obama ein heftiger Streit darüber, wie die staatlichen Ausgaben reduziert werden können, um das Problem der außer Kontrolle geratenen Schulden der USA in den Griff zu bekommen. Für die Heftigkeit des Streits spricht die Tatsache, daß die Republikaner, die sich in sicherheitspolitischen Fragen stets als die größten Bewunderer des US-Militärs hervortun, sogar Kürzungen im Wehretat verlangen. Um der Forderung Nachdruck zu verleihen, verweigern sie bislang ihre Zustimmung zum Haushalt des Pentagons für das Fiskaljahr 2011. Die Obama-Regierung hatte dafür mehr als 700 Milliarden Dollar beantragt, die Republikaner dagegen wollten die Militärausgaben in diesem Jahr auf die Höhe von 2010 - 526 Milliarden Dollar - einfrieren. Wegen der fiskalischen Blockade im Kongreß warf Verteidigungsminister Robert Gates am 27. Januar den Republikanern vor, sie hätten den Kontakt "zur realen Welt verloren". Bekäme das Pentagon nur soviel wie im vorigen Jahr - was in etwa den Militärausgaben aller übrigen Staaten der Welt zusammen entspricht -, würde dies die Wehrfähigkeit der USA "aushöhlen" und ihre Fähigkeit, die künftigen Herausforderungen zu meistern, schmälern.

Die hysterischen Äußerungen des ehemaligen CIA-Chefs, der wie kein zweiter den übermächtigen militärisch-industriellen Komplex der USA verkörpert, lassen erkennen, daß im Kongreß allmählich eine Koalition aus republikanischen Austeritätsbefürwortern und demokratischen Kriegsgegnern heranwächst, die nächster Zeit empfindliche Kürzungen bei den Ausgaben des Pentagons durchsetzen könnte. Um der bedrohlichen Entwicklung Herr zu bleiben, hatte Gates bereits im vergangenen Jahr - ohne natürlich Abstriche an den Missionen im Irak und in Afghanistan vorzunehmen - drastische Kürzungen bei der medizinischen Betreuung erkrankter Ex-Soldaten und Kriegsveteranen sowie die Streichung einiger überflüssiger Rüstungsprojekte ins Auge gefaßt. Ein neuer Bericht des Government Accountability Office (GAO) des Kongresses, vergleichbar dem Bundesrechnungshof in Deutschland, eröffnet eine weitere Sparmöglichkeit, nämlich im Bereich der Raketenabwehr.

Im GAO-Bericht sparen die Autoren nicht mit Kritik an den Plänen der Obama-Administration zum Aufbau eines Abwehrsystems, das Europa vor feindlichen ballistischen Raketen aus dem Nahen Osten im allgemeinen, dem Iran im besonderen schützen soll. 2009 hatte Obama den Ansatz der Vorgängerregierung von George W. Bush, Abwehrraketen in Polen zu stationieren und eine gesonderte Radarstation in Tschechien zu installieren, verworfen und sich statt dessen auf eine flexiblere Konstellation von Komponenten festgelegt, in der die Abfangraketen von im Mittelmeer stationierten US-Lenkwaffenzerstörern, die mit dem von Lockheed Martin gebauten Aegis Combat System ausgerüstet sind, abgefeuert werden sollen (Zu den bekanntesten Schiffen, die mit dem Aegis-System ausgerüstet wurden, gehören die USS Vincennes, die 1988 eine iranische Passagiermaschine über dem Persischen Golf abschoß, und die USS Cole, die 2000 im Hafen von Aden durch einen Sprengstoffanschlag des Al-Kaida-"Netzwerkes" von Osama Bin Laden fast versenkt wurde).

Doch Obamas Vorstoß, Bushs umstrittenes Vorhaben eines Raketenabwehrsystems für Europa durch eine abgespeckte, weniger bedrohlich wirkende Version doch noch zu realisieren, hat beim GAO keinen Gefallen gefunden. Über die vernichtende Kritik der Rechnungsprüfer des Kongresses berichtete am 27. Januar John Vandiver in der US-Armeezeitung Stars and Stripes unter der Überschrift "GAO questions U.S. plans for missile defense system in Europe". Im Bericht heißt es, beim neuen Plan seien die Zuständigkeiten, was die Realisierung und die künftige operative Kontrolle betreffe, völlig ungeklärt. Die GAO-Experten kritisieren den Zeitplan und die Einschätzungen der voraussichtlichen Kosten als überoptimistisch. Darüber hinaus stellen sie fest, daß völlige Unklarheit darüber herrscht, ob das Raketenabwehrsystem, wenn es denn in Betrieb geht, überhaupt funktionieren wird.

Doch letzterer Einwand wird seit Jahren erhoben, ohne daß es zu einem Umdenken geführt hätte. Nur weil Ronald Reagan, Schutzheiliger der Rüstungslobby und der neokonservativen Kriegstreiber in den USA, 1983 den Bau eines Abwehrschirms zum Schutz vor Interkontinentalraketen zur nationalen Aufgabe erklärt hat, glauben die Befürworter des Systems, sie bräuchten nur genügend Ressourcen in das Projekt zu stecken und die amerikanische Can-Do-Mentalität würde über kurz oder lang den Traum Wirklichkeit werden lassen. Gegenüber dem Argument, das Vorhaben komme dem Abschießen einer Gewehrkugel durch eine andere gleich, haben sie sich als resistent erwiesen. Auch die Tatsache, daß die Gegner den feindlichen Raketensprengkopf von zahlreichen Attrappen umgeben könnten, was die Vernichtung der eigentlichen Gefahrenquelle unmöglich machte, will man nicht nur Kenntnis nehmen. Daher dürfte der neue GAO- Bericht wenig Folgen haben, und das enorme Sparpotential beim Raketenabwehrsystem dürfte weiter ignoriert werden.

28. Januar 2011