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MILITÄR/876: Pentagon will weitere Milliarden für Raketenabwehr (SB)


Pentagon will weitere Milliarden für Raketenabwehr

Nicht funktionierendes Kill Vehicle blamiert Amerikas Rüstungsbauer



Als US-Verteidigungsminister Chuck Hagel am 1. Februar auf der Münchner Sicherheitskonferenz die Stationierung des ersten von insgesamt vier mit dem Feuerleitsystem Aegis und SM-3-Raketen ausgerüsteten Lenkwaffenzerstörers im südspanischen Marinestützpunkt Rota bekanntgab, begründete er den Ausbau der amerikanischen "Raketenabwehrarchitektur" in Europa nicht nur mit dem üblichen Hinweis auf die vermeintliche, vom Iran ausgehende Bedrohung. Nein, ausdrücklich verwies der dekorierte Vietnamkriegsveteran und ehemalige republikanische Senator aus Nebraska auch auf China und Rußland, die "ihre Militärs und ihre globalen Rüstungsindustrien rasch modernisieren" und dadurch "den technologischen Vorsprung" und die "Verteidigungspartnerschaften" der USA "rund um die Welt herausfordern" würden. Um jenen Vorsprung zu erhalten, will das Pentagon weitere Milliarden in den Schutz vor ballistischen Interkontinentalraketen investieren. Die Tatsache, daß das System immer noch nicht funktioniert und möglicherweise niemals funktionieren wird, stört die Rüstungsfetischisten in den USA nicht. Sie streben nach einem System, das das nordamerikanische Festland vor einem feindlichen atomaren Zweitschlag schützen und dadurch den Erstschlag durch die USA ermöglichen soll. Damit ließe sich ihr abenteuerlicher Traum von einem "gewinnbaren" Atomkrieg" verwirklichen.

Über den Plan des US-Verteidigungsministeriums, in den kommenden fünf Jahren weitere vier Milliarden Dollar in die Entwicklung und den Ausbau des Raketenabwehrsystems (Ballistic Missile Defense - BMD) zu stecken, berichtete Andrea Shalal-Esa am 7. Februar in einer Exklusivmeldung der Nachrichtenagentur Reuters unter Verweis auf zwei anonyme Quellen im US-Kongreß sowie auf Riki Ellison, den Direktor der rüstungsindustrienahen Lobbyorganisation Missile Defense Advocacy Alliance (MDAA). Die Bitte des Pentagons um Zusatzfinanzierung steckt in dessen Haushaltsentwurf für das Fiskaljahr 2015, den Hagel am 4. März dem Repräsentantenhaus und dem Senat in Washington D. C. zur Beratung vorlegen will. Laut Shalal-Esa dürfte der Antrag auf zusätzliche Gelder für die Raketenabwehr im Kongreß zwar "auf parteiübergreifende Unterstützung" stoßen, gleichwohl "Fragen auslösen" bezüglich des Verbleibes der "Milliarden von Dollar, die in den letzten zwei Jahrzehnten für das von Raytheon gebaute Kill Vehicle ausgegeben wurden" (Insgesamt haben sich Amerikas Politiker die Vision eines funktionierenden Raketenabwehrsystems für die USA seit den Tagen Ronald Reagans mehr als 150 Milliarden Dollar kosten lassen).

Beim Exoatmosphärischen Kill Vehicle (EKV) handelt es sich um eine eine eineinhalb Meter lange, 64 Kilogramm schwere Mini-Rakete, die sich oberhalb der Erdatmosphäre von der Trägerrakete trennt und mit eigenem Antrieb in die feindliche Rakete rast und sie allein durch die Wucht des Zusammenpralls zerstört. Dank des Vorpreschens von George W. Bush und Donald Rumsfeld hat die Missile Defense Agency (MDA) des Pentagons seit 2004 dreißig von Boeing gebaute Abwehrraketen in unterirdischen Silos an der amerikanischen Westküste, in Fort Greely in Alaska und am kalifornischen Luftwaffenstützpunkt Vandenberg, stationiert. Zwanzig von ihnen sind mit der ersten EKV-Version, der Enhanced Capability I (EC-1) und zehn mit der neueren EC-2 bestückt.

Die Entwicklung der EC-2 war wegen der wenig zufriedenstellenden Testergebnisse der EC-1 notwendig geworden. Das große Problem für Amerikas Raketenabwehrbefürworter ist jedoch, daß die EC-2 auch nicht funktioniert. Beim 214 Millionen Dollar teuren Testflug am 5. Juli 2013, von dem sich die Beteiligten den Aufbruch in eine neue Ära versprochen hatten, hat sich das neue verbesserte Kill Vehicle in der entscheidenden Flugphase von der vom Fliegerhorst Vandenberg gestarteten Abwehrrakete nicht gelöst und somit die vom US-Marinestützpunkt auf dem südpazifischen Atoll Kwajalein gestartete "feindliche" Rakete auch nicht abgeschossen. Wenngleich die Testdaten noch nicht vollständig ausgewertet worden sind, haben die Verantwortlichen laut Reuters immerhin die direkte Ursache der peinlichen Panne ermittelt. In der Batterie der EC-2 war es irgendwann zu Stromschwankungen gekommen, die beim Rechner des Kill Vehicle einen Neustart und eine unvorhergesehene Rückstellung der Daten auslöste. Woher die Stromschwankungen in der Batterie herkamen, ist jedoch unbekannt.

Mit den zusätzlichen vier Milliarden Dollar will das Pentagon in den nächsten Jahren weitere 14 Abfangraketen kaufen und stationieren lassen sowie eine weitere Radaranlage in Alaska errichten, damit die USA vor der angeblich gestiegenen Gefahr eines nordkoreanischen Angriffs gewappnet sind, so Lobbyist Ellison gegenüber Reuters. Doch das alles klingt nach potemkinschen Dörfern, solange das Kill Vehicle den ihm zugedachten Zweck nicht erfüllt. Darum sind 560 Millionen Dollar im Zusatzantrag für die Entwicklung eines von Boeing, Raytheon und Lockheed Martin gemeinsam auszutüftelnden EKV vorgesehen. Mit welchem Kill Vehicle die 14 neuen Abfangraketen bestückt werden, da die neue Version erst in fünf Jahren fertig sein soll, ist unklar. Dennoch lassen es das Pentagon und Amerikas drei größte Rüstungskonzerne trotz aller Rückschläge nicht an Zuversicht vermissen. Laut Reuters erwägen sie bereits die Entwicklung und den Bau einer Abfangrakete, die mit mehreren Kill Vehicles statt bisher nur mit einem bestückt werden kann.

11. Februar 2014