Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → REDAKTION

NAHOST/936: Stammen iranische "Atomwaffendokumente" aus Israel? (SB)


Stammen iranische "Atomwaffendokumente" aus Israel?

Gareth Porter trägt erneut zur Aufklärung im "Atomstreit" bei


Vor dem Hintergrund der aktuellen Spannungen zwischen den Regierungen Barack Obamas und Benjamin Netanjahus hinsichtlich der Frage des weiteren Vorgehens im Nahost-Friedensprozeß, des möglichen Abzugs jüdischer Siedler von der Westbank und der Gründung eines lebensfähigen palästinensischen Staates bemüht sich Tel Aviv noch mehr als sonst, die angeblich vom Iran ausgehende "existentielle" Bedrohung Israels an die Wand zu malen. Am 4. Juni und damit am selben Tag, an dem der US-Präsident in Kairo eine mit Spannung erwartete Grundsatzrede zwecks Erneuerung des Verhältnisses zwischen Amerika und der muslimischen Welt hielt, wartete die linksliberale israelische Tageszeitung Ha'aretz mit der Meldung auf, das Außenministerium in Tel Aviv habe wenige Tage zuvor eine neue diplomatische "Offensive" anläßlich der iranischen Präsidentenwahl am 12. Juni gestartet, um Teheran international zu "isolieren". Zu diesem Zweck würden Israels Botschaftsmitarbeiter schriftlich aufgefordert, bei jeder Gelegenheit die suboptimale Menschenrechtslage in der Islamischen Republik in der Öffentlichkeit des jeweiligen Gastlands zu thematisieren, so Ha'aretz. Zweck der Übung soll es sein, den von der iranischen Präsidentenwahl ausgehenden Eindruck einer demokratischen Gesellschaft zu negieren und damit letztlich dem "internationalen Ruf des Irans zu schaden".

Seit Jahren - und seit dem Sturz Saddam Husseins im Frühjahr 2003 verstärkt - prangern die Israelis die angebliche Unterstützung Teherans für den "internationalen Terrorismus" und das angeblich existierende "Atomwaffenprogramm" des Irans an. Kritische Beobachter werfen ihrerseits den Politikern in Israel vor, die "iranische Gefahr" künstlich aufzubauschen, um von den dringenden Problemen des eigenen Landes wie von der zunehmenden Kluft zwischen Arm und Reich und der ungelösten Frage eines vernünftigen, friedlichen Zusammenlebens mit den Palästinensern abzulenken. In diesem Zusammenhang werden Hinweise angeführt, die darauf hindeuten, daß der israelische Geheimdienst eine führende Rolle bei der Verbreitung von Informationen und Falschmeldungen, die das zivile Kernenergieprogramm des Irans in einem unvorteilhaften Licht erscheinen lassen, spielt.

Als im August 2002 die iranische Exilgruppierung Mojahedin-e-Khalq (MEK) die Existenz einer im Bau befindlichen Urananreicherungsanlage in Natans und einer Schwerwasseranlage in Arak publik machte, gab es Vermutungen, die teheranfeindliche Organisation, die seit Jahren als "terroristische Vereinigung" auf der offiziellen Liste des State Department in Washington geführt wird, fungiere als Sprachrohr des Mossads und habe von diesem die spektakulären Erkenntnisse über die Vorgänge in der Islamischen Republik erhalten. Ein ähnlicher Verdacht steht bezüglich jenes sagenumwobenen Laptops, in dessen Besitz die USA 2004 gelangt sein sollen, der im Iran gestohlen und von dort herausgeschmuggelt sein soll und auf dem sich rund 1000 strenggeheime Dokumentenseiten zum Thema der Entwicklung von Atomwaffen befinden sollen, im Raum. In einem aufschlußreichen Artikel, der am 1. März 2008 von der Nachrichtenagentur Inter Press Service unter der Überschrift "Iran Nuke Laptop Came from Terror Group" veröffentlicht wurde, führte der Historiker Gareth Porter zahlreiche Hinweise auf, wonach sowohl für die 2002 erfolgte Enthüllung der Existenz der Anlagen in Natans und Arak - die wohlgemerkt zu jenem Zeitpunkt bei der Internationalen Atomenergieagentur (IAEA) nicht angemeldet hätten sein müssen - als auch für die Beschaffung besagten Laptops nicht die auch als Volksmudschaheddin bekannte MEK, sondern der israelische Auslandsgeheimdienst verantwortlich war.

Bis heute streiten sich die Geister um die Herkunft und Bedeutung der auf dem Laptop befindlichen Dateien. Während sie für die USA die Perfidie des Irans belegen, werden sie von den Iranern als durchsichtiges Propagandamanöver abgetan. Fest steht, daß sich die US-Regierung mit dem Argument des Schutzes der "nationalen Sicherheit" Amerikas bis heute weigert, den Iranern Einblick in die sie inkriminierenden Datensätze zu gewähren. Diese Haltung macht eine Klärung der Frage, ob die Dokumente echt oder gefälscht sind, schwer bis unmöglich. Presseberichten zufolge, die sich unter anderem auf Angaben von IAEA-Mitarbeitern stützen, welche den Inhalt des Laptops einsehen konnten, sollen die Dokumente auf Englisch und nicht auf Farsi verfaßt sein, was eher für eine Herkunft von außerhalb als von innerhalb des Kontrollbereichs der Islamischen Republik spricht. Der Streit um die Dokumente bildet den Kern der aktuellen Konfrontation um die Forderung des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen nach Einstellung der Urananreicherung im Iran und die Weigerung Teherans, der entsprechenden Resolution Folge zu leisten.

In seinem jüngsten IPS-Artikel, der am 4. Juni unter der Überschrift "Report Ties Dubious Iran Nuclear Docs to Israel" erschienen ist, hat sich Gareth Porter erneut mit der komplizierten Frage der Herkunft des Laptops und der brisanten Dokumente befaßt und ist zu recht interessanten Schlußfolgerungen gekommen. Porter hat einen am 4. Mai veröffentlichten Bericht des außenpolitischen Ausschusses des Senats in Washington zum Thema des iranischen Atomprogramms eingehend analysiert und die Geschichte seiner Entstehung studiert. In dem Bericht werden Einschätzungen eines nicht namentlich genannten, ausländischen Geheimdienstes wiedergegeben, wonach die Iraner bis 2003 die Entwicklung eines "Atomsprengkopfes" praktisch abgeschlossen und das Projekt zur Seite gelegt hätten, um es erst wieder aufnehmen zu können, sobald die Islamische Republik auf dem Wege der Urananreicherung über ausreichend spaltbares Material zum Bau einer zur Beförderung mit einer ballistischen Raketen geeigneten Atombombe gewonnen hätte. Diese Auslegung würde die Ende 2007 veröffentlichten National Intelligence Estimate (NIE) aller 16 US-Geheimdienste, derzufolge Teheran seit 2003 kein Atomwaffenprogramm mehr betreibt, in einem gänzlich anderen, negativen Licht erscheinen lassen.

Anhand von Informationen darüber, mit wem im Ausland der Autor des Berichts, der ehemalige Los-Angeles-Times-Reporter Douglas Frantz, bei der Vorbereitung seines Schriftstücks gesprochen hat, aufgrund von einigen auffälligen Formulierungen sowie von Gesprächen mit eigenen Informanten kommt Porter zu folgendem, hochplausiblen Ergebnis:

Die Aussage des ungenannten israelischen Geheimdienstoffiziers, wonach die "Blaupausen für einen Atomsprengkopf" - gemeint sind die Spezifikationen für einen Wiedereintrittskörper - identisch waren mit "Entwürfen, die seine Behörde aus anderen Quellen im Iran beschafft hatte", legt den Schluß nahe, daß die Dokumente, welche die IAEA als die "angeblichen Studien" bezeichnet, ihren eigentlichen Ursprung in Israel hatten.

Ein in den USA beheimateter Rüstungsanalytiker, der den Streit um die "angeblichen Studien" genau verfolgt hat, sagte, daß nach seinem Dafürhalten die Dokumente, welche die US-Geheimdienste 2004 erhalten haben, nicht ursprünglich auf dem Laptop waren, als sie von einem nicht identifizierten, iranischen Informanten hereingebracht wurden, wie es US-Regierungsvertreter gegenüber US-Journalisten behauptet haben.

Der Analytiker, der darauf insistierte, nicht identifiziert zu werden, sagt, daß die Dokumente von einem Geheimdienstnetzwerk gesammelt und anschließend auf einem einzigen Laptop zusammengeführt wurden.

Die Behauptung des israelischen Geheimdienstvertreters, die im Bericht des Ausschusses zitiert wird, daß die "Blaupausen" in den "angeblichen Studien" mit den Dokumenten übereinstimmen, die seine Behörde aus ihrer eigenen Quelle erhalten hat, scheint die Schlußfolgerung des Analytikers, wonach der israelische Geheimdienst die Dokumente zusammengetragen hat, zu bestätigen.

5. Juni 2009